Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches. vom Erhabnen sagen. Platon weiss es selbst, es ist muthologia, eingott wolgefälliges spiel mit märchen. weit gefehlt, dass das realität werden könnte oder sollte: die künstlerische kraft, vielleicht sogar der wille ist nicht mehr vorhanden, diese skizzen zu einer einheit oder dem scheine einer einheit zu formen. er schreibt nur weiter und weiter, bis ihm der tod die feder aus der hand nimmt. wir aber ehren und lieben auch des greises werk als ein heiliges vermächtnis; in seinen sprüngen widersprüchen und wunderlichkeiten können wir den greis nicht verkennen, und wenn auch hier goldes genug vorhanden ist um dutzende von armen schächern reich zu machen: der Platon, der uns den weg zum himmel weiset, ist der des Staates, nicht der der Gesetze. So hat auch Aristoteles geurteilt, der sogar den Gesetzen, so viel 28) Wenigstens hat er ihre widerlegung in der Politik so oberflächlich ge- halten, dass er den vorwurf der flüchtigkeit nicht abweisen kann. dass er ein ganz anderes buch vor augen gehabt hätte, ist nur einer der tollen einfälle, die ein an- fänger gehabt zu haben sich nie zu schämen braucht, und dass solche windeln auf die zäune kommen, ist auch berechtigt. aber man kann es der sonne überlassen, sie zu trocknen. 29) Dieser gegensatz der beiden einander ergänzenden naturen hat verschuldet,
dass Aristoteles dem dichter in Platon nicht ganz hat folgen können. das würde nichts schaden, wenn nicht die späteren bis auf den heutigen tag sich allzusehr dieses interpreten bedienten. was mythos ist, ist poesie, und gerade wenn der dichter sagt 'so ist's, ich weiss es ganz bestimmt', so ist es am wenigsten erlaubt, ihn als philosophen beim worte zu nehmen. dichtung, nichts als eine grossartige dichtung, ist die weltschöpfung, mögen auch die christen sich ihren glauben daraus verfertigt haben; dichtung sind die schilderungen des erdinnern im Phaidon, sind die verschiedenen eschatologien, mögen wieder die christen sie als realitäten behandelt haben. was sich der wissenschaft entzieht oder noch entzieht, darüber weiss der dichter allerdings das beste zu sagen. der philosoph kann sich, muss sich vielmehr bescheiden: aber er tut unrecht, wenn er gegen die dichtung gleich als ob sie wissenschaftliche behauptungen gäbe, polemisirt, nicht anders als wer sie im glauben als bare münze nimmt. der gegensatz zwischen Platon und Aristoteles über den anfang der welt ist eigentlich gegenstandslos; aber Xenokrates hat den Timaios richtiger beurteilt als Aristoteles. der demiurg schafft im grunde I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches. vom Erhabnen sagen. Platon weiſs es selbst, es ist μυϑολογία, eingott wolgefälliges spiel mit märchen. weit gefehlt, daſs das realität werden könnte oder sollte: die künstlerische kraft, vielleicht sogar der wille ist nicht mehr vorhanden, diese skizzen zu einer einheit oder dem scheine einer einheit zu formen. er schreibt nur weiter und weiter, bis ihm der tod die feder aus der hand nimmt. wir aber ehren und lieben auch des greises werk als ein heiliges vermächtnis; in seinen sprüngen widersprüchen und wunderlichkeiten können wir den greis nicht verkennen, und wenn auch hier goldes genug vorhanden ist um dutzende von armen schächern reich zu machen: der Platon, der uns den weg zum himmel weiset, ist der des Staates, nicht der der Gesetze. So hat auch Aristoteles geurteilt, der sogar den Gesetzen, so viel 28) Wenigstens hat er ihre widerlegung in der Politik so oberflächlich ge- halten, daſs er den vorwurf der flüchtigkeit nicht abweisen kann. daſs er ein ganz anderes buch vor augen gehabt hätte, ist nur einer der tollen einfälle, die ein an- fänger gehabt zu haben sich nie zu schämen braucht, und daſs solche windeln auf die zäune kommen, ist auch berechtigt. aber man kann es der sonne überlassen, sie zu trocknen. 29) Dieser gegensatz der beiden einander ergänzenden naturen hat verschuldet,
