Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834.Nürnberg, Augsburg mit dem hoch gebildeten Oberitalien in Verkehr standen. Und nach dem fünfzehnten Jahrhundert! Muß ich nicht Luther selbst und die Reformation voranstellen? Darf ich verschweigen, daß die unmittelbaren Wirkungen dieser auf Jahrtausende hinauswirkenden Begebenheit, wie für ganz Deutschland, so insbesondere auch für Niedersachsen nicht glücklich, nicht segenbringend waren? Welch ein Gemälde des Innern: rabulistische Theologen, hexenriechende Juristen, blutdürstige Obrigkeiten, dumpfer Haß, ächzende Kirchengesänge, furchtbarer Wahnglaube an Zauberei, Bezauberung und Teufelsbesessenheit*). Welch ein Gemälde des Aeußeren: der dreißigjährige Krieg, Magdeburgs Untergang, Schwedens Besitznahme norddeutscher Städte und Provinzen, Hannovers Verwandlung aus früherem Reichslehn in einen Familienbesitz englischer Könige, wie schon früher und vor Luther Nordalbingien in einen Familienbesitz dänischer Könige, selbst Brandenburgs steigende Größe, die zu guter letzt die Wagschaale der Macht und des politischen Einflusses überwiegend auf jene nordöstlichen Provinzen Deutschlands niedersenkte, die von slavischer Stammbevölkerung ursprünglich der Wurzelkraft des germanischen Lebens entbehrten, aber durch Aussaugen und Anziehen germanischer Säfte und Kräfte sich konsolidirt und ausgebildet hatten. Lasse ich die schwere Kette fallen, es fehlt ihr so mancher Ring, dessen Ergänzung ich dem Geschichtforscher überlasse. Wie konnte, bei einer solchen Zahl und Reihe von Schicksalen der niedersächsische Stamm gedeihen, wie konnte sich eine *) Die Hexenprozesse, die mit wenig zahlreichen Ausnahmen erst nach der Reformation und hauptsächlich im protestantischen Norddeutschland geführt wurden und denen ein Glaube an den Einfluß böser Geister zu Grunde lag, den Luther, in melancholischen Anfällen selbst oft mit dem persönlich ihm erscheinenden Teufel ringend, nur zu sehr genährt hatte, diese Hexenprozesse haben Deutschland im 17ten Jahrhundert viellecht mehr Menschen gekostet, als Spanien die Inquisition.
Nürnberg, Augsburg mit dem hoch gebildeten Oberitalien in Verkehr standen. Und nach dem fünfzehnten Jahrhundert! Muß ich nicht Luther selbst und die Reformation voranstellen? Darf ich verschweigen, daß die unmittelbaren Wirkungen dieser auf Jahrtausende hinauswirkenden Begebenheit, wie für ganz Deutschland, so insbesondere auch für Niedersachsen nicht glücklich, nicht segenbringend waren? Welch ein Gemälde des Innern: rabulistische Theologen, hexenriechende Juristen, blutdürstige Obrigkeiten, dumpfer Haß, ächzende Kirchengesänge, furchtbarer Wahnglaube an Zauberei, Bezauberung und Teufelsbesessenheit*). Welch ein Gemälde des Aeußeren: der dreißigjährige Krieg, Magdeburgs Untergang, Schwedens Besitznahme norddeutscher Städte und Provinzen, Hannovers Verwandlung aus früherem Reichslehn in einen Familienbesitz englischer Könige, wie schon früher und vor Luther Nordalbingien in einen Familienbesitz dänischer Könige, selbst Brandenburgs steigende Größe, die zu guter letzt die Wagschaale der Macht und des politischen Einflusses überwiegend auf jene nordöstlichen Provinzen Deutschlands niedersenkte, die von slavischer Stammbevölkerung ursprünglich der Wurzelkraft des germanischen Lebens entbehrten, aber durch Aussaugen und Anziehen germanischer Säfte und Kräfte sich konsolidirt und ausgebildet hatten. Lasse ich die schwere Kette fallen, es fehlt ihr so mancher Ring, dessen Ergänzung ich dem Geschichtforscher überlasse. Wie konnte, bei einer solchen Zahl und Reihe von Schicksalen der niedersächsische Stamm gedeihen, wie konnte sich eine *) Die Hexenprozesse, die mit wenig zahlreichen Ausnahmen erst nach der Reformation und hauptsächlich im protestantischen Norddeutschland geführt wurden und denen ein Glaube an den Einfluß böser Geister zu Grunde lag, den Luther, in melancholischen Anfällen selbst oft mit dem persönlich ihm erscheinenden Teufel ringend, nur zu sehr genährt hatte, diese Hexenprozesse haben Deutschland im 17ten Jahrhundert viellecht mehr Menschen gekostet, als Spanien die Inquisition.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0015" n="15"/> Nürnberg, Augsburg mit dem hoch gebildeten Oberitalien in Verkehr standen.