Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.Themistokles. dem senat. da setzt die fabel ein, die in ihrer weise pragmatisch denThemistokles bemüht, um etwas revolutionäres durchzusetzen, weil er ein interesse daran haben musste und weil er ein ausbund von erfinde- rischer schlauheit war. der jung verstorbene, wenig berühmte Ephialtes trat in der vorstellung zurück und erschien notwendig als werkzeug: die initiative fiel dem hochberühmten hochverräter zu, wie man später Perikles als den leiter des Ephialtes angesehen hat. so hatte die geschichte auch einen befriedigenden schluss. denn auf die schuld folgte, ganz ohne genauere zeitliche fixirung, die strafe: Themistokles musste zu den Persern fliehen, Ephialtes ward ermordet. wir würden das noch deutlicher er- kennen, wenn nicht in unserer handschrift eine lücke, die sich zum glück durch die grammatische verknüpfung verrät, den bericht über das ende des Themistokles verschlungen hätte. wir können ihn nicht er- gänzen. das ende des Ephialtes wird hier unbestimmt "nicht lange zeit" nach dem sturze des Areopages angesetzt. später rechnet es Aristo- teles notgedrungen noch unter das jahr des Konon (26, 2). wir können es nicht controlliren, haben aber allen grund ihm nicht zu trauen.32) ganz ebenso steht es mit dem namen des mörders, den Antiphon (5, 68) als unbekannt hinstellt, die spätere biographie nur aus dieser stelle kennt (Plut. Per. 10). die quelle des Aristoteles war allerdings vielleicht in der lage, um den mord und den mörder zu wissen, aber vielleicht nicht minder geneigt, die wahrheit auf falsche spur zu locken: jedenfalls ist auf sie kein verlass. Die anekdote aus innern gründen zu verurteilen, ist bei unserer 32) Dass der tod des Ephialtes von den geschichtsschreibern gleich nach seinem
gesetze erzählt ward, ist natürlich, datirt ihn aber nicht. bei Diodor (XI 77) steht beides unter Phrasikleides 460/59. der archon beweist leider nicht viel, sonst möchte man gerne glauben, dass hier gesetzgebung und tod nach dem letzteren datirt wären. denn es ist historisch durchaus wahrscheinlich, dass bei dem ostrakismos im frühjahr 460 Ephialtes noch dem Kimon gegenüberstand, und seine ermordung ein werk der- selben oligarchischen erbitterung war, die mit Sparta vor dem feldzug von 457 conspirirt hat. vgl. die beilage 'der process der Eumeniden', und für die weiteren zeitansätze 'die chronologie der pentekontaetie.' Themistokles. dem senat. da setzt die fabel ein, die in ihrer weise pragmatisch denThemistokles bemüht, um etwas revolutionäres durchzusetzen, weil er ein interesse daran haben muſste und weil er ein ausbund von erfinde- rischer schlauheit war. der jung verstorbene, wenig berühmte Ephialtes trat in der vorstellung zurück und erschien notwendig als werkzeug: die initiative fiel dem hochberühmten hochverräter zu, wie man später Perikles als den leiter des Ephialtes angesehen hat. so hatte die geschichte auch einen befriedigenden schluſs. denn auf die schuld folgte, ganz ohne genauere zeitliche fixirung, die strafe: Themistokles muſste zu den Persern fliehen, Ephialtes ward ermordet. wir würden das noch deutlicher er- kennen, wenn nicht in unserer handschrift eine lücke, die sich zum glück durch die grammatische verknüpfung verrät, den bericht über das ende des Themistokles verschlungen hätte. wir können ihn nicht er- gänzen. das ende des Ephialtes wird hier unbestimmt “nicht lange zeit” nach dem sturze des Areopages angesetzt. später rechnet es Aristo- teles notgedrungen noch unter das jahr des Konon (26, 2). wir können es nicht controlliren, haben aber allen grund ihm nicht zu trauen.32) ganz ebenso steht es mit dem namen des mörders, den Antiphon (5, 68) als unbekannt hinstellt, die spätere biographie nur aus dieser stelle kennt (Plut. Per. 10). die quelle des Aristoteles war allerdings vielleicht in der lage, um den mord und den mörder zu wissen, aber vielleicht nicht minder geneigt, die wahrheit auf falsche spur zu locken: jedenfalls ist auf sie kein verlaſs. Die anekdote aus innern gründen zu verurteilen, ist bei unserer 32) Daſs der tod des Ephialtes von den geschichtsschreibern gleich nach seinem