daſs Aristoteles dem dichter in Platon nicht ganz hat folgen können. das würde nichts schaden, wenn nicht die späteren bis auf den heutigen tag sich allzusehr dieses interpreten bedienten. was mythos ist, ist poesie, und gerade wenn der dichter sagt ‘so ist’s, ich weiſs es ganz bestimmt’, so ist es am wenigsten erlaubt, ihn als philosophen beim worte zu nehmen. dichtung, nichts als eine groſsartige dichtung, ist die weltschöpfung, mögen auch die christen sich ihren glauben daraus verfertigt haben; dichtung sind die schilderungen des erdinnern im Phaidon, sind die verschiedenen eschatologien, mögen wieder die christen sie als realitäten behandelt haben. was sich der wissenschaft entzieht oder noch entzieht, darüber weiſs der dichter allerdings das beste zu sagen. der philosoph kann sich, muſs sich vielmehr bescheiden: aber er tut unrecht, wenn er gegen die dichtung gleich als ob sie wissenschaftliche behauptungen gäbe, polemisirt, nicht anders als wer sie im glauben als bare münze nimmt. der gegensatz zwischen Platon und Aristoteles über den anfang der welt ist eigentlich gegenstandslos; aber Xenokrates hat den Timaios richtiger beurteilt als Aristoteles. der demiurg schafft im grunde <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0346" n="332"/><fw place="top" type="header">I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.</fw><lb/> vom Erhabnen sagen. Platon weiſs es selbst, es ist μυϑολογία, ein<lb/> gott wolgefälliges spiel mit märchen. weit gefehlt, daſs das realität<lb/> werden könnte oder sollte: die künstlerische kraft, vielleicht sogar der<lb/> wille ist nicht mehr vorhanden, diese skizzen zu einer einheit oder dem<lb/> scheine einer einheit zu formen. er schreibt nur weiter und weiter,<lb/> bis ihm der tod die feder aus der hand nimmt. wir aber ehren und<lb/> lieben auch des greises werk als ein heiliges vermächtnis; in seinen<lb/> sprüngen widersprüchen und wunderlichkeiten können wir den greis<lb/> nicht verkennen, und wenn auch hier goldes genug vorhanden ist um<lb/> dutzende von armen schächern reich zu machen: der Platon, der uns<lb/> den weg zum himmel weiset, ist der des Staates, nicht der der Gesetze.</p><lb/> <p>So hat auch Aristoteles geurteilt, der sogar den Gesetzen, so viel<lb/> anregung für das einzelne sie ihm gegeben haben, im ganzen vielleicht<lb/> weniger studium zugewandt hat, als sie verdienen<note place="foot" n="28)">Wenigstens hat er ihre widerlegung in der Politik so oberflächlich ge-<lb/> halten, daſs er den vorwurf der flüchtigkeit nicht abweisen kann. daſs er ein ganz<lb/> anderes buch vor augen gehabt hätte, ist nur einer der tollen einfälle, die ein an-<lb/> fänger gehabt zu haben sich nie zu schämen braucht, und daſs solche windeln auf<lb/> die zäune kommen, ist auch berechtigt. aber man kann es der sonne überlassen,<lb/> sie zu trocknen.</note>; sie erschienen ja<lb/> auch erst, als er von Athen schon entfernt war, und für die leute die<lb/> damals in der Akademie geboten, hatte er wenig übrig. aber so lange<lb/> Platon lebte, hat er treulich ausgehalten, unbeirrt dadurch, daſs er die<lb/> ganze letzte phase von Platons philosophiren innerlich nicht mitmachen<lb/> konnte, und je mehr er seiner selbst sich bewuſst ward, auch das durch-<lb/> schaute, was ihn zu seinem lehrer in gegensatz stellt.<note xml:id="note-0346" next="#note-0347" place="foot" n="29)">Dieser gegensatz der beiden einander ergänzenden naturen hat verschuldet,<lb/> daſs Aristoteles dem dichter in Platon nicht ganz hat folgen können. das würde<lb/> nichts schaden, wenn nicht die späteren bis auf den heutigen tag sich allzusehr<lb/> dieses interpreten bedienten. was mythos ist, ist poesie, und gerade wenn der<lb/> dichter sagt ‘so ist’s, ich weiſs es ganz bestimmt’, so ist es am wenigsten erlaubt,<lb/> ihn als philosophen beim worte zu nehmen. dichtung, nichts als eine groſsartige<lb/> dichtung, ist die weltschöpfung, mögen auch die christen sich ihren glauben<lb/> daraus verfertigt haben; dichtung sind die schilderungen