Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.I. 8. Die Atthis. musste die geschichte möglichst in Solons jugend schieben, wobei not-gedrungen irgendwie ein späterer verlust von Salamis eingeschoben werden musste. dass beides versucht ist, spürt man in den verschiedenen berichten; schon der eine Plutarch zeigt es genugsam. Aristoteles be- trachtet seinerseits als sicher, dass die geschichte in Solons jugend fällt, und weist demnach die beteiligung des Peisistratos zurück: die also auch schon erzählt war. dies schliesst in sich, dass er die ganze novelle ernst genommen hat. dies nun hier zu finden ist für die, welche es auch früher schon bei ihm gelesen hatten, nicht überraschend. er operirt mit Solons wahnsinn in den Homerischen fragen, bei Porphyrios zu B 183. aber die sich durch seine autorität früher nicht haben beirren lassen, werden es nun erst recht nicht tun, wo am tage liegt, dass er einfach von der Atthis abhängig ist. diese kann auf keine höhere gel- tung anspruch machen als ihr niederschlag, die geschichten, wie sie z. b. Demosthenes erzählt, weil sie hier ja nicht mit festen daten und schlichten facten operirt, sondern eine ausdeutung eines gedichtes liefert, die wir durchschauen und damit beseitigen. es bleibt nach wie vor die frage, wann hat Solon jenes gedicht gemacht? und die einfache ant- wort, damals als die Athener um Salamis stritten, als greis, ist nicht um ein atom unwahrscheinlicher geworden. soll etwa nicht ein dichter sagen 'wolan denn, ziehen wir in den kampf', auch wenn er selbst nicht mehr den harnisch tragen wird? und wer weiss denn, ob er 15 jahre ehe er nur die rüstung vor die tür stellte, nicht zu felde zog wie Nestor oder 411 Polystratos? das stilgefühl, zehn versen anzuriechen, dass sie nur ein jüngling geschrieben haben könne, ist etwas was ich auch nur von den göttern zu erbitten für überhebung halten würde. aber ich weiss, wie das vermeintliche stilgefühl die urkundliche über- lieferung hat zerstören wollen, weil der Oedipus auf Kolonos nicht das werk eines neunzigjährigen sein sollte. und ich weiss, dass kriegslieder anders klingen als selbstbetrachtungen. so bleibt es denn dabei: in Solons jugend, wo Athen an den schwersten classenkämpfen krankt, Megara mächtig dasteht, pflanzstädte in beide meere sendet, wo im ver- trauen auf Megaras hilfe Kylon nach der gewaltherrschaft Athens strebt, hat Athen Salamis noch nicht erworben. erst mit seinem wirtschaft- lichen aufschwunge hat es sich energisch daran gemacht: nach Solon. die kämpfe mit Megara (in denen dieses Eleusis gern erworben hätte; in dessen verteidigung ist Tellos 16) gefallen) haben Athens kraft gestärkt; 16) Herodot I 30 Tellos kürzester kurzname wie Teles mit der boeotischen
verdoppelung des schlussconsonanten. der vollname ist Telesi-dromos oder so etwas. I. 8. Die Atthis. muſste die geschichte möglichst in Solons jugend schieben, wobei not-gedrungen irgendwie ein späterer verlust von Salamis eingeschoben werden muſste. daſs beides versucht ist, spürt man in den verschiedenen berichten; schon der eine Plutarch zeigt es genugsam. Aristoteles be- trachtet seinerseits als sicher, daſs die geschichte in Solons jugend fällt, und weist demnach die beteiligung des Peisistratos zurück: die also auch schon erzählt war. dies schlieſst in sich, daſs er die ganze novelle ernst genommen hat. dies nun hier zu finden ist für die, welche es auch früher schon bei ihm gelesen hatten, nicht überraschend. er operirt mit Solons wahnsinn in den Homerischen fragen, bei Porphyrios zu B 183. aber die sich durch seine autorität früher nicht haben beirren lassen, werden es nun erst recht nicht tun, wo am tage liegt, daſs er einfach von der Atthis abhängig ist. diese kann auf keine höhere gel- tung anspruch machen als ihr niederschlag, die geschichten, wie sie z. b. Demosthenes erzählt, weil sie hier ja nicht mit festen daten und schlichten facten operirt, sondern eine ausdeutung eines gedichtes liefert, die wir durchschauen und damit beseitigen. es bleibt nach wie vor die frage, wann hat Solon jenes gedicht gemacht? und die einfache ant- wort, damals als die Athener um Salamis stritten, als greis, ist nicht um