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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts.
gern glaubt, nur hat das Aristoteles nicht gemeint, der den Areopag "urheber
der seeschlacht bei Salamis nennt." liest man dann vollends bei Plutarch
(Th. 10) neben dieser aristotelischen fassung, dass Kleidemos gerade die
verteilung dieser wegzehrung dem Themistokles zuschrieb, der mit einem
seiner strategeme das nötige geld zu finden wusste, so ist am tage, dass
die parteileidenschaft das verdienst einer notorisch wirklich segens-
reichen massregel bald dem Themistokles, bald der verwaltungsbehörde
zu vindiciren geschäftig gewesen ist29): glauben verdient allein das factum.

Packend und anschaulich erzählt Aristoteles ein strategem, durch
das Themistokles mit hilfe des Ephialtes den Areopag stürzt. da haben
die antiken biographen einmal viel mehr takt bewiesen, indem sie die
hübsche geschichte stillschweigend verwarfen, als die modernen, die sie
als die grosse rosine in dem neuen kuchen mit besonderem wolbehagen
verspeisten.30) zeitlos überliefert, wie er sie überkam, hat die fabel den
Aristoteles getäuscht; aber indem er in der chronik nachsah, wann denn
die gesetze des Ephialtes beschlossen wären, und den archon Konon
462/1 eintrug, hat er sie eigentlich selbst widerlegt. er bedurfte eines
festen termines, da die vorherrschaft des Areopages für ihn eine be-
sondere phase der verfassungsgeschichte ist, und er wollte natürlich auch
etwas concretes über die verfassungsänderung haben, was ihm die anek-
dote nicht lieferte, daher hat er aus der chronik31) den einen paragraphen
25, 2 eingefügt, der aus der fabel ganz herausfällt und, eben durch das
datum, für sie verhängnisvoll wird. denn sie ist völlig zeitlos erfunden.
ihre voraussetzungen sind eine anzahl teils notorischer, teils glaubhafter
tatsachen. notorisch hat der Areopag das urteil über landesverrat gegen
Themistokles gefällt: das ist nach den solonischen gesetzen und in an-
betracht der stellung dieses rates in jener zeit natürlich. notorisch hat
Ephialtes den Areopag gestürzt und auch dieses recht ihm genommen.
höchst glaublich ist, dass der revolutionäre staatsmann der majorität des
collegiums, dem er angehörte, so antipathisch war, wie Appius Caecus

29) Panaitios (Cic. de off. I 75) behandelt die streitfrage, ob kriegerischer oder
friedlicher ruhm mehr wert hätte. dafür ist ihm Themistokles ein beleg, der sieger
von Salamis. denn er hat dem Areopag in nichts geholfen, wol aber der Areopag
ihm, est enim bellum gestum consilio senatus eius qui a Solone erat constitutus.
folglich steht der friedliche ruhm höher. darin ist jede beziehung auf ein concretes
factum verblasst, die antithese setzt nur eine vorherrschaft des Areopags in jener
zeit voraus, die nicht nur von philosophen sondern auch von Isokrates anerkannt war.
30) Nur R. Schöll hat sofort das exempel für die furberia des Themistokles
richtig gewürdigt.
31) Vgl. das capitel 'der Areopag vor Ephialtes.'

I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts.
gern glaubt, nur hat das Aristoteles nicht gemeint, der den Areopag “urheber
der seeschlacht bei Salamis nennt.” liest man dann vollends bei Plutarch
(Th. 10) neben dieser aristotelischen fassung, daſs Kleidemos gerade die
verteilung dieser wegzehrung dem Themistokles zuschrieb, der mit einem
seiner strategeme das nötige geld zu finden wuſste, so ist am tage, daſs
die parteileidenschaft das verdienst einer notorisch wirklich segens-
reichen maſsregel bald dem Themistokles, bald der verwaltungsbehörde
zu vindiciren geschäftig gewesen ist29): glauben verdient allein das factum.

Packend und anschaulich erzählt Aristoteles ein strategem, durch
das Themistokles mit hilfe des Ephialtes den Areopag stürzt. da haben
die antiken biographen einmal viel mehr takt bewiesen, indem sie die
hübsche geschichte stillschweigend verwarfen, als die modernen, die sie
als die groſse rosine in dem neuen kuchen mit besonderem wolbehagen
verspeisten.30) zeitlos überliefert, wie er sie überkam, hat die fabel den
Aristoteles getäuscht; aber indem er in der chronik nachsah, wann denn
die gesetze des Ephialtes beschlossen wären, und den archon Konon
462/1 eintrug, hat er sie eigentlich selbst widerlegt. er bedurfte eines
festen termines, da die vorherrschaft des Areopages für ihn eine be-
sondere phase der verfassungsgeschichte ist, und er wollte natürlich auch
etwas concretes über die verfassungsänderung haben, was ihm die anek-
dote nicht lieferte, daher hat er aus der chronik31) den einen paragraphen
25, 2 eingefügt, der aus der fabel ganz herausfällt und, eben durch das
datum, für sie verhängnisvoll wird. denn sie ist völlig zeitlos erfunden.
ihre voraussetzungen sind eine anzahl teils notorischer, teils glaubhafter
tatsachen. notorisch hat der Areopag das urteil über landesverrat gegen
Themistokles gefällt: das ist nach den solonischen gesetzen und in an-
betracht der stellung dieses rates in jener zeit natürlich. notorisch hat
Ephialtes den Areopag gestürzt und auch dieses recht ihm genommen.
höchst glaublich ist, daſs der revolutionäre staatsmann der majorität des
collegiums, dem er angehörte, so antipathisch war, wie Appius Caecus

