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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Die phylen. die steuerclassen.
der bis auf Kleisthenes gilt, aber seltsam wenig hervortritt, eben weil er
ganz künstlich war, während die alten geschlechter ihre lebendige macht
bewahrten. man hatte an die spitze der vier phylen könige gestellt, die
neben dem könige von Athen an mehreren blutgerichtshöfen sassen, ur-
sprünglich sein beirat sein sollten, im prytaneion vielleicht nicht bloss für
sein gericht, sondern überhaupt für seine regierung. aber diese könige
haben in der tradition, über die wir verfügen, ihre rolle schon ausgespielt.
die vier phylen, die keinen rangunterschied haben, waren wol schon
dazu bestimmt, innerhalb des adels die unterschiede der vornehmheit
auszugleichen. wir hören ausserdem von drei ständen, adlichen, grund-
besitzern und handwerkern, eupatridai, geomoroi oder agroikoi,
demiourgoi, und der zweite stand muss wol die besitzer eines landloses
bezeichnen. alle diese drei stände stellen 580 archonten27), besitzen
also vier ahnen, grundbesitz und adel. mit andern worten, die namen
allein schieden noch die gentes minores: patricii sind sie alle, dem staate
gegenüber gleichen rechtes. wenn wir mit fug und recht sagen, dass
Kleisthenes die demokratie dadurch vollendet hat, dass er durch eine
legalfiction alle Athener adlich machte, so hat dieser process früher be-
gonnen als die uns kenntliche geschichte Athens. die gentilicische
fiction aber ist auch nach Kleisthenes niemals aufgegeben worden,
sondern hat für den bürgerbegriff immer gegolten.

Wenn der adel eigentlich schon durch die einführung der phylen-Die steuer-
classen.

teilung eine sehr wirksame, aber doch eine fiction ward, hinter der
sich der bürgerbegriff zunächst in der form der gemeinsamen her-
leitung von dem 'väterlichen' patricischen Apollon barg, so ward der
besitz, der census, allmählich das kriterium, das statt des blutes den
fictiven adel bestimmte. der besitz aber war grundbesitz: die quali-
fication des vollbürgers ward an den 'gott des eignen herdes', den
Zeus erkeios, neben dem Apollon patroos gebunden. diese ordnung
setzt den privaten grundbesitz voraus. damit stiess die sammtgemeinde
die besitzlosen ohne ansehn ihres blutes in die rechtlosigkeit der erden-

27) Unsere überlieferung von den drei ständen ist so ärmlich, dass man fast auf
den verdacht kommt, die chroniknotiz über die archonten von 590 wäre ihre einzige
erwähnung auch im altertum gewesen. dem ist schwerlich so, da die namen geomoroi
und agroikoi neben einander stehn, aber wir empfinden die lücken unserer kenntnis
recht, wenn wir die drei stände, die 580 noch so viel bedeuteten, gar nicht weiter
handelnd antreffen. da sie weder eponyme noch sagen aufweisen können, noch
spätere genossenschaften im anschlusse an sie bestehn, mögen sie allerdings 580
zum letzten male aufgetreten sein.
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Die phylen. die steuerclassen.
der bis auf Kleisthenes gilt, aber seltsam wenig hervortritt, eben weil er
ganz künstlich war, während die alten geschlechter ihre lebendige macht
bewahrten. man hatte an die spitze der vier phylen könige gestellt, die
neben dem könige von Athen an mehreren blutgerichtshöfen sassen, ur-
sprünglich sein beirat sein sollten, im prytaneion vielleicht nicht bloſs für
sein gericht, sondern überhaupt für seine regierung. aber diese könige
haben in der tradition, über die wir verfügen, ihre rolle schon ausgespielt.
die vier phylen, die keinen rangunterschied haben, waren wol schon
dazu bestimmt, innerhalb des adels die unterschiede der vornehmheit
auszugleichen. wir hören auſserdem von drei ständen, adlichen, grund-
besitzern und handwerkern, εὐπατϱίδαι, γεωμόϱοι oder ἀγϱοῖκοι,
δημιουϱγοί, und der zweite stand muſs wol die besitzer eines landloses
bezeichnen. alle diese drei stände stellen 580 archonten27), besitzen
also vier ahnen, grundbesitz und adel. mit andern worten, die namen
allein schieden noch die gentes minores: patricii sind sie alle, dem staate
gegenüber gleichen rechtes. wenn wir mit fug und recht sagen, daſs
Kleisthenes die demokratie dadurch vollendet hat, daſs er durch eine
legalfiction alle Athener adlich machte, so hat dieser proceſs früher be-
gonnen als die uns kenntliche geschichte Athens. die gentilicische
fiction aber ist auch nach Kleisthenes niemals aufgegeben worden,
sondern hat für den bürgerbegriff immer gegolten.

