Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.Die verfassung der blütezeit. wahren vertrauensmänner. die strategen waren wol gehalten, an denrat zu berichten, der ja die auswärtige politik leitete, aber sie mussten doch draussen sehr oft verbindlichkeiten eingehn, die zwar der ratifi- cirung durch den souverän bedurften, aber mindestens so viel gewicht hatten, wie ein ratsvorschlag. ja man gieng so weit, dass die strategen einen antrag beim rate einbringen konnten, auch den auf berufung einer volksversammlung, und somit wenigstens den directen amtlichen verkehr mit dem souverän und die initiative erhielten. in kriegszeiten konnten sie andererseits durch das aufgebot der bürger die abhaltung einer volksversammlung factisch verhindern.3) endlich eludirten sie im falle der wiederwahl factisch sehr häufig die rechenschaftsablage, obwol für diese unter allen umständen unter übergehung des rates gerichtliche prüfung vorgeschrieben war. gewiss war es sehr gut möglich, das gleich- gewicht der gewalten aufrecht zu erhalten, und der souverän war durch diese männer seines vertrauens in seiner gewalt nicht gefährdet. aber es waren doch einzelne männer, die durch ihre dauernde amtliche stellung, ihre erfahrung und ihren einfluss aus der gleichberechtigten und auf gleiches niveau niedergedrückten masse des volkes hervorragten. die strategen waren die eigentlich einzigen wirklichen magistrate Athens. wir sehen sie einzeln selbst mit dictatorischer gewalt bekleidet, auto- kratores, wie den rat, natürlich nur ausserhalb der stadt. wäre es einer in der stadt geworden, so war der tyrann da. Die bürgerlichen beamtenstellen durften nicht iterirt werden; im 3) Thukydides II 22 sagt ausdrücklich, dass der stratege Perikles während der
anwesenheit der Peloponnesier in Attika 431 keine volksversammlung hielt. ver- fassungsmässig muss in eine so lange zeit mindestens eine gefallen sein. nur unter dem drucke des belagerungszustandes kann er sie verhindert haben. der stratege Alkibiades stellt direct, nicht über den rat, einen antrag vor dem volke, CIA IV p. 19. Die verfassung der blütezeit. wahren vertrauensmänner. die strategen waren wol gehalten, an denrat zu berichten, der ja die auswärtige politik leitete, aber sie muſsten doch drauſsen sehr oft verbindlichkeiten eingehn, die zwar der ratifi- cirung durch den souverän bedurften, aber mindestens so viel gewicht hatten, wie ein ratsvorschlag. ja man gieng so weit, daſs die strategen einen antrag beim rate einbringen konnten, auch den auf berufung einer volksversammlung, und somit wenigstens den directen amtlichen verkehr mit dem souverän und die initiative erhielten. in kriegszeiten konnten sie andererseits durch das aufgebot der bürger die abhaltung einer volksversammlung factisch verhindern.3) endlich eludirten sie im falle der wiederwahl factisch sehr häufig die rechenschaftsablage, obwol für diese unter allen umständen unter übergehung des rates gerichtliche prüfung vorgeschrieben war. gewiſs war es sehr gut möglich, das gleich- gewicht der gewalten aufrecht zu erhalten, und der souverän war durch diese männer seines vertrauens in seiner gewalt nicht gefährdet. aber es waren doch einzelne männer, die durch ihre dauernde amtliche stellung, ihre erfahrung und ihren einfluſs aus der gleichberechtigten und auf gleiches niveau niedergedrückten masse des volkes hervorragten. die strategen waren die eigentlich einzigen wirklichen magistrate Athens. wir sehen sie einzeln selbst mit dictatorischer gewalt bekleidet, αὐτο- κϱάτοϱες, wie den rat, natürlich nur auſserhalb der stadt. wäre es einer in der stadt geworden, so war der tyrann da. Die bürgerlichen beamtenstellen durften nicht iterirt werden; im 3) Thukydides II 22 sagt ausdrücklich, daſs der stratege Perikles während der
anwesenheit der Peloponnesier in Attika 431 keine volksversammlung hielt. ver- fassungsmäſsig muſs in eine so lange zeit mindestens eine gefallen sein. nur unter dem drucke des belagerungszustandes kann er sie verhindert haben. der stratege Alkibiades stellt direct, nicht über den rat, einen antrag vor dem volke, CIA IV p. 19. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0119" n="109"/><fw place="top" type="header">Die verfassung der blütezeit.</fw><lb/> wahren vertrauensmänner. die strategen waren wol gehalten, an den<lb/> rat zu berichten, der ja die auswärtige politik leitete, aber sie muſsten<lb/> doch drauſsen sehr oft verbindlichkeiten eingehn, die zwar der ratifi-<lb/> cirung durch den souverän bedurften, aber mindestens so viel gewicht<lb/> hatten, wie ein ratsvorschlag. ja man gieng so weit, daſs die strategen<lb/> einen antrag beim rate einbringen konnten, auch den auf berufung einer<lb/> volksversammlung, und somit wenigstens den directen amtlichen verkehr<lb/> mit dem souverän und die initiative erhielten. in kriegszeiten konnten<lb/> sie andererseits durch das aufgebot der bürger die abhaltung einer<lb/> volksversammlung factisch verhindern.