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Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834.

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das auch Holz und Stein und alles Leblose oder Absterbende allmählig abnagt und zerfrißt.

Als die althochdeutsche Sprache in die mittelhochdeutsche überging, schaute diese als Siegerin auf dem Turnierplatze des deutschen Geistes umher, sie war es geworden ohne Kampf. Sprache des mächtigsten und kunstliebendsten Kaiserhauses, lebte sie im Munde der Fürsten, Ritter, Sänger mit und ohne Sporn, Sänger mit und ohne Krone, welche die elegante Literatur ihres Zeitalters begründeten, war sie, was mehr sagen will, die Sprache des Nibelungenliedes und anderer deutschen Nationalgedichte, welche mit Ausnahme jener ältesten Reliquien theils nie, theils nur in späterer Uebersetzung im Plattdeutschen schriftsässig wurden.

Welcher Bann, frage ich, lag über der niedersächsischen Literatur? Derselbe Bann, der über dem Volk und seiner Geschichte lag. Es sollte die mächtige Naturkraft, die einst diesen Stamm beseelte, stocken und starren und als trüber Bodensatz des germanischen Geistes zurückbleiben.

Welche Kette von Hemmnißen, betäubenden und zerreißenden Unglücksschlägen nur bis zum sechszehnten Jahrhundert!

Karl des Großen Sachsenkrieg, gewaltsam blutige Ausrottung des Wodandienstes ohne wahrhafte Anpflanzung der Christusverehrung, Sachsen und Slaven stoßen sich hin und her und mischen sich unter einander, die alte Sachsenfreiheit schwindet, die Leibeigenschaft nimmt furchtbar überhand, der Krumstab zu Bremen ist schwach und gewährt keinen Schutz, das sächsische Kaiserhaus übertreibt die Großmuth und entäußert sich seiner zu Würde und Glanz so nothwendigen Stammbesitzungen, Heinrich der Löwe, die welfische Macht geht unter, deren Sieg über die hohenstaufische Norddeutschland so gehoben hätte wie ihre Niederlage Süddeutschland emporbrachte, selbst der belebende Einfluß der Hansa zeigt sich nur im Sinnlichen, nicht im Geistigen wohlthätig, ihr Seehandel nach dem Norden macht sie nur mit Völkern und Sitten bekannt, die noch roher waren, als sie selbst; Dagegen Süd-Deutschlands Handelsstädte,

das auch Holz und Stein und alles Leblose oder Absterbende allmählig abnagt und zerfrißt.

Als die althochdeutsche Sprache in die mittelhochdeutsche überging, schaute diese als Siegerin auf dem Turnierplatze des deutschen Geistes umher, sie war es geworden ohne Kampf. Sprache des mächtigsten und kunstliebendsten Kaiserhauses, lebte sie im Munde der Fürsten, Ritter, Sänger mit und ohne Sporn, Sänger mit und ohne Krone, welche die elegante Literatur ihres Zeitalters begründeten, war sie, was mehr sagen will, die Sprache des Nibelungenliedes und anderer deutschen Nationalgedichte, welche mit Ausnahme jener ältesten Reliquien theils nie, theils nur in späterer Uebersetzung im Plattdeutschen schriftsässig wurden.

Welcher Bann, frage ich, lag über der niedersächsischen Literatur? Derselbe Bann, der über dem Volk und seiner Geschichte lag. Es sollte die mächtige Naturkraft, die einst diesen Stamm beseelte, stocken und starren und als trüber Bodensatz des germanischen Geistes zurückbleiben.

Welche Kette von Hemmnißen, betäubenden und zerreißenden Unglücksschlägen nur bis zum sechszehnten Jahrhundert!

Karl des Großen Sachsenkrieg, gewaltsam blutige Ausrottung des Wodandienstes ohne wahrhafte Anpflanzung der Christusverehrung, Sachsen und Slaven stoßen sich hin und her und mischen sich unter einander, die alte Sachsenfreiheit schwindet, die Leibeigenschaft nimmt furchtbar überhand, der Krumstab zu Bremen ist schwach und gewährt keinen Schutz, das sächsische Kaiserhaus übertreibt die Großmuth und entäußert sich seiner zu Würde und Glanz so nothwendigen Stammbesitzungen, Heinrich der Löwe, die welfische Macht geht unter, deren Sieg über die hohenstaufische Norddeutschland so gehoben hätte wie ihre Niederlage Süddeutschland emporbrachte, selbst der belebende Einfluß der Hansa zeigt sich nur im Sinnlichen, nicht im Geistigen wohlthätig, ihr Seehandel nach dem Norden macht sie nur mit Völkern und Sitten bekannt, die noch roher waren, als sie selbst; Dagegen Süd-Deutschlands Handelsstädte,

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[14/0014] das auch Holz und Stein und alles Leblose oder Absterbende allmählig abnagt und zerfrißt. Als die althochdeutsche Sprache in die mittelhochdeutsche überging, schaute diese als Siegerin auf dem Turnierplatze des deutschen Geistes umher, sie war es geworden ohne Kampf. Sprache des mächtigsten und kunstliebendsten Kaiserhauses, lebte sie im Munde der Fürsten, Ritter, Sänger mit und ohne Sporn, Sänger mit und ohne Krone, welche die elegante Literatur ihres Zeitalters begründeten, war sie, was mehr sagen will, die Sprache des Nibelungenliedes und anderer deutschen Nationalgedichte, welche mit Ausnahme jener ältesten Reliquien theils nie, theils nur in späterer Uebersetzung im Plattdeutschen schriftsässig wurden. Welcher Bann, frage ich, lag über der niedersächsischen Literatur? Derselbe Bann, der über dem Volk und seiner Geschichte lag. Es sollte die mächtige Naturkraft, die einst diesen Stamm beseelte, stocken und starren und als trüber Bodensatz des germanischen Geistes zurückbleiben. Welche Kette von Hemmnißen, betäubenden und zerreißenden Unglücksschlägen nur bis zum sechszehnten Jahrhundert! Karl des Großen Sachsenkrieg, gewaltsam blutige Ausrottung des Wodandienstes ohne wahrhafte Anpflanzung der Christusverehrung, Sachsen und Slaven stoßen sich hin und her und mischen sich unter einander, die alte Sachsenfreiheit schwindet, die Leibeigenschaft nimmt furchtbar überhand, der Krumstab zu Bremen ist schwach und gewährt keinen Schutz, das sächsische Kaiserhaus übertreibt die Großmuth und entäußert sich seiner zu Würde und Glanz so nothwendigen Stammbesitzungen, Heinrich der Löwe, die welfische Macht geht unter, deren Sieg über die hohenstaufische Norddeutschland so gehoben hätte wie ihre Niederlage Süddeutschland emporbrachte, selbst der belebende Einfluß der Hansa zeigt sich nur im Sinnlichen, nicht im Geistigen wohlthätig, ihr Seehandel nach dem Norden macht sie nur mit Völkern und Sitten bekannt, die noch roher waren, als sie selbst; Dagegen Süd-Deutschlands Handelsstädte,

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_plattdeutsch_1834/14>, abgerufen am 23.11.2024.