Wenn der adel eigentlich schon durch die einführung der phylen-Die steuer-
classen.

teilung eine sehr wirksame, aber doch eine fiction ward, hinter der
sich der bürgerbegriff zunächst in der form der gemeinsamen her-
leitung von dem ‘väterlichen’ patricischen Apollon barg, so ward der
besitz, der census, allmählich das kriterium, das statt des blutes den
fictiven adel bestimmte. der besitz aber war grundbesitz: die quali-
fication des vollbürgers ward an den ‘gott des eignen herdes’, den
Zeus ἑϱκεῖος, neben dem Apollon πατϱῷος gebunden. diese ordnung
setzt den privaten grundbesitz voraus. damit stieſs die sammtgemeinde
die besitzlosen ohne ansehn ihres blutes in die rechtlosigkeit der erden-

27) Unsere überlieferung von den drei ständen ist so ärmlich, daſs man fast auf
den verdacht kommt, die chroniknotiz über die archonten von 590 wäre ihre einzige
erwähnung auch im altertum gewesen. dem ist schwerlich so, da die namen γεωμόϱοι
und ἀγϱοῖκοι neben einander stehn, aber wir empfinden die lücken unserer kenntnis
recht, wenn wir die drei stände, die 580 noch so viel bedeuteten, gar nicht weiter
handelnd antreffen. da sie weder eponyme noch sagen aufweisen können, noch
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zum letzten male aufgetreten sein.
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[51/0061] Die phylen. die steuerclassen. der bis auf Kleisthenes gilt, aber seltsam wenig hervortritt, eben weil er ganz künstlich war, während die alten geschlechter ihre lebendige macht bewahrten. man hatte an die spitze der vier phylen könige gestellt, die neben dem könige von Athen an mehreren blutgerichtshöfen sassen, ur- sprünglich sein beirat sein sollten, im prytaneion vielleicht nicht bloſs für sein gericht, sondern überhaupt für seine regierung. aber diese könige haben in der tradition, über die wir verfügen, ihre rolle schon ausgespielt. die vier phylen, die keinen rangunterschied haben, waren wol schon dazu bestimmt, innerhalb des adels die unterschiede der vornehmheit auszugleichen. wir hören auſserdem von drei ständen, adlichen, grund- besitzern und handwerkern, εὐπατϱίδαι, γεωμόϱοι oder ἀγϱοῖκοι, δημιουϱγοί, und der zweite stand muſs wol die besitzer eines landloses bezeichnen. alle diese drei stände stellen 580 archonten 27), besitzen also vier ahnen, grundbesitz und adel. mit andern worten, die namen allein schieden noch die gentes minores: patricii sind sie alle, dem staate gegenüber gleichen rechtes. wenn wir mit fug und recht sagen, daſs Kleisthenes die demokratie dadurch vollendet hat, daſs er durch eine legalfiction alle Athener adlich machte, so hat dieser proceſs früher be- gonnen als die uns kenntliche geschichte Athens. die gentilicische fiction aber ist auch nach Kleisthenes niemals aufgegeben worden, sondern hat für den bürgerbegriff immer gegolten. Wenn der adel eigentlich schon durch die einführung der phylen- teilung eine sehr wirksame, aber doch eine fiction ward, hinter der sich der bürgerbegriff zunächst in der form der gemeinsamen her- leitung von dem ‘väterlichen’ patricischen Apollon barg, so ward der besitz, der census, allmählich das kriterium, das statt des blutes den fictiven adel bestimmte. der besitz aber war grundbesitz: die quali- fication des vollbürgers ward an den ‘gott des eignen herdes’, den Zeus ἑϱκεῖος, neben dem Apollon πατϱῷος gebunden. diese ordnung setzt den privaten grundbesitz voraus. damit stieſs die sammtgemeinde die besitzlosen ohne ansehn ihres blutes in die rechtlosigkeit der erden- Die steuer- classen. 27) Unsere überlieferung von den drei ständen ist so ärmlich, daſs man fast auf den verdacht kommt, die chroniknotiz über die archonten von 590 wäre ihre einzige erwähnung auch im altertum gewesen. dem ist schwerlich so, da die namen γεωμόϱοι und ἀγϱοῖκοι neben einander stehn, aber wir empfinden die lücken unserer kenntnis recht, wenn wir die drei stände, die 580 noch so viel bedeuteten, gar nicht weiter handelnd antreffen. da sie weder eponyme noch sagen aufweisen können, noch spätere genossenschaften im anschlusse an sie bestehn, mögen sie allerdings 580 zum letzten male aufgetreten sein. 4*

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/61>, abgerufen am 27.11.2024.