</p> <p>Und nach dem fünfzehnten Jahrhundert! Muß ich nicht Luther selbst und die Reformation voranstellen? Darf ich verschweigen, daß die <hi rendition="#g">unmittelbaren</hi> Wirkungen dieser auf Jahrtausende hinauswirkenden Begebenheit, wie für ganz Deutschland, so insbesondere auch für Niedersachsen nicht glücklich, nicht segenbringend waren? Welch ein Gemälde des Innern: rabulistische Theologen, hexenriechende Juristen, blutdürstige Obrigkeiten, dumpfer Haß, ächzende Kirchengesänge, furchtbarer Wahnglaube an Zauberei, Bezauberung und Teufelsbesessenheit<note place="foot" n="*)">Die Hexenprozesse, die mit wenig zahlreichen Ausnahmen erst nach der Reformation und hauptsächlich im protestantischen Norddeutschland geführt wurden und denen ein Glaube an den Einfluß böser Geister zu Grunde lag, den Luther, in melancholischen Anfällen selbst oft mit dem persönlich ihm erscheinenden Teufel ringend, nur zu sehr genährt hatte, <hi rendition="#g">diese Hexenprozesse haben Deutschland im <hi rendition="#b">17</hi>ten Jahrhundert viellecht mehr Menschen gekostet, als Spanien die Inquisition.</hi></note>. Welch ein Gemälde des Aeußeren: der dreißigjährige Krieg, Magdeburgs Untergang, Schwedens Besitznahme norddeutscher Städte und Provinzen, Hannovers Verwandlung aus früherem Reichslehn in einen Familienbesitz englischer Könige, wie schon früher und vor Luther Nordalbingien in einen Familienbesitz dänischer Könige, selbst Brandenburgs steigende Größe, die zu guter letzt die Wagschaale der Macht und des politischen Einflusses überwiegend auf jene nordöstlichen Provinzen Deutschlands niedersenkte, die von slavischer Stammbevölkerung ursprünglich der Wurzelkraft des germanischen Lebens entbehrten, aber durch Aussaugen und Anziehen germanischer Säfte und Kräfte sich konsolidirt und ausgebildet hatten.</p> <p>Lasse ich die schwere Kette fallen, es fehlt ihr so mancher Ring, dessen Ergänzung ich dem Geschichtforscher überlasse.</p> <p>Wie konnte, bei einer solchen Zahl und Reihe von Schicksalen der niedersächsische Stamm gedeihen, wie konnte sich eine </p> </div> </body> </text> </TEI> [15/0015]
Nürnberg, Augsburg mit dem hoch gebildeten Oberitalien in Verkehr standen.
Und nach dem fünfzehnten Jahrhundert! Muß ich nicht Luther selbst und die Reformation voranstellen? Darf ich verschweigen, daß die unmittelbaren Wirkungen dieser auf Jahrtausende hinauswirkenden Begebenheit, wie für ganz Deutschland, so insbesondere auch für Niedersachsen nicht glücklich, nicht segenbringend waren? Welch ein Gemälde des Innern: rabulistische Theologen, hexenriechende Juristen, blutdürstige Obrigkeiten, dumpfer Haß, ächzende Kirchengesänge, furchtbarer Wahnglaube an Zauberei, Bezauberung und Teufelsbesessenheit *). Welch ein Gemälde des Aeußeren: der dreißigjährige Krieg, Magdeburgs Untergang, Schwedens Besitznahme norddeutscher Städte und Provinzen, Hannovers Verwandlung aus früherem Reichslehn in einen Familienbesitz englischer Könige, wie schon früher und vor Luther Nordalbingien in einen Familienbesitz dänischer Könige, selbst Brandenburgs steigende Größe, die zu guter letzt die Wagschaale der Macht und des politischen Einflusses überwiegend auf jene nordöstlichen Provinzen Deutschlands niedersenkte, die von slavischer Stammbevölkerung ursprünglich der Wurzelkraft des germanischen Lebens entbehrten, aber durch Aussaugen und Anziehen germanischer Säfte und Kräfte sich konsolidirt und ausgebildet hatten.
Lasse ich die schwere Kette fallen, es fehlt ihr so mancher Ring, dessen Ergänzung ich dem Geschichtforscher überlasse.
Wie konnte, bei einer solchen Zahl und Reihe von Schicksalen der niedersächsische Stamm gedeihen, wie konnte sich eine
*) Die Hexenprozesse, die mit wenig zahlreichen Ausnahmen erst nach der Reformation und hauptsächlich im protestantischen Norddeutschland geführt wurden und denen ein Glaube an den Einfluß böser Geister zu Grunde lag, den Luther, in melancholischen Anfällen selbst oft mit dem persönlich ihm erscheinenden Teufel ringend, nur zu sehr genährt hatte, diese Hexenprozesse haben Deutschland im 17ten Jahrhundert viellecht mehr Menschen gekostet, als Spanien die Inquisition.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-11-21T08:45:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-21T08:45:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-21T08:45:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |