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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Der verfassungsentwurf von 411.
rate, die in der tat die attische verwaltung sehr übel von der römischen
unterscheidet. dadurch, dass diese selbst aus dem viertel der bürger-
schaft gewählt werden und mit im rate sitzen sollten, war nicht nur
dies, sondern zugleich die continuirung selbst der militärischen ämter,
also die gefahr einer perikleischen demagogie vermieden. es mag sein,
dass in anderen staaten die arkhai oder sunarkhiai an den sitzungen
des rates teilnahmen: jedenfalls verdient der verfasser hohes lob, dass
er diesesmal eine sehr wenig attische neuerung ins auge gefasst hat.

Die finanzen lagen ihm offenbar sehr am herzen, und er er-
strebte eine sehr nötige vereinfachung. die beiden schätze, die im
opisthodomos der Athena verwaltet wurden, waren schon so stark zu-
sammengeschmolzen, dass selbst die 10 schatzmeister, die er, vorahnend
der späteren zeit, für sie schuf, nicht mehr viel zu tun gehabt haben
würden; es war gewiss überhaupt praktisch, das dem staate unterstellte
kirchengut centralisirt zu verwalten: hat es doch auch die lykurgische
zeit wieder so gemacht. ganz ebenso sollten die reichscasse und die
staatscassen in eine verschmolzen werden, und auf deren verwalter die
gesammten cassengeschäfte übergehn. dazu bedurfte man vielleicht nicht
einmal sehr vieler beamten; aber hier erschien es praktisch, den rat
ohne zuziehung der rendanten verhandeln zu lassen, deren anwesenheit
zu leicht gerade ihre beaufsichtigung hindern konnte. so ward der
ausweg ersonnen, dass die hellenotamien zwar ratsherrn sein sollten,
aber nicht alle das ganze jahr die geschäfte führen, so weit sie das aber
täten, den sitzungen des rates fern bleiben sollten. dem entsprechend
ward ihre gesammtzahl auf 20 angesetzt.

Die beamten werden in zwei classen gesondert, je nach dem sie
dem rate angehören sollen oder nicht. ist die sonderung selbst schon
interessant, so wird sie es dadurch doppelt, dass eine aufzählung der
ersten classe gegeben wird, so dass wir sehen können, welche beamte
in so hoher schätzung standen. das sind an erster stelle die strategen,
deren wiederwal zu beseitigen die hauptsache war, erst an zweiter die
archonten: das ist für das fünfte jahrhundert äusserst charakteristisch.
ihnen folgt der hieromnemon, dessen bedeutung wir hiernach wesentlich
höher veranschlagen müssen, als die geschichte und Aristoteles erkennen
lassen, und die übrigen militärischen chargen, unter denen die comman-
danten der festen plätze erscheinen18), eine rücksicht auf die verhältnisse des

18) Diese mussten freilich einen dauernden dispens von den sitzungen erhalten.
überhaupt ist nicht geordnet, in wie weit die beamten verpflichtet waren, jeden
fünften tag ihre geschäfte zu versäumen.

Der verfassungsentwurf von 411.
rate, die in der tat die attische verwaltung sehr übel von der römischen
unterscheidet. dadurch, daſs diese selbst aus dem viertel der bürger-
schaft gewählt werden und mit im rate sitzen sollten, war nicht nur
dies, sondern zugleich die continuirung selbst der militärischen ämter,
also die gefahr einer perikleischen demagogie vermieden. es mag sein,
daſs in anderen staaten die ἀϱχαί oder συναϱχίαι an den sitzungen
des rates teilnahmen: jedenfalls verdient der verfasser hohes lob, daſs
er diesesmal eine sehr wenig attische neuerung ins auge gefaſst hat.

Die finanzen lagen ihm offenbar sehr am herzen, und er er-
strebte eine sehr nötige vereinfachung. die beiden schätze, die im
opisthodomos der Athena verwaltet wurden, waren schon so stark zu-
sammengeschmolzen, daſs selbst die 10 schatzmeister, die er, vorahnend
der späteren zeit, für sie schuf, nicht mehr viel zu tun gehabt haben
würden; es war gewiſs überhaupt praktisch, das dem staate unterstellte
kirchengut centralisirt zu verwalten: hat es doch auch die lykurgische
zeit wieder so gemacht. ganz ebenso sollten die reichscasse und die
staatscassen in eine verschmolzen werden, und auf deren verwalter die
gesammten cassengeschäfte übergehn. dazu bedurfte man vielleicht nicht
einmal sehr vieler beamten; aber hier erschien es praktisch, den rat
ohne zuziehung der rendanten verhandeln zu lassen, deren anwesenheit
zu leicht gerade ihre beaufsichtigung hindern konnte. so ward der
ausweg ersonnen, daſs die hellenotamien zwar ratsherrn sein sollten,
aber nicht alle das ganze jahr die geschäfte führen, so weit sie das aber
täten, den sitzungen des rates fern bleiben sollten. dem entsprechend
ward ihre gesammtzahl auf 20 angesetzt.

Die beamten werden in zwei classen gesondert, je nach dem sie
dem rate angehören sollen oder nicht. ist die sonderung selbst schon
interessant, so wird sie es dadurch doppelt, daſs eine aufzählung der
ersten classe gegeben wird, so daſs wir sehen können, welche beamte
in so hoher schätzung standen. das sind an erster stelle die strategen,
deren wiederwal zu beseitigen die hauptsache war, erst an zweiter die
archonten: das ist für das fünfte jahrhundert äuſserst charakteristisch.
ihnen folgt der hieromnemon, dessen bedeutung wir hiernach wesentlich
höher veranschlagen müssen, als die geschichte und Aristoteles erkennen
lassen, und die übrigen militärischen chargen, unter denen die comman-
danten der festen plätze erscheinen18), eine rücksicht auf die verhältnisse des

18) Diese muſsten freilich einen dauernden dispens von den sitzungen erhalten.
überhaupt ist nicht geordnet, in wie weit die beamten verpflichtet waren, jeden
fünften tag ihre geschäfte zu versäumen.
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[119/0129] Der verfassungsentwurf von 411. rate, die in der tat die attische verwaltung sehr übel von der römischen unterscheidet. dadurch, daſs diese selbst aus dem viertel der bürger- schaft gewählt werden und mit im rate sitzen sollten, war nicht nur dies, sondern zugleich die continuirung selbst der militärischen ämter, also die gefahr einer perikleischen demagogie vermieden. es mag sein, daſs in anderen staaten die ἀϱχαί oder συναϱχίαι an den sitzungen des rates teilnahmen: jedenfalls verdient der verfasser hohes lob, daſs er diesesmal eine sehr wenig attische neuerung ins auge gefaſst hat. Die finanzen lagen ihm offenbar sehr am herzen, und er er- strebte eine sehr nötige vereinfachung. die beiden schätze, die im opisthodomos der Athena verwaltet wurden, waren schon so stark zu- sammengeschmolzen, daſs selbst die 10 schatzmeister, die er, vorahnend der späteren zeit, für sie schuf, nicht mehr viel zu tun gehabt haben würden; es war gewiſs überhaupt praktisch, das dem staate unterstellte kirchengut centralisirt zu verwalten: hat es doch auch die lykurgische zeit wieder so gemacht. ganz ebenso sollten die reichscasse und die staatscassen in eine verschmolzen werden, und auf deren verwalter die gesammten cassengeschäfte übergehn. dazu bedurfte man vielleicht nicht einmal sehr vieler beamten; aber hier erschien es praktisch, den rat ohne zuziehung der rendanten verhandeln zu lassen, deren anwesenheit zu leicht gerade ihre beaufsichtigung hindern konnte. so ward der ausweg ersonnen, daſs die hellenotamien zwar ratsherrn sein sollten, aber nicht alle das ganze jahr die geschäfte führen, so weit sie das aber täten, den sitzungen des rates fern bleiben sollten. dem entsprechend ward ihre gesammtzahl auf 20 angesetzt. Die beamten werden in zwei classen gesondert, je nach dem sie dem rate angehören sollen oder nicht. ist die sonderung selbst schon interessant, so wird sie es dadurch doppelt, daſs eine aufzählung der ersten classe gegeben wird, so daſs wir sehen können, welche beamte in so hoher schätzung standen. das sind an erster stelle die strategen, deren wiederwal zu beseitigen die hauptsache war, erst an zweiter die archonten: das ist für das fünfte jahrhundert äuſserst charakteristisch. ihnen folgt der hieromnemon, dessen bedeutung wir hiernach wesentlich höher veranschlagen müssen, als die geschichte und Aristoteles erkennen lassen, und die übrigen militärischen chargen, unter denen die comman- danten der festen plätze erscheinen 18), eine rücksicht auf die verhältnisse des 18) Diese muſsten freilich einen dauernden dispens von den sitzungen erhalten. überhaupt ist nicht geordnet, in wie weit die beamten verpflichtet waren, jeden fünften tag ihre geschäfte zu versäumen.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/129>, abgerufen am 23.11.2024.