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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
schaffungen für den goldenen schmuck der göttin und die goldenen
preise der Panathenaeen. wer vier jahre im amte blieb, musste die factisch
ausschlaggebende stimme erhalten. der durch das los bestimmte jährige rat
war somit auf dem gebiete der finanzen durch die magistratur ebenso
beschränkt, wie er es in der sonstigen verwaltung und zumal der hohen
politik durch das plenum der volksversammlung und ihre leiter, die redner,
war. das waren in der tat verordnungen, die äusserst weitgehende conse-
quenzen in sich schlossen: wenn der schatzmeister zugleich der leitende
demagoge war, so konnte einerseits diese letztere formlose vertrauens-
stellung eine wirkliche magistratur werden, andererseits in Athen ein ein-
zelner mann kraft seines amtes das heft des staates in die hand bekommen:
der keim nicht sowol zur tyrannis als zum prinzipate war vorhanden.
die späteren haben in der tat von einer zwölfjährigen herrschaft des
Lykurgos (oder auch Demades) ähnlich wie von der herrschaft des Phale-
reers Demetrios geredet. das ist eine übertreibung, vergleichbar der
vierzigjährigen oder fünfzehnjährigen herrschaft des Perikles, aber etwas
wahres liegt all diesem zu grunde: die dauernde vorstandschaft bestimmter
personen, die dem staate schon wegen der stätigkeit regelmässig gut be-
kommt. jetzt aber versuchten die regierenden diese tätigkeit durch gesetz
zu sichern. wir können von dem demokratischen standpunkte aus wol be-
greifen, wie die opposition über den druck klagte, den eine kleine
gruppe ausübte. 49) wir können uns andererseits nicht verhehlen, dass
alle solche versuche so lange prekär bleiben mussten, als die allmacht
der volksversammlung und der gerichte bestehen blieb; was für tolle
sprünge das volk machen konnte, dafür liefert Hypereides in der
rede für Euxenippos gleich zu anfang ein par grelle beispiele. aber ge-
rade für den theoretiker hätten diese versuche in wahrheit wol das
gleiche interesse haben sollen wie die niemals in kraft getretene ver-
fassung der 400. Aristoteles hat ihnen in der theorie keinerlei berück-

49) Aischin. 3, 234 epi ton nuni kairon oi polloi tois oligois proiesthe
ta tes demokratias iskhura, worauf er übertreibend wie die ganze rednergesellschaft
gleich mit dem schreckbilde der Dreissig droht. aber seine ganze rede ist durch-
zogen von dem geiste, dass die demokratie von einer clique terrorisiert würde, und
ich kann nicht leugnen, dass er diese vorstellung geschickt zu wecken und zu
unterhalten weiss; ich kann auch nicht zugeben, dass er das nicht geglaubt hätte,
oder dass er von seinem standpunkte aus unrecht gehabt hätte. mit seinem willen
ist es doch nicht geschehen, dass der process acht jahre verschleppt war, und dass
er nun gerade, wo die wahlen der vierjährigen beamten die bisherige regierung
eben befestigt hatten, zur verhandlung kam. und mit rechten dingen hat es auch
nicht geschehen können.

I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
schaffungen für den goldenen schmuck der göttin und die goldenen
preise der Panathenaeen. wer vier jahre im amte blieb, muſste die factisch
ausschlaggebende stimme erhalten. der durch das los bestimmte jährige rat
war somit auf dem gebiete der finanzen durch die magistratur ebenso
beschränkt, wie er es in der sonstigen verwaltung und zumal der hohen
politik durch das plenum der volksversammlung und ihre leiter, die redner,
war. das waren in der tat verordnungen, die äuſserst weitgehende conse-
quenzen in sich schlossen: wenn der schatzmeister zugleich der leitende
demagoge war, so konnte einerseits diese letztere formlose vertrauens-
stellung eine wirkliche magistratur werden, andererseits in Athen ein ein-
zelner mann kraft seines amtes das heft des staates in die hand bekommen:
der keim nicht sowol zur tyrannis als zum prinzipate war vorhanden.
die späteren haben in der tat von einer zwölfjährigen herrschaft des
Lykurgos (oder auch Demades) ähnlich wie von der herrschaft des Phale-
reers Demetrios geredet. das ist eine übertreibung, vergleichbar der
vierzigjährigen oder fünfzehnjährigen herrschaft des Perikles, aber etwas
wahres liegt all diesem zu grunde: die dauernde vorstandschaft bestimmter
personen, die dem staate schon wegen der stätigkeit regelmäſsig gut be-
kommt. jetzt aber versuchten die regierenden diese tätigkeit durch gesetz
zu sichern. wir können von dem demokratischen standpunkte aus wol be-
greifen, wie die opposition über den druck klagte, den eine kleine
gruppe ausübte. 49) wir können uns andererseits nicht verhehlen, daſs
alle solche versuche so lange prekär bleiben muſsten, als die allmacht
der volksversammlung und der gerichte bestehen blieb; was für tolle
sprünge das volk machen konnte, dafür liefert Hypereides in der
rede für Euxenippos gleich zu anfang ein par grelle beispiele. aber ge-
rade für den theoretiker hätten diese versuche in wahrheit wol das
gleiche interesse haben sollen wie die niemals in kraft getretene ver-
fassung der 400. Aristoteles hat ihnen in der theorie keinerlei berück-

