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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Athen 338--323. die Politik.
sichtigung gegönnt; für seine vorstellung gehören annuität und collegialität
unweigerlich zu dem beamten des rechtsstaates. in der Politie, wenigstens
wie wir sie lesen, ist an der stelle, wo die vierjährigen beamten be-
handelt werden sollten, eine lücke.

Athen ist für ihn die demokratie par excellence geblieben, und dass
es mit der nicht gienge, stand ihm fest. dass Athen keine grossmacht
mehr war, überhaupt in Hellas nirgend mehr eine einzelne stadt eine
nennenswerte herrschaft über andere städte ausübte, konnte dem poli-
tiker nur recht sein, der in der kleinen autonomen stadt den staat fand.
die suprematie Makedoniens beinträchtigte rechtlich und faktisch die
städtische autonomie zunächst viel weniger als die Athener und Lake-
daimonier auf der höhe ihrer macht das getan hatten; von den ver-
pflichtungen, die sie auferlegte, konnte der theoretiker füglich absehen.
aber die erschütterung, die durch die verschiebungen der grossmächte
hervorgerufen wurde und sich über die ganze hellenische welt verbrei-
tete, legte dem lehrer der nation die aufgabe doppelt an das herz,
die frage nach dem besten und bestmöglichen staate zu behandeln.

Wir dürften geneigt sein der frage eine andere formulirung zuDie Politik.
geben, allein Platons vorbild hatte sie nun einmal so abstract formulirt,
und Aristoteles hielt sich zunächst an seinen lehrer. er hat die vor-
träge über politik öfter gehalten, selbstverständlich erst seit er überhaupt
vorträge hielt, und der zustand, in dem wir seine aufzeichnungen lesen, ge-
stattet nicht, die einzelnen schichten scharf zu sondern, noch auch die zeit-
bestimmungen zu verallgemeinern, die sich aus einzelnen stellen ergeben.
aber das allgemeine ist deutlich, dass wir einen gemeinsamen unterbau
haben (ABG), auf dem sich zwei selbständige lehrgebäude erheben, die
darstellung von dem wesen, den unterschieden und den wandelungen
(metabolai) der verfassungen (DEZ), und die lehre vom besten staate.
(ETh). beide untersuchungen sind nicht im entferntesten bis zum ab-
schlusse geführt. ihre reihenfolge ist nicht von grosser bedeutung, da
sie eben in wahrheit neben einander stehen. dass Aristoteles die über-
lieferte ordnung beabsichtigt hat, bezeugt er selbst, wenn er den schluss
der Ethik geschrieben hat, und sollte er das nicht getan haben, so
würde immer noch der herausgeber der Ethik, also sein sohn Niko-
machos, die ordnung für die mitterweile herausgegebene Politik bezeugen,
und auch dann wäre die umstellung, in der unsere ausgaben die bücher
vorlegen, schlechthin verwerflich. 50) auch in diesem falle ist die gewalt

50) So hat mit vollem rechte Dümmler (Rh. M. 42, 180) geschlossen. während
die umstellung von ETh eine gewisse berechtigung hat, ist die vertauschung von
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Athen 338—323. die Politik.
sichtigung gegönnt; für seine vorstellung gehören annuität und collegialität
unweigerlich zu dem beamten des rechtsstaates. in der Politie, wenigstens
wie wir sie lesen, ist an der stelle, wo die vierjährigen beamten be-
handelt werden sollten, eine lücke.

Athen ist für ihn die demokratie par excellence geblieben, und daſs
es mit der nicht gienge, stand ihm fest. daſs Athen keine groſsmacht
mehr war, überhaupt in Hellas nirgend mehr eine einzelne stadt eine
nennenswerte herrschaft über andere städte ausübte, konnte dem poli-
tiker nur recht sein, der in der kleinen autonomen stadt den staat fand.
die suprematie Makedoniens beinträchtigte rechtlich und faktisch die
städtische autonomie zunächst viel weniger als die Athener und Lake-
daimonier auf der höhe ihrer macht das getan hatten; von den ver-
pflichtungen, die sie auferlegte, konnte der theoretiker füglich absehen.
aber die erschütterung, die durch die verschiebungen der groſsmächte
hervorgerufen wurde und sich über die ganze hellenische welt verbrei-
tete, legte dem lehrer der nation die aufgabe doppelt an das herz,
die frage nach dem besten und bestmöglichen staate zu behandeln.