des erdinnern im Phaidon,<lb/> sind die verschiedenen eschatologien, mögen wieder die christen sie als realitäten<lb/> behandelt haben. was sich der wissenschaft entzieht oder noch entzieht, darüber<lb/> weiſs der dichter allerdings das beste zu sagen. der philosoph kann sich, muſs<lb/> sich vielmehr bescheiden: aber er tut unrecht, wenn er gegen die dichtung gleich<lb/> als ob sie wissenschaftliche behauptungen gäbe, polemisirt, nicht anders als<lb/> wer sie im glauben als bare münze nimmt. der gegensatz zwischen Platon und<lb/> Aristoteles über den anfang der welt ist eigentlich gegenstandslos; aber Xenokrates<lb/> hat den Timaios richtiger beurteilt als Aristoteles. der demiurg schafft im grunde</note> seine logik<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [332/0346]
I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
vom Erhabnen sagen. Platon weiſs es selbst, es ist μυϑολογία, ein
gott wolgefälliges spiel mit märchen. weit gefehlt, daſs das realität
werden könnte oder sollte: die künstlerische kraft, vielleicht sogar der
wille ist nicht mehr vorhanden, diese skizzen zu einer einheit oder dem
scheine einer einheit zu formen. er schreibt nur weiter und weiter,
bis ihm der tod die feder aus der hand nimmt. wir aber ehren und
lieben auch des greises werk als ein heiliges vermächtnis; in seinen
sprüngen widersprüchen und wunderlichkeiten können wir den greis
nicht verkennen, und wenn auch hier goldes genug vorhanden ist um
dutzende von armen schächern reich zu machen: der Platon, der uns
den weg zum himmel weiset, ist der des Staates, nicht der der Gesetze.
So hat auch Aristoteles geurteilt, der sogar den Gesetzen, so viel
anregung für das einzelne sie ihm gegeben haben, im ganzen vielleicht
weniger studium zugewandt hat, als sie verdienen 28); sie erschienen ja
auch erst, als er von Athen schon entfernt war, und für die leute die
damals in der Akademie geboten, hatte er wenig übrig. aber so lange
Platon lebte, hat er treulich ausgehalten, unbeirrt dadurch, daſs er die
ganze letzte phase von Platons philosophiren innerlich nicht mitmachen
konnte, und je mehr er seiner selbst sich bewuſst ward, auch das durch-
schaute, was ihn zu seinem lehrer in gegensatz stellt. 29) seine logik
28) Wenigstens hat er ihre widerlegung in der Politik so oberflächlich ge-
halten, daſs er den vorwurf der flüchtigkeit nicht abweisen kann. daſs er ein ganz
anderes buch vor augen gehabt hätte, ist nur einer der tollen einfälle, die ein an-
fänger gehabt zu haben sich nie zu schämen braucht, und daſs solche windeln auf
die zäune kommen, ist auch berechtigt. aber man kann es der sonne überlassen,
sie zu trocknen.
29) Dieser gegensatz der beiden einander ergänzenden naturen hat verschuldet,
daſs Aristoteles dem dichter in Platon nicht ganz hat folgen können. das würde
nichts schaden, wenn nicht die späteren bis auf den heutigen tag sich allzusehr
dieses interpreten bedienten. was mythos ist, ist poesie, und gerade wenn der
dichter sagt ‘so ist’s, ich weiſs es ganz bestimmt’, so ist es am wenigsten erlaubt,
ihn als philosophen beim worte zu nehmen. dichtung, nichts als eine groſsartige
dichtung, ist die weltschöpfung, mögen auch die christen sich ihren glauben
daraus verfertigt haben; dichtung sind die schilderungen des erdinnern im Phaidon,
sind die verschiedenen eschatologien, mögen wieder die christen sie als realitäten
behandelt haben. was sich der wissenschaft entzieht oder noch entzieht, darüber
weiſs der dichter allerdings das beste zu sagen. der philosoph kann sich, muſs
sich vielmehr bescheiden: aber er tut unrecht, wenn er gegen die dichtung gleich
als ob sie wissenschaftliche behauptungen gäbe, polemisirt, nicht anders als
wer sie im glauben als bare münze nimmt. der gegensatz zwischen Platon und
Aristoteles über den anfang der welt ist eigentlich gegenstandslos; aber Xenokrates
hat den Timaios richtiger beurteilt als Aristoteles. der demiurg schafft im grunde
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