Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

gerlichen Lebens zu erwachen. Dann aber kam
eine Zeit und sie dauert fort, wo man sich fragt,
woher stammt diese Fülle von Leben und Kraft,
die uns an Shakspeare entzückt und seine dich¬
terischen Gebilde so lebensderb, so kühn, so un¬
übertrefflich macht? Und da lautete die Antwort:
das hat er sich nicht auf seinem Stübchen zusam¬
mengedichtet, das hat er nicht aus dem Stegreif
phantasirt, das hat er gelernt und herausgeschaut
aus dem wildbewegten, großartigen Leben, das
seine Jugendträume umflatterte und ihn später als
Jüngling und Mann in seine Mitte aufnahm.

Und so kommt uns von allen Seiten die
Bestätigung zu, daß das Leben das Höchste ist
und allem Uebrigen, wenn es gedeihen soll, zu
Grunde liegen muß, geschweige der Kunst, der
Schönheit, und der sich mit ihr beschäftigenden
Aesthetik.

Und so schließe ich diese Vorlesung mit den
Schlußworten der vorigen:

Es fehlt uns an einem gemeinsamen Mittel
der Bildung, weil es uns an gemeinsamem Le¬
ben fehlt. Doch schon diese Einsicht, die sich
immer mehr verbreitet, ist ein Schritt zur Besse¬
rung, und dieselbe zur höchsten Evidenz und Klar¬
heit gebracht, die ein Jeder ihr zu geben im

6 *

gerlichen Lebens zu erwachen. Dann aber kam
eine Zeit und ſie dauert fort, wo man ſich fragt,
woher ſtammt dieſe Fuͤlle von Leben und Kraft,
die uns an Shakſpeare entzuͤckt und ſeine dich¬
teriſchen Gebilde ſo lebensderb, ſo kuͤhn, ſo un¬
uͤbertrefflich macht? Und da lautete die Antwort:
das hat er ſich nicht auf ſeinem Stuͤbchen zuſam¬
mengedichtet, das hat er nicht aus dem Stegreif
phantaſirt, das hat er gelernt und herausgeſchaut
aus dem wildbewegten, großartigen Leben, das
ſeine Jugendtraͤume umflatterte und ihn ſpaͤter als
Juͤngling und Mann in ſeine Mitte aufnahm.

Und ſo kommt uns von allen Seiten die
Beſtaͤtigung zu, daß das Leben das Hoͤchſte iſt
und allem Uebrigen, wenn es gedeihen ſoll, zu
Grunde liegen muß, geſchweige der Kunſt, der
Schoͤnheit, und der ſich mit ihr beſchaͤftigenden
Aeſthetik.

Und ſo ſchließe ich dieſe Vorleſung mit den
Schlußworten der vorigen:

Es fehlt uns an einem gemeinſamen Mittel
der Bildung, weil es uns an gemeinſamem Le¬
ben fehlt. Doch ſchon dieſe Einſicht, die ſich
immer mehr verbreitet, iſt ein Schritt zur Beſſe¬
rung, und dieſelbe zur hoͤchſten Evidenz und Klar¬
heit gebracht, die ein Jeder ihr zu geben im

6 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0097" n="83"/>
gerlichen Lebens zu erwachen. Dann aber kam<lb/>
eine Zeit und &#x017F;ie dauert fort, wo man &#x017F;ich fragt,<lb/>
woher &#x017F;tammt die&#x017F;e Fu&#x0364;lle von Leben und Kraft,<lb/>
die uns an Shak&#x017F;peare entzu&#x0364;ckt und &#x017F;eine dich¬<lb/>
teri&#x017F;chen Gebilde &#x017F;o lebensderb, &#x017F;o ku&#x0364;hn, &#x017F;o un¬<lb/>
u&#x0364;bertrefflich macht? Und da lautete die Antwort:<lb/>
das hat er &#x017F;ich nicht auf &#x017F;einem Stu&#x0364;bchen zu&#x017F;am¬<lb/>
mengedichtet, das hat er nicht aus dem Stegreif<lb/>
phanta&#x017F;irt, das hat er gelernt und herausge&#x017F;chaut<lb/>
aus dem wildbewegten, großartigen Leben, das<lb/>
&#x017F;eine Jugendtra&#x0364;ume umflatterte und ihn &#x017F;pa&#x0364;ter als<lb/>
Ju&#x0364;ngling und Mann in &#x017F;eine Mitte aufnahm.</p><lb/>
        <p>Und &#x017F;o kommt uns von allen Seiten die<lb/>
Be&#x017F;ta&#x0364;tigung zu, daß das Leben das Ho&#x0364;ch&#x017F;te i&#x017F;t<lb/>
und allem Uebrigen, wenn es gedeihen &#x017F;oll, zu<lb/>
Grunde liegen muß, ge&#x017F;chweige der Kun&#x017F;t, der<lb/>
Scho&#x0364;nheit, und der &#x017F;ich mit ihr be&#x017F;cha&#x0364;ftigenden<lb/>
Ae&#x017F;thetik.</p><lb/>
        <p>Und &#x017F;o &#x017F;chließe ich die&#x017F;e Vorle&#x017F;ung mit den<lb/>
Schlußworten der vorigen:</p><lb/>
        <p>Es fehlt uns an einem gemein&#x017F;amen Mittel<lb/>
der Bildung, weil es uns an gemein&#x017F;amem Le¬<lb/>
ben fehlt. Doch &#x017F;chon die&#x017F;e Ein&#x017F;icht, die &#x017F;ich<lb/>
immer mehr verbreitet, i&#x017F;t ein Schritt zur Be&#x017F;&#x017F;<lb/>
rung, und die&#x017F;elbe zur ho&#x0364;ch&#x017F;ten Evidenz und Klar¬<lb/>
heit gebracht, die ein Jeder ihr zu geben im<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">6 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0097] gerlichen Lebens zu erwachen. Dann aber kam eine Zeit und ſie dauert fort, wo man ſich fragt, woher ſtammt dieſe Fuͤlle von Leben und Kraft, die uns an Shakſpeare entzuͤckt und ſeine dich¬ teriſchen Gebilde ſo lebensderb, ſo kuͤhn, ſo un¬ uͤbertrefflich macht? Und da lautete die Antwort: das hat er ſich nicht auf ſeinem Stuͤbchen zuſam¬ mengedichtet, das hat er nicht aus dem Stegreif phantaſirt, das hat er gelernt und herausgeſchaut aus dem wildbewegten, großartigen Leben, das ſeine Jugendtraͤume umflatterte und ihn ſpaͤter als Juͤngling und Mann in ſeine Mitte aufnahm. Und ſo kommt uns von allen Seiten die Beſtaͤtigung zu, daß das Leben das Hoͤchſte iſt und allem Uebrigen, wenn es gedeihen ſoll, zu Grunde liegen muß, geſchweige der Kunſt, der Schoͤnheit, und der ſich mit ihr beſchaͤftigenden Aeſthetik. Und ſo ſchließe ich dieſe Vorleſung mit den Schlußworten der vorigen: Es fehlt uns an einem gemeinſamen Mittel der Bildung, weil es uns an gemeinſamem Le¬ ben fehlt. Doch ſchon dieſe Einſicht, die ſich immer mehr verbreitet, iſt ein Schritt zur Beſſe¬ rung, und dieſelbe zur hoͤchſten Evidenz und Klar¬ heit gebracht, die ein Jeder ihr zu geben im 6 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/97
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/97>, abgerufen am 22.11.2024.