29) Panaitios (Cic. de off. I 75) behandelt die streitfrage, ob kriegerischer oder
friedlicher ruhm mehr wert hätte. dafür ist ihm Themistokles ein beleg, der sieger
von Salamis. denn er hat dem Areopag in nichts geholfen, wol aber der Areopag
ihm, est enim bellum gestum consilio senatus eius qui a Solone erat constitutus.
folglich steht der friedliche ruhm höher. darin ist jede beziehung auf ein concretes
factum verblaſst, die antithese setzt nur eine vorherrschaft des Areopags in jener
zeit voraus, die nicht nur von philosophen sondern auch von Isokrates anerkannt war.
30) Nur R. Schöll hat sofort das exempel für die furberia des Themistokles
richtig gewürdigt.
31) Vgl. das capitel ‘der Areopag vor Ephialtes.’
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[140/0154] I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts. gern glaubt, nur hat das Aristoteles nicht gemeint, der den Areopag “urheber der seeschlacht bei Salamis nennt.” liest man dann vollends bei Plutarch (Th. 10) neben dieser aristotelischen fassung, daſs Kleidemos gerade die verteilung dieser wegzehrung dem Themistokles zuschrieb, der mit einem seiner strategeme das nötige geld zu finden wuſste, so ist am tage, daſs die parteileidenschaft das verdienst einer notorisch wirklich segens- reichen maſsregel bald dem Themistokles, bald der verwaltungsbehörde zu vindiciren geschäftig gewesen ist 29): glauben verdient allein das factum. Packend und anschaulich erzählt Aristoteles ein strategem, durch das Themistokles mit hilfe des Ephialtes den Areopag stürzt. da haben die antiken biographen einmal viel mehr takt bewiesen, indem sie die hübsche geschichte stillschweigend verwarfen, als die modernen, die sie als die groſse rosine in dem neuen kuchen mit besonderem wolbehagen verspeisten. 30) zeitlos überliefert, wie er sie überkam, hat die fabel den Aristoteles getäuscht; aber indem er in der chronik nachsah, wann denn die gesetze des Ephialtes beschlossen wären, und den archon Konon 462/1 eintrug, hat er sie eigentlich selbst widerlegt. er bedurfte eines festen termines, da die vorherrschaft des Areopages für ihn eine be- sondere phase der verfassungsgeschichte ist, und er wollte natürlich auch etwas concretes über die verfassungsänderung haben, was ihm die anek- dote nicht lieferte, daher hat er aus der chronik 31) den einen paragraphen 25, 2 eingefügt, der aus der fabel ganz herausfällt und, eben durch das datum, für sie verhängnisvoll wird. denn sie ist völlig zeitlos erfunden. ihre voraussetzungen sind eine anzahl teils notorischer, teils glaubhafter tatsachen. notorisch hat der Areopag das urteil über landesverrat gegen Themistokles gefällt: das ist nach den solonischen gesetzen und in an- betracht der stellung dieses rates in jener zeit natürlich. notorisch hat Ephialtes den Areopag gestürzt und auch dieses recht ihm genommen. höchst glaublich ist, daſs der revolutionäre staatsmann der majorität des collegiums, dem er angehörte, so antipathisch war, wie Appius Caecus 29) Panaitios (Cic. de off. I 75) behandelt die streitfrage, ob kriegerischer oder friedlicher ruhm mehr wert hätte. dafür ist ihm Themistokles ein beleg, der sieger von Salamis. denn er hat dem Areopag in nichts geholfen, wol aber der Areopag ihm, est enim bellum gestum consilio senatus eius qui a Solone erat constitutus. folglich steht der friedliche ruhm höher. darin ist jede beziehung auf ein concretes factum verblaſst, die antithese setzt nur eine vorherrschaft des Areopags in jener zeit voraus, die nicht nur von philosophen sondern auch von Isokrates anerkannt war. 30) Nur R. Schöll hat sofort das exempel für die furberia des Themistokles richtig gewürdigt. 31) Vgl. das capitel ‘der Areopag vor Ephialtes.’

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/154>, abgerufen am 24.11.2024.