Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.
Die verfassung der blütezeit. grössten teile, insbesondere so weit sie staatsgeld verwalten, unter dercontrolle des rates; dieser und das gericht besorgen ihre rechenschafts- abnahme. ausserdem entscheidet der souverän in jeder der 10 verwal- tungsperioden des jahres, ob sie sein vertrauen noch besitzen. sie haben eine durch feste instruction eng begrenzte sphaere der tätigkeit und sind gehalten, so bald sich ein bürger, von bagatellen abgesehen, ihrem spruche nicht unterwerfen will, die entscheidung des souveräns anzurufen, d. h. sie berufen ein gericht, dem sie vorsitzen: nur dieser vorsitz in eigner sache ist noch ein rest ihrer ehemaligen selbständigkeit, sonst ist die magistratur der civilbeamten zu einem werkzeuge des souveräns, in praxi des rates herabgedrückt. politische bedeutung hat von ihnen schlecht- hin keiner.2) reste alter macht, wie sie die einzelnen archonten noch besitzen, sind für den ganzen charakter der verfassung und verwaltung so wenig bedeutend, wie die gerichte des Areopages und der epheten neben den heliasten. Die religion durchdringt zwar alles, aber es gibt keine kirche, oder Das militär fügt sich dem demokratischen gleichheitsprincip nie und 2) Der einzige schreiber hätte sie bekommen können, weil er die protokolle
führte und die schriftstücke des rates und volkes redigirte. wählen musste man ihn deshalb schon, denn federgewandt war nicht jeder, und mancher hätte leicht proxenien erfinden oder peinliche paragraphen unterschlagen können. aber damit er nur ja nicht einflussreich würde, wählte man ihn nur auf eine prytanie. Die verfassung der blütezeit. gröſsten teile, insbesondere so weit sie staatsgeld verwalten, unter dercontrolle des rates; dieser und das gericht besorgen ihre rechenschafts- abnahme. auſserdem entscheidet der souverän in jeder der 10 verwal- tungsperioden des jahres, ob sie sein vertrauen noch besitzen. sie haben eine durch feste instruction eng begrenzte sphaere der tätigkeit und sind gehalten, so bald sich ein bürger, von bagatellen abgesehen, ihrem spruche nicht unterwerfen will, die entscheidung des souveräns anzurufen, d. h. sie berufen ein gericht, dem sie vorsitzen: nur dieser vorsitz in eigner sache ist noch ein rest ihrer ehemaligen selbständigkeit, sonst ist die magistratur der civilbeamten zu einem werkzeuge des souveräns, in praxi des rates herabgedrückt. politische bedeutung hat von ihnen schlecht- hin keiner.2) reste alter macht, wie sie die einzelnen archonten noch besitzen, sind für den ganzen charakter der verfassung und verwaltung so wenig bedeutend, wie die gerichte des Areopages und der epheten neben den heliasten. Die religion durchdringt zwar alles, aber es gibt keine kirche, oder Das militär fügt sich dem demokratischen gleichheitsprincip nie und 2) Der einzige schreiber hätte sie bekommen können, weil er die protokolle
führte und die schriftstücke des rates und volkes redigirte. wählen muſste man ihn deshalb schon, denn federgewandt war nicht jeder, und mancher hätte leicht proxenien erfinden oder peinliche paragraphen unterschlagen können. aber damit er nur ja nicht einfluſsreich würde, wählte man ihn nur auf eine prytanie. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0117" n="107"/><fw place="top" type="header">Die verfassung der blütezeit.</fw><lb/> gröſsten teile, insbesondere so weit sie staatsgeld verwalten, unter der<lb/> controlle des rates; dieser und das gericht besorgen ihre rechenschafts-<lb/> abnahme. auſserdem entscheidet der souverän in jeder der 10 verwal-<lb/> tungsperioden des jahres, ob sie sein vertrauen noch besitzen. sie haben<lb/> eine durch feste instruction eng begrenzte sphaere der tätigkeit und sind<lb/> gehalten, so bald sich ein bürger, von bagatellen abgesehen, ihrem spruche<lb/> nicht unterwerfen will, die entscheidung des souveräns anzurufen, d. h.<lb/> sie berufen ein gericht, dem sie vorsitzen: nur dieser vorsitz in eigner<lb/> sache ist noch ein rest ihrer ehemaligen selbständigkeit, sonst ist die<lb/> magistratur der civilbeamten zu einem werkzeuge des souveräns, in<lb/> praxi des rates herabgedrückt. politische bedeutung hat von ihnen schlecht-<lb/> hin keiner.<note place="foot" n="2)">Der einzige schreiber hätte sie bekommen können, weil er die protokolle<lb/> führte und die schriftstücke des rates und volkes redigirte. wählen muſste man<lb/> ihn deshalb schon, denn federgewandt war nicht jeder, und mancher hätte leicht<lb/> proxenien erfinden oder peinliche paragraphen unterschlagen können. aber damit<lb/> er nur ja nicht einfluſsreich würde, wählte man ihn nur auf eine prytanie.