Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.Athen 338--323. im Areopagitikos mit allgemeinen redensarten gepredigt hatte. der nim-bus der heiligkeit und unsträflichkeit, der jenen alten rat umschwebte, gewann in zeiten tiefer erregung stärkeren glanz. man erwartete und ertrug, ja man forderte sein eingreifen, gleich als ob er noch die ver- fassungsmässigen rechte hätte wie 480, und der Areopagit Autolykos musste es bitter büssen, dass er nicht die persönliche haltung in der stunde der gefahr bewährt hatte, die man von dem hohen rate verlangte. die sitten der altvordern mussten wiederkehren, das ahnte man, wenn taten erwachsen sollten, die die alte herrlichkeit zurückführten. die restauratoren werden es oft schwer empfunden haben, dass die demokra- tischen prinzipien eine energische sittencontrolle und scharfe luxusgesetze nicht verstatteten, und dem Lykurgos kam der wunsch nach einer derben peitsche für den demos über die lippen. auf einem gebiete brachte man es aber zu einer wirklichen reform, und da trug man sogar der Sokratik rechnung. der staat organisirte die erziehung der epheben. er belastete das budget mit ihrer unterhaltung, casernirte sie, stellte lehrer für sie an und suchte die väter selbst an dem erziehungswerke zu in- teressiren; es ist als ob sie, wenn nicht gerade den ächten Platon, so doch den Kleitophon gelesen hätten. sophrones sollen die attischen jünglinge werden, es soll nicht mehr zugehn, wie es Demosthenes in der rede wider Konon von einer militärischen übung erzählt: deshalb werden sophronistai angestellt. kosmioi sollen sie werden, wie es historiker und philosophen von den dorischen jünglingsherden rühmten: deshalb wird ein kosmetes gewählt. aber im dienste der heimischen götter soll es geschehen, nicht wie der sophist Sokrates mit neuen göttern die jünglinge verdarb und einen Kritias erzog: der zweijährige dienst be- ginnt mit einer besichtigung der öffentlichen heiligtümer. es ist Ari- stoteles, dem wir die schilderung dieser institution verdanken: er hat sie in die Politie eingelegt; aber in der Politik kommt sie nicht vor, einen wert hat er ihr also nicht beigemessen. das praktisch bedeutungsvollste jedoch waren neuordnungen der magistratur, die sich von den altdemo- kratischen traditionen sehr weit entfernten. man brach mit der jährigen befristung für die eigentlich entscheidenden finanzämter, die verwalter der spielgelder und den schatzmeister der kriegscasse, und dass dieser nur einer war, schliesst den noch viel bedeutenderen bruch mit der colle- gialität in sich. man gab für diese stellen das los in jeder form auf, erwählte sie vielmehr ganz wie die offiziere. diese beamten coope- rirten aber mit dem rate; sie hatten bei der verpachtung der zölle steuern und bergwerke mitzuwirken, der schatzmeister auch bei den neuan- v. Wilamowitz, Aristoteles. I. 23
Athen 338—323. im Areopagitikos mit allgemeinen redensarten gepredigt hatte. der nim-bus der heiligkeit und unsträflichkeit, der jenen alten rat umschwebte, gewann in zeiten tiefer erregung stärkeren glanz. man erwartete und ertrug, ja man forderte sein eingreifen, gleich als ob er noch die ver- fassungsmäſsigen rechte hätte wie 480, und der Areopagit Autolykos muſste es bitter büſsen, dass er nicht die persönliche haltung in der stunde der gefahr bewährt hatte, die man von dem hohen rate verlangte. die sitten der altvordern muſsten wiederkehren, das ahnte man, wenn taten erwachsen sollten, die die alte herrlichkeit zurückführten. die restauratoren werden es oft schwer empfunden haben, daſs die demokra- tischen prinzipien eine energische sittencontrolle und scharfe luxusgesetze nicht verstatteten, und dem Lykurgos kam der wunsch nach einer derben peitsche für den demos über die lippen. auf einem gebiete brachte man es aber zu einer wirklichen reform, und da trug man sogar der Sokratik rechnung. der staat organisirte die erziehung der epheben. er belastete das budget mit ihrer unterhaltung, casernirte sie, stellte lehrer für sie an und suchte die väter selbst an dem erziehungswerke zu in- teressiren; es ist als ob sie, wenn nicht gerade den ächten Platon, so doch den Kleitophon gelesen hätten. σώφϱονες sollen die attischen jünglinge werden, es soll nicht mehr zugehn, wie es Demosthenes in der rede