Wir dürften geneigt sein der frage eine andere formulirung zuDie Politik.
geben, allein Platons vorbild hatte sie nun einmal so abstract formulirt,
und Aristoteles hielt sich zunächst an seinen lehrer. er hat die vor-
träge über politik öfter gehalten, selbstverständlich erst seit er überhaupt
vorträge hielt, und der zustand, in dem wir seine aufzeichnungen lesen, ge-
stattet nicht, die einzelnen schichten scharf zu sondern, noch auch die zeit-
bestimmungen zu verallgemeinern, die sich aus einzelnen stellen ergeben.
aber das allgemeine ist deutlich, daſs wir einen gemeinsamen unterbau
haben (ΑΒΓ), auf dem sich zwei selbständige lehrgebäude erheben, die
darstellung von dem wesen, den unterschieden und den wandelungen
(μεταβολαί) der verfassungen (ΔΕΖ), und die lehre vom besten staate.
(ΗΘ). beide untersuchungen sind nicht im entferntesten bis zum ab-
schlusse geführt. ihre reihenfolge ist nicht von groſser bedeutung, da
sie eben in wahrheit neben einander stehen. daſs Aristoteles die über-
lieferte ordnung beabsichtigt hat, bezeugt er selbst, wenn er den schluſs
der Ethik geschrieben hat, und sollte er das nicht getan haben, so
würde immer noch der herausgeber der Ethik, also sein sohn Niko-
machos, die ordnung für die mitterweile herausgegebene Politik bezeugen,
und auch dann wäre die umstellung, in der unsere ausgaben die bücher
vorlegen, schlechthin verwerflich. 50) auch in diesem falle ist die gewalt

50) So hat mit vollem rechte Dümmler (Rh. M. 42, 180) geschlossen. während
die umstellung von ΗΘ eine gewisse berechtigung hat, ist die vertauschung von
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[355/0369] Athen 338—323. die Politik. sichtigung gegönnt; für seine vorstellung gehören annuität und collegialität unweigerlich zu dem beamten des rechtsstaates. in der Politie, wenigstens wie wir sie lesen, ist an der stelle, wo die vierjährigen beamten be- handelt werden sollten, eine lücke. Athen ist für ihn die demokratie par excellence geblieben, und daſs es mit der nicht gienge, stand ihm fest. daſs Athen keine groſsmacht mehr war, überhaupt in Hellas nirgend mehr eine einzelne stadt eine nennenswerte herrschaft über andere städte ausübte, konnte dem poli- tiker nur recht sein, der in der kleinen autonomen stadt den staat fand. die suprematie Makedoniens beinträchtigte rechtlich und faktisch die städtische autonomie zunächst viel weniger als die Athener und Lake- daimonier auf der höhe ihrer macht das getan hatten; von den ver- pflichtungen, die sie auferlegte, konnte der theoretiker füglich absehen. aber die erschütterung, die durch die verschiebungen der groſsmächte hervorgerufen wurde und sich über die ganze hellenische welt verbrei- tete, legte dem lehrer der nation die aufgabe doppelt an das herz, die frage nach dem besten und bestmöglichen staate zu behandeln. Wir dürften geneigt sein der frage eine andere formulirung zu geben, allein Platons vorbild hatte sie nun einmal so abstract formulirt, und Aristoteles hielt sich zunächst an seinen lehrer. er hat die vor- träge über politik öfter gehalten, selbstverständlich erst seit er überhaupt vorträge hielt, und der zustand, in dem wir seine aufzeichnungen lesen, ge- stattet nicht, die einzelnen schichten scharf zu sondern, noch auch die zeit- bestimmungen zu verallgemeinern, die sich aus einzelnen stellen ergeben. aber das allgemeine ist deutlich, daſs wir einen gemeinsamen unterbau haben (ΑΒΓ), auf dem sich zwei selbständige lehrgebäude erheben, die darstellung von dem wesen, den unterschieden und den wandelungen (μεταβολαί) der verfassungen (ΔΕΖ), und die lehre vom besten staate. (ΗΘ). beide untersuchungen sind nicht im entferntesten bis zum ab- schlusse geführt. ihre reihenfolge ist nicht von groſser bedeutung, da sie eben in wahrheit neben einander stehen. daſs Aristoteles die über- lieferte ordnung beabsichtigt hat, bezeugt er selbst, wenn er den schluſs der Ethik geschrieben hat, und sollte er das nicht getan haben, so würde immer noch der herausgeber der Ethik, also sein sohn Niko- machos, die ordnung für die mitterweile herausgegebene Politik bezeugen, und auch dann wäre die umstellung, in der unsere ausgaben die bücher vorlegen, schlechthin verwerflich. 50) auch in diesem falle ist die gewalt Die Politik. 50) So hat mit vollem rechte Dümmler (Rh. M. 42, 180) geschlossen. während die umstellung von ΗΘ eine gewisse berechtigung hat, ist die vertauschung von 23*

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/369>, abgerufen am 24.11.2024.