</note> reste alter macht, wie sie die einzelnen archonten noch<lb/> besitzen, sind für den ganzen charakter der verfassung und verwaltung<lb/> so wenig bedeutend, wie die gerichte des Areopages und der epheten<lb/> neben den heliasten.</p><lb/> <p>Die religion durchdringt zwar alles, aber es gibt keine kirche, oder<lb/> vielmehr sie deckt sich mit dem staate, und so können wir sagen, daſs<lb/> die weltliche bürgerliche demokratische verfassung mit vollkommener<lb/> logik und consequenz durchgeführt ist.</p><lb/> <p>Das militär fügt sich dem demokratischen gleichheitsprincip nie und<lb/> nirgend, sintemal gar zu deutlich vor augen liegt, daſs nicht jeder zum<lb/> officier paſst, und auch die eifersüchtigste demokratie läſst sich gern dazu<lb/> herbei, zu officieren nur die zu machen, die fähigkeit und lust haben.<lb/> für die hauptmacht Athens, die flotte, war zwar zur zeit des Reiches<lb/> gut gesorgt, da die trierarchie capitäne zur verfügung stellte, die erstens<lb/> die erfahrung besaſsen, zweitens in der kriegsmarine den steuerleuten<lb/> und matrosen als geborene vorgesetzte gegenüber standen, da sie meist<lb/> der handelsmarine in gleicher eigenschaft angehörten, drittens die die<lb/> würde mit der steuer bezahlten. auch in der reiterei war die bevorzugte<lb/> geltung dieses dienstes durch die last der pferdehaltung aufgewogen; die<lb/> truppe entwickelte aber immerhin ein starkes standesbewuſstsein, ward<lb/> von radikalen demokraten wie Kleon scheel angesehen und rechtfertigte<lb/> 404 dieses mistrauen durch entschieden aristokratische tendenzen. aber<lb/> sie war zu schwach, als daſs die zehn schwadronchefs und die beiden<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [107/0117]
Die verfassung der blütezeit.
gröſsten teile, insbesondere so weit sie staatsgeld verwalten, unter der
controlle des rates; dieser und das gericht besorgen ihre rechenschafts-
abnahme. auſserdem entscheidet der souverän in jeder der 10 verwal-
tungsperioden des jahres, ob sie sein vertrauen noch besitzen. sie haben
eine durch feste instruction eng begrenzte sphaere der tätigkeit und sind
gehalten, so bald sich ein bürger, von bagatellen abgesehen, ihrem spruche
nicht unterwerfen will, die entscheidung des souveräns anzurufen, d. h.
sie berufen ein gericht, dem sie vorsitzen: nur dieser vorsitz in eigner
sache ist noch ein rest ihrer ehemaligen selbständigkeit, sonst ist die
magistratur der civilbeamten zu einem werkzeuge des souveräns, in
praxi des rates herabgedrückt. politische bedeutung hat von ihnen schlecht-
hin keiner. 2) reste alter macht, wie sie die einzelnen archonten noch
besitzen, sind für den ganzen charakter der verfassung und verwaltung
so wenig bedeutend, wie die gerichte des Areopages und der epheten
neben den heliasten.
Die religion durchdringt zwar alles, aber es gibt keine kirche, oder
vielmehr sie deckt sich mit dem staate, und so können wir sagen, daſs
die weltliche bürgerliche demokratische verfassung mit vollkommener
logik und consequenz durchgeführt ist.
Das militär fügt sich dem demokratischen gleichheitsprincip nie und
nirgend, sintemal gar zu deutlich vor augen liegt, daſs nicht jeder zum
officier paſst, und auch die eifersüchtigste demokratie läſst sich gern dazu
herbei, zu officieren nur die zu machen, die fähigkeit und lust haben.
für die hauptmacht Athens, die flotte, war zwar zur zeit des Reiches
gut gesorgt, da die trierarchie capitäne zur verfügung stellte, die erstens
die erfahrung besaſsen, zweitens in der kriegsmarine den steuerleuten
und matrosen als geborene vorgesetzte gegenüber standen, da sie meist
der handelsmarine in gleicher eigenschaft angehörten, drittens die die
würde mit der steuer bezahlten. auch in der reiterei war die bevorzugte
geltung dieses dienstes durch die last der pferdehaltung aufgewogen; die
truppe entwickelte aber immerhin ein starkes standesbewuſstsein, ward
von radikalen demokraten wie Kleon scheel angesehen und rechtfertigte
404 dieses mistrauen durch entschieden aristokratische tendenzen. aber
sie war zu schwach, als daſs die zehn schwadronchefs und die beiden
2) Der einzige schreiber hätte sie bekommen können, weil er die protokolle
führte und die schriftstücke des rates und volkes redigirte. wählen muſste man
ihn deshalb schon, denn federgewandt war nicht jeder, und mancher hätte leicht
proxenien erfinden oder peinliche paragraphen unterschlagen können. aber damit
er nur ja nicht einfluſsreich würde, wählte man ihn nur auf eine prytanie.
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| Zitationshilfe: | Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/117>, abgerufen am 23.11.2024. |