wider Konon von einer militärischen übung erzählt: deshalb werden σωφϱονισταί angestellt. κόσμιοι sollen sie werden, wie es historiker und philosophen von den dorischen jünglingsherden rühmten: deshalb wird ein κοσμητής gewählt. aber im dienste der heimischen götter soll es geschehen, nicht wie der sophist Sokrates mit neuen göttern die jünglinge verdarb und einen Kritias erzog: der zweijährige dienst be- ginnt mit einer besichtigung der öffentlichen heiligtümer. es ist Ari- stoteles, dem wir die schilderung dieser institution verdanken: er hat sie in die Politie eingelegt; aber in der Politik kommt sie nicht vor, einen wert hat er ihr also nicht beigemessen. das praktisch bedeutungsvollste jedoch waren neuordnungen der magistratur, die sich von den altdemo- kratischen traditionen sehr weit entfernten. man brach mit der jährigen befristung für die eigentlich entscheidenden finanzämter, die verwalter der spielgelder und den schatzmeister der kriegscasse, und daſs dieser nur einer war, schlieſst den noch viel bedeutenderen bruch mit der colle- gialität in sich. man gab für diese stellen das los in jeder form auf, erwählte sie vielmehr ganz wie die offiziere. diese beamten coope- rirten aber mit dem rate; sie hatten bei der verpachtung der zölle steuern und bergwerke mitzuwirken, der schatzmeister auch bei den neuan- v. Wilamowitz, Aristoteles. I. 23
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Athen 338—323.
im Areopagitikos mit allgemeinen redensarten gepredigt hatte. der nim-
bus der heiligkeit und unsträflichkeit, der jenen alten rat umschwebte,
gewann in zeiten tiefer erregung stärkeren glanz. man erwartete und
ertrug, ja man forderte sein eingreifen, gleich als ob er noch die ver-
fassungsmäſsigen rechte hätte wie 480, und der Areopagit Autolykos
muſste es bitter büſsen, dass er nicht die persönliche haltung in der
stunde der gefahr bewährt hatte, die man von dem hohen rate verlangte.
die sitten der altvordern muſsten wiederkehren, das ahnte man, wenn
taten erwachsen sollten, die die alte herrlichkeit zurückführten. die
restauratoren werden es oft schwer empfunden haben, daſs die demokra-
tischen prinzipien eine energische sittencontrolle und scharfe luxusgesetze
nicht verstatteten, und dem Lykurgos kam der wunsch nach einer derben
peitsche für den demos über die lippen. auf einem gebiete brachte
man es aber zu einer wirklichen reform, und da trug man sogar der
Sokratik rechnung. der staat organisirte die erziehung der epheben. er
belastete das budget mit ihrer unterhaltung, casernirte sie, stellte lehrer
für sie an und suchte die väter selbst an dem erziehungswerke zu in-
teressiren; es ist als ob sie, wenn nicht gerade den ächten Platon, so doch
den Kleitophon gelesen hätten. σώφϱονες sollen die attischen jünglinge
werden, es soll nicht mehr zugehn, wie es Demosthenes in der rede
wider Konon von einer militärischen übung erzählt: deshalb werden
σωφϱονισταί angestellt. κόσμιοι sollen sie werden, wie es historiker
und philosophen von den dorischen jünglingsherden rühmten: deshalb
wird ein κοσμητής gewählt. aber im dienste der heimischen götter
soll es geschehen, nicht wie der sophist Sokrates mit neuen göttern die
jünglinge verdarb und einen Kritias erzog: der zweijährige dienst be-
ginnt mit einer besichtigung der öffentlichen heiligtümer. es ist Ari-
stoteles, dem wir die schilderung dieser institution verdanken: er hat sie
in die Politie eingelegt; aber in der Politik kommt sie nicht vor, einen
wert hat er ihr also nicht beigemessen. das praktisch bedeutungsvollste
jedoch waren neuordnungen der magistratur, die sich von den altdemo-
kratischen traditionen sehr weit entfernten. man brach mit der jährigen
befristung für die eigentlich entscheidenden finanzämter, die verwalter
der spielgelder und den schatzmeister der kriegscasse, und daſs dieser
nur einer war, schlieſst den noch viel bedeutenderen bruch mit der colle-
gialität in sich. man gab für diese stellen das los in jeder form
auf, erwählte sie vielmehr ganz wie die offiziere. diese beamten coope-
rirten aber mit dem rate; sie hatten bei der verpachtung der zölle steuern
und bergwerke mitzuwirken, der schatzmeister auch bei den neuan-
v. Wilamowitz, Aristoteles. I. 23
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