gesetze erzählt ward, ist natürlich, datirt ihn aber nicht. bei Diodor (XI 77) steht beides unter Phrasikleides 460/59. der archon beweist leider nicht viel, sonst möchte man gerne glauben, daſs hier gesetzgebung und tod nach dem letzteren datirt wären. denn es ist historisch durchaus wahrscheinlich, daſs bei dem ostrakismos im frühjahr 460 Ephialtes noch dem Kimon gegenüberstand, und seine ermordung ein werk der- selben oligarchischen erbitterung war, die mit Sparta vor dem feldzug von 457 conspirirt hat. vgl. die beilage ‘der proceſs der Eumeniden’, und für die weiteren zeitansätze ‘die chronologie der pentekontaetie.’ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0155" n="141"/><fw place="top" type="header">Themistokles.</fw><lb/> dem senat. da setzt die fabel ein, die in ihrer weise pragmatisch den<lb/> Themistokles bemüht, um etwas revolutionäres durchzusetzen, weil er<lb/> ein interesse daran haben muſste und weil er ein ausbund von erfinde-<lb/> rischer schlauheit war. der jung verstorbene, wenig berühmte Ephialtes<lb/> trat in der vorstellung zurück und erschien notwendig als werkzeug: die<lb/> initiative fiel dem hochberühmten hochverräter zu, wie man später Perikles<lb/> als den leiter des Ephialtes angesehen hat. so hatte die geschichte auch<lb/> einen befriedigenden schluſs. denn auf die schuld folgte, ganz ohne<lb/> genauere zeitliche fixirung, die strafe: Themistokles muſste zu den Persern<lb/> fliehen, Ephialtes ward ermordet. wir würden das noch deutlicher er-<lb/> kennen, wenn nicht in unserer handschrift eine lücke, die sich zum<lb/> glück durch die grammatische verknüpfung verrät, den bericht über das<lb/> ende des Themistokles verschlungen hätte. wir können ihn nicht er-<lb/> gänzen. das ende des Ephialtes wird hier unbestimmt “nicht lange<lb/> zeit” nach dem sturze des Areopages angesetzt. später rechnet es Aristo-<lb/> teles notgedrungen noch unter das jahr des Konon (26, 2). wir können<lb/> es nicht controlliren, haben aber allen grund ihm nicht zu trauen.<note place="foot" n="32)">Daſs der tod des Ephialtes von den geschichtsschreibern gleich nach seinem<lb/> gesetze erzählt ward, ist natürlich, datirt ihn aber nicht. bei Diodor (XI 77) steht<lb/> beides unter Phrasikleides 460/59. der archon beweist leider nicht viel, sonst möchte<lb/> man gerne glauben, daſs hier gesetzgebung und tod nach dem letzteren datirt wären.<lb/> denn es ist historisch durchaus wahrscheinlich, daſs bei dem ostrakismos im frühjahr<lb/> 460 Ephialtes noch dem Kimon gegenüberstand, und seine ermordung ein werk der-<lb/> selben oligarchischen erbitterung war, die mit Sparta vor dem feldzug von 457<lb/> conspirirt hat. vgl. die beilage ‘der proceſs der Eumeniden’, und für die weiteren<lb/> zeitansätze ‘die chronologie der pentekontaetie.’</note><lb/> ganz ebenso steht es mit dem namen des mörders, den Antiphon (5, 68)<lb/> als unbekannt hinstellt, die spätere biographie nur aus dieser stelle kennt<lb/> (Plut. Per. 10). die quelle des Aristoteles war allerdings vielleicht in<lb/> der lage, um den mord und den mörder zu wissen, aber vielleicht nicht<lb/> minder geneigt, die wahrheit auf falsche spur zu locken: jedenfalls ist<lb/> auf sie kein verlaſs.</p><lb/> <p>Die anekdote aus innern gründen zu verurteilen, ist bei unserer<lb/> geringen kenntnis der personen unmöglich. aber so etwas richtet sich am<lb/> besten durch seine chronologischen consequenzen. daſs Themistokles durch<lb/> scherbengericht verbannt war, als die anklage wegen hochverrates ihn er-<lb/> eilte, ist auf das sicherste bezeugt, durch Thukydides und Platon (Gorg. 516),<lb/> von andern abgesehen: das ist entweder alles falsch um dieser anekdote<lb/> willen, oder Themistokles ist frühestens 461 dem scherbengericht erlegen,<lb/> in wahrheit später, da er ja zunächst über den Areopag siegte, die erste<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [141/0155]
Themistokles.