ein atom unwahrscheinlicher geworden. soll etwa nicht ein dichter sagen ‘wolan denn, ziehen wir in den kampf’, auch wenn er selbst nicht mehr den harnisch tragen wird? und wer weiſs denn, ob er 15 jahre ehe er nur die rüstung vor die tür stellte, nicht zu felde zog wie Nestor oder 411 Polystratos? das stilgefühl, zehn versen anzuriechen, daſs sie nur ein jüngling geschrieben haben könne, ist etwas was ich auch nur von den göttern zu erbitten für überhebung halten würde. aber ich weiſs, wie das vermeintliche stilgefühl die urkundliche über- lieferung hat zerstören wollen, weil der Oedipus auf Kolonos nicht das werk eines neunzigjährigen sein sollte. und ich weiſs, daſs kriegslieder anders klingen als selbstbetrachtungen. so bleibt es denn dabei: in Solons jugend, wo Athen an den schwersten classenkämpfen krankt, Megara mächtig dasteht, pflanzstädte in beide meere sendet, wo im ver- trauen auf Megaras hilfe Kylon nach der gewaltherrschaft Athens strebt, hat Athen Salamis noch nicht erworben. erst mit seinem wirtschaft- lichen aufschwunge hat es sich energisch daran gemacht: nach Solon. die kämpfe mit Megara (in denen dieses Eleusis gern erworben hätte; in dessen verteidigung ist Tellos 16) gefallen) haben Athens kraft gestärkt; 16) Herodot I 30 Τέλλος kürzester kurzname wie Τέλης mit der boeotischen
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I. 8. Die Atthis.
muſste die geschichte möglichst in Solons jugend schieben, wobei not-
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werden muſste. daſs beides versucht ist, spürt man in den verschiedenen
berichten; schon der eine Plutarch zeigt es genugsam. Aristoteles be-
trachtet seinerseits als sicher, daſs die geschichte in Solons jugend fällt,
und weist demnach die beteiligung des Peisistratos zurück: die also auch
schon erzählt war. dies schlieſst in sich, daſs er die ganze novelle ernst
genommen hat. dies nun hier zu finden ist für die, welche es auch
früher schon bei ihm gelesen hatten, nicht überraschend. er operirt
mit Solons wahnsinn in den Homerischen fragen, bei Porphyrios zu
B 183. aber die sich durch seine autorität früher nicht haben beirren
lassen, werden es nun erst recht nicht tun, wo am tage liegt, daſs er
einfach von der Atthis abhängig ist. diese kann auf keine höhere gel-
tung anspruch machen als ihr niederschlag, die geschichten, wie sie
z. b. Demosthenes erzählt, weil sie hier ja nicht mit festen daten und
schlichten facten operirt, sondern eine ausdeutung eines gedichtes liefert,
die wir durchschauen und damit beseitigen. es bleibt nach wie vor die
frage, wann hat Solon jenes gedicht gemacht? und die einfache ant-
wort, damals als die Athener um Salamis stritten, als greis, ist nicht
um ein atom unwahrscheinlicher geworden. soll etwa nicht ein dichter
sagen ‘wolan denn, ziehen wir in den kampf’, auch wenn er selbst
nicht mehr den harnisch tragen wird? und wer weiſs denn, ob er
15 jahre ehe er nur die rüstung vor die tür stellte, nicht zu felde zog
wie Nestor oder 411 Polystratos? das stilgefühl, zehn versen anzuriechen,
daſs sie nur ein jüngling geschrieben haben könne, ist etwas was ich
auch nur von den göttern zu erbitten für überhebung halten würde.
aber ich weiſs, wie das vermeintliche stilgefühl die urkundliche über-
lieferung hat zerstören wollen, weil der Oedipus auf Kolonos nicht das
werk eines neunzigjährigen sein sollte. und ich weiſs, daſs kriegslieder
anders klingen als selbstbetrachtungen. so bleibt es denn dabei: in
Solons jugend, wo Athen an den schwersten classenkämpfen krankt,
Megara mächtig dasteht, pflanzstädte in beide meere sendet, wo im ver-
trauen auf Megaras hilfe Kylon nach der gewaltherrschaft Athens strebt,
hat Athen Salamis noch nicht erworben. erst mit seinem wirtschaft-
lichen aufschwunge hat es sich energisch daran gemacht: nach Solon.
die kämpfe mit Megara (in denen dieses Eleusis gern erworben hätte; in
dessen verteidigung ist Tellos 16) gefallen) haben Athens kraft gestärkt;
16) Herodot I 30 Τέλλος kürzester kurzname wie Τέλης mit der boeotischen
verdoppelung des schluſsconsonanten. der vollname ist Τελεσί-δϱομος oder so etwas.
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