49) Aischin. 3, 234 ἐπὶ τῶν νυνὶ καιϱῶν οἱ πολλοὶ τοῖς ὀλίγοις πϱοίεσϑε
τὰ τῆς δημοκϱατίας ἰσχυϱά, worauf er übertreibend wie die ganze rednergesellschaft
gleich mit dem schreckbilde der Dreiſsig droht. aber seine ganze rede ist durch-
zogen von dem geiste, daſs die demokratie von einer clique terrorisiert würde, und
ich kann nicht leugnen, daſs er diese vorstellung geschickt zu wecken und zu
unterhalten weiſs; ich kann auch nicht zugeben, daſs er das nicht geglaubt hätte,
oder daſs er von seinem standpunkte aus unrecht gehabt hätte. mit seinem willen
ist es doch nicht geschehen, daſs der proceſs acht jahre verschleppt war, und daſs
er nun gerade, wo die wahlen der vierjährigen beamten die bisherige regierung
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[354/0368] I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches. schaffungen für den goldenen schmuck der göttin und die goldenen preise der Panathenaeen. wer vier jahre im amte blieb, muſste die factisch ausschlaggebende stimme erhalten. der durch das los bestimmte jährige rat war somit auf dem gebiete der finanzen durch die magistratur ebenso beschränkt, wie er es in der sonstigen verwaltung und zumal der hohen politik durch das plenum der volksversammlung und ihre leiter, die redner, war. das waren in der tat verordnungen, die äuſserst weitgehende conse- quenzen in sich schlossen: wenn der schatzmeister zugleich der leitende demagoge war, so konnte einerseits diese letztere formlose vertrauens- stellung eine wirkliche magistratur werden, andererseits in Athen ein ein- zelner mann kraft seines amtes das heft des staates in die hand bekommen: der keim nicht sowol zur tyrannis als zum prinzipate war vorhanden. die späteren haben in der tat von einer zwölfjährigen herrschaft des Lykurgos (oder auch Demades) ähnlich wie von der herrschaft des Phale- reers Demetrios geredet. das ist eine übertreibung, vergleichbar der vierzigjährigen oder fünfzehnjährigen herrschaft des Perikles, aber etwas wahres liegt all diesem zu grunde: die dauernde vorstandschaft bestimmter personen, die dem staate schon wegen der stätigkeit regelmäſsig gut be- kommt. jetzt aber versuchten die regierenden diese tätigkeit durch gesetz zu sichern. wir können von dem demokratischen standpunkte aus wol be- greifen, wie die opposition über den druck klagte, den eine kleine gruppe ausübte. 49) wir können uns andererseits nicht verhehlen, daſs alle solche versuche so lange prekär bleiben muſsten, als die allmacht der volksversammlung und der gerichte bestehen blieb; was für tolle sprünge das volk machen konnte, dafür liefert Hypereides in der rede für Euxenippos gleich zu anfang ein par grelle beispiele. aber ge- rade für den theoretiker hätten diese versuche in wahrheit wol das gleiche interesse haben sollen wie die niemals in kraft getretene ver- fassung der 400. Aristoteles hat ihnen in der theorie keinerlei berück- 49) Aischin. 3, 234 ἐπὶ τῶν νυνὶ καιϱῶν οἱ πολλοὶ τοῖς ὀλίγοις πϱοίεσϑε τὰ τῆς δημοκϱατίας ἰσχυϱά, worauf er übertreibend wie die ganze rednergesellschaft gleich mit dem schreckbilde der Dreiſsig droht. aber seine ganze rede ist durch- zogen von dem geiste, daſs die demokratie von einer clique terrorisiert würde, und ich kann nicht leugnen, daſs er diese vorstellung geschickt zu wecken und zu unterhalten weiſs; ich kann auch nicht zugeben, daſs er das nicht geglaubt hätte, oder daſs er von seinem standpunkte aus unrecht gehabt hätte. mit seinem willen ist es doch nicht geschehen, daſs der proceſs acht jahre verschleppt war, und daſs er nun gerade, wo die wahlen der vierjährigen beamten die bisherige regierung eben befestigt hatten, zur verhandlung kam. und mit rechten dingen hat es auch nicht geschehen können.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/368>, abgerufen am 24.11.2024.