dem senat. da setzt die fabel ein, die in ihrer weise pragmatisch den
Themistokles bemüht, um etwas revolutionäres durchzusetzen, weil er
ein interesse daran haben muſste und weil er ein ausbund von erfinde-
rischer schlauheit war. der jung verstorbene, wenig berühmte Ephialtes
trat in der vorstellung zurück und erschien notwendig als werkzeug: die
initiative fiel dem hochberühmten hochverräter zu, wie man später Perikles
als den leiter des Ephialtes angesehen hat. so hatte die geschichte auch
einen befriedigenden schluſs. denn auf die schuld folgte, ganz ohne
genauere zeitliche fixirung, die strafe: Themistokles muſste zu den Persern
fliehen, Ephialtes ward ermordet. wir würden das noch deutlicher er-
kennen, wenn nicht in unserer handschrift eine lücke, die sich zum
glück durch die grammatische verknüpfung verrät, den bericht über das
ende des Themistokles verschlungen hätte. wir können ihn nicht er-
gänzen. das ende des Ephialtes wird hier unbestimmt “nicht lange
zeit” nach dem sturze des Areopages angesetzt. später rechnet es Aristo-
teles notgedrungen noch unter das jahr des Konon (26, 2). wir können
es nicht controlliren, haben aber allen grund ihm nicht zu trauen. 32)
ganz ebenso steht es mit dem namen des mörders, den Antiphon (5, 68)
als unbekannt hinstellt, die spätere biographie nur aus dieser stelle kennt
(Plut. Per. 10). die quelle des Aristoteles war allerdings vielleicht in
der lage, um den mord und den mörder zu wissen, aber vielleicht nicht
minder geneigt, die wahrheit auf falsche spur zu locken: jedenfalls ist
auf sie kein verlaſs.
Die anekdote aus innern gründen zu verurteilen, ist bei unserer
geringen kenntnis der personen unmöglich. aber so etwas richtet sich am
besten durch seine chronologischen consequenzen. daſs Themistokles durch
scherbengericht verbannt war, als die anklage wegen hochverrates ihn er-
eilte, ist auf das sicherste bezeugt, durch Thukydides und Platon (Gorg. 516),
von andern abgesehen: das ist entweder alles falsch um dieser anekdote
willen, oder Themistokles ist frühestens 461 dem scherbengericht erlegen,
in wahrheit später, da er ja zunächst über den Areopag siegte, die erste
32) Daſs der tod des Ephialtes von den geschichtsschreibern gleich nach seinem
gesetze erzählt ward, ist natürlich, datirt ihn aber nicht. bei Diodor (XI 77) steht
beides unter Phrasikleides 460/59. der archon beweist leider nicht viel, sonst möchte
man gerne glauben, daſs hier gesetzgebung und tod nach dem letzteren datirt wären.
denn es ist historisch durchaus wahrscheinlich, daſs bei dem ostrakismos im frühjahr
460 Ephialtes noch dem Kimon gegenüberstand, und seine ermordung ein werk der-
selben oligarchischen erbitterung war, die mit Sparta vor dem feldzug von 457
conspirirt hat. vgl. die beilage ‘der proceſs der Eumeniden’, und für die weiteren
zeitansätze ‘die chronologie der pentekontaetie.’
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