<note place="foot" n="3)">Thukydides II 22 sagt ausdrücklich, daſs der stratege Perikles während der<lb/> anwesenheit der Peloponnesier in Attika 431 keine volksversammlung hielt. ver-<lb/> fassungsmäſsig muſs in eine so lange zeit mindestens eine gefallen sein. nur unter<lb/> dem drucke des belagerungszustandes kann er sie verhindert haben. der stratege<lb/> Alkibiades stellt direct, nicht über den rat, einen antrag vor dem volke, CIA IV p. 19.</note> endlich eludirten sie im falle<lb/> der wiederwahl factisch sehr häufig die rechenschaftsablage, obwol für<lb/> diese unter allen umständen unter übergehung des rates gerichtliche<lb/> prüfung vorgeschrieben war. gewiſs war es sehr gut möglich, das gleich-<lb/> gewicht der gewalten aufrecht zu erhalten, und der souverän war durch<lb/> diese männer seines vertrauens in seiner gewalt nicht gefährdet. aber<lb/> es waren doch einzelne männer, die durch ihre dauernde amtliche<lb/> stellung, ihre erfahrung und ihren einfluſs aus der gleichberechtigten<lb/> und auf gleiches niveau niedergedrückten masse des volkes hervorragten.<lb/> die strategen waren die eigentlich einzigen wirklichen magistrate Athens.<lb/> wir sehen sie einzeln selbst mit dictatorischer gewalt bekleidet, αὐτο-<lb/> κϱάτοϱες, wie den rat, natürlich nur auſserhalb der stadt. wäre es einer<lb/> in der stadt geworden, so war der tyrann da.</p><lb/> <p>Die bürgerlichen beamtenstellen durften nicht iterirt werden; im<lb/> rate durfte jeder bürger nur zweimal sitzen. da der ganze rat alljähr-<lb/> lich neu erlost ward, so konnte trotz dem vorschlagsrechte der gemeinden<lb/> für die ratsstellen und trotz der prüfung, die der alte rat an den erlosten<lb/> vornahm und keinesweges auf die formale gesetzlichkeit der wahl be-<lb/> schränkte, eine stätige politik in dieser wichtigsten körperschaft nicht<lb/> getrieben werden. eine wirkliche geschäftserfahrung war im staats-<lb/> dienste überhaupt nur unvollkommen zu erlangen. als geschworne lernten<lb/> die bürger vielerlei von den gesetzen und der verwaltung kennen; aber<lb/> doch nur gelegentlich, und direct konnte die heliaea auf die politik<lb/> nicht einwirken. ein advocatenstand begann sich erst allmählich zu<lb/> bilden. dagegen in der volksversammlung konnte jeder bürger, wenn<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [109/0119]
Die verfassung der blütezeit.
wahren vertrauensmänner. die strategen waren wol gehalten, an den
rat zu berichten, der ja die auswärtige politik leitete, aber sie muſsten
doch drauſsen sehr oft verbindlichkeiten eingehn, die zwar der ratifi-
cirung durch den souverän bedurften, aber mindestens so viel gewicht
hatten, wie ein ratsvorschlag. ja man gieng so weit, daſs die strategen
einen antrag beim rate einbringen konnten, auch den auf berufung einer
volksversammlung, und somit wenigstens den directen amtlichen verkehr
mit dem souverän und die initiative erhielten. in kriegszeiten konnten
sie andererseits durch das aufgebot der bürger die abhaltung einer
volksversammlung factisch verhindern. 3) endlich eludirten sie im falle
der wiederwahl factisch sehr häufig die rechenschaftsablage, obwol für
diese unter allen umständen unter übergehung des rates gerichtliche
prüfung vorgeschrieben war. gewiſs war es sehr gut möglich, das gleich-
gewicht der gewalten aufrecht zu erhalten, und der souverän war durch
diese männer seines vertrauens in seiner gewalt nicht gefährdet. aber
es waren doch einzelne männer, die durch ihre dauernde amtliche
stellung, ihre erfahrung und ihren einfluſs aus der gleichberechtigten
und auf gleiches niveau niedergedrückten masse des volkes hervorragten.
die strategen waren die eigentlich einzigen wirklichen magistrate Athens.
wir sehen sie einzeln selbst mit dictatorischer gewalt bekleidet, αὐτο-
κϱάτοϱες, wie den rat, natürlich nur auſserhalb der stadt. wäre es einer
in der stadt geworden, so war der tyrann da.
Die bürgerlichen beamtenstellen durften nicht iterirt werden; im
rate durfte jeder bürger nur zweimal sitzen. da der ganze rat alljähr-
lich neu erlost ward, so konnte trotz dem vorschlagsrechte der gemeinden
für die ratsstellen und trotz der prüfung, die der alte rat an den erlosten
vornahm und keinesweges auf die formale gesetzlichkeit der wahl be-
schränkte, eine stätige politik in dieser wichtigsten körperschaft nicht
getrieben werden. eine wirkliche geschäftserfahrung war im staats-
dienste überhaupt nur unvollkommen zu erlangen. als geschworne lernten
die bürger vielerlei von den gesetzen und der verwaltung kennen; aber
doch nur gelegentlich, und direct konnte die heliaea auf die politik
nicht einwirken. ein advocatenstand begann sich erst allmählich zu
bilden. dagegen in der volksversammlung konnte jeder bürger, wenn
3) Thukydides II 22 sagt ausdrücklich, daſs der stratege Perikles während der
anwesenheit der Peloponnesier in Attika 431 keine volksversammlung hielt. ver-
fassungsmäſsig muſs in eine so lange zeit mindestens eine gefallen sein. nur unter
dem drucke des belagerungszustandes kann er sie verhindert haben. der stratege
Alkibiades stellt direct, nicht über den rat, einen antrag vor dem volke, CIA IV p. 19.
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