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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 2. Von Kekrops bis Solon.
die dieser vielleicht als thesmothet vornahm. schon die aufzeichnung
des rechtes war eine bedeutende concession, und durch die auslosung
des rates und der niederen beamten aus der bürgerschaft ward der rat
des Areshügels weiter beschränkt, mochte er auch noch die controlle
der beamten behalten, also, wenn er einen einigen und festen willen
besass, die eigentliche herrschaft behaupten können. durch künstliche
mittel sollte der rat der 401 und sein vorstand, die prytanen, gebunden
werden, und vor allem wurden die wahlbeamten auf die höchsten classen
in der art beschränkt, dass das schuldenfreie vermögen statt des einkommens
den massstab des census abgab. dadurch trug diese reform lediglich zu
der verschärfung der socialen gegensätze bei und trieb die verschuldeten
grundbesitzer, denen sie die höchsten stellen entzog, notwendig in das
lager der umstürzler. erst in dieser umbildung ward die einteilung der
classen nach dem census eine plutokratische. es dauerte nicht lange,
da ward Solon zum archon gewählt, nicht sowol um verfassungsgesetze
zu geben, als um die unerträgliche sociale not zu beseitigen; die meisten
erwarteten eine confiscation und neuaufteilung des landes.

Der wirt-
schaftliche
notstand.
Es ist nicht leicht, die ursachen dieser wirtschaftlichen not anzu-
geben, die vornehmlich in der verschuldung oder vertreibung der kleineren
grundbesitzer bestanden hat. die erscheinung wiederholt sich in vielen
staaten des altertums, aber nirgend in einer zeit, die wir durch hin-
reichende directe zeugnisse mit eignen augen kennen lernen könnten.
die erste voraussetzung ist in der verwandelung des gemeinbesitzes in
den privaten gegeben. dann führt schon die natürliche vermehrung der
bevölkerung zu schweren krisen, sobald eine verteilung von neuen landlosen
nicht mehr möglich ist. in Athen war dieser zustand erreicht, nachdem
Eleusis erworben war. die par bergschluchten, die man den nördlichen
nachbarn abnehmen konnte, machten wenig aus; Salamis begehrte man
vergeblich; man musste auch noch oft den eleusinischen besitz verteidigen;
Tellos ist in einem solchen kampfe gefallen. ein anderes hilfsmittel ist
die colonisation, und sie hatte früher geholfen. auch jetzt noch ist ge-
wiss ein teil der überschüssigen bevölkerung hinausgezogen, aber fast
immer unter fremder führung, so dass sie die machtstellung des vater-
landes nicht stärkte. eigene athenische colonien von bedeutung sind
im siebenten jahrhundert nicht gegründet worden; selbst Sigeion war
von den Mytilenaeern so stark umstritten, dass es nicht gedieh. die
planmässige verbesserung des landbaus, um die rentabilität der güter zu
steigern, wird der moderne der vorsolonischen zeit nicht leicht zutrauen;
und doch ist gerade diese merkwürdige tatsache sicher. der adel hat

II. 2. Von Kekrops bis Solon.
die dieser vielleicht als thesmothet vornahm. schon die aufzeichnung
des rechtes war eine bedeutende concession, und durch die auslosung
des rates und der niederen beamten aus der bürgerschaft ward der rat
des Areshügels weiter beschränkt, mochte er auch noch die controlle
der beamten behalten, also, wenn er einen einigen und festen willen
besaſs, die eigentliche herrschaft behaupten können. durch künstliche
mittel sollte der rat der 401 und sein vorstand, die prytanen, gebunden
werden, und vor allem wurden die wahlbeamten auf die höchsten classen
in der art beschränkt, daſs das schuldenfreie vermögen statt des einkommens
den maſsstab des census abgab. dadurch trug diese reform lediglich zu
der verschärfung der socialen gegensätze bei und trieb die verschuldeten
grundbesitzer, denen sie die höchsten stellen entzog, notwendig in das
lager der umstürzler. erst in dieser umbildung ward die einteilung der
classen nach dem census eine plutokratische. es dauerte nicht lange,
da ward Solon zum archon gewählt, nicht sowol um verfassungsgesetze
zu geben, als um die unerträgliche sociale not zu beseitigen; die meisten
erwarteten eine confiscation und neuaufteilung des landes.

Der wirt-
schaftliche
notstand.
Es ist nicht leicht, die ursachen dieser wirtschaftlichen not anzu-
geben, die vornehmlich in der verschuldung oder vertreibung der kleineren
grundbesitzer bestanden hat. die erscheinung wiederholt sich in vielen
staaten des altertums, aber nirgend in einer zeit, die wir durch hin-
reichende directe zeugnisse mit eignen augen kennen lernen könnten.
die erste voraussetzung ist in der verwandelung des gemeinbesitzes in
den privaten gegeben. dann führt schon die natürliche vermehrung der
bevölkerung zu schweren krisen, sobald eine verteilung von neuen landlosen
nicht mehr möglich ist. in Athen war dieser zustand erreicht, nachdem
Eleusis erworben war. die par bergschluchten, die man den nördlichen
nachbarn abnehmen konnte, machten wenig aus; Salamis begehrte man
vergeblich; man muſste auch noch oft den eleusinischen besitz verteidigen;
Tellos ist in einem solchen kampfe gefallen. ein anderes hilfsmittel ist
die colonisation, und sie hatte früher geholfen. auch jetzt noch ist ge-
wiſs ein teil der überschüssigen bevölkerung hinausgezogen, aber fast
immer unter fremder führung, so daſs sie die machtstellung des vater-
landes nicht stärkte. eigene athenische colonien von bedeutung sind
im siebenten jahrhundert nicht gegründet worden; selbst Sigeion war
von den Mytilenaeern so stark umstritten, daſs es nicht gedieh. die
planmäſsige verbesserung des landbaus, um die rentabilität der güter zu
steigern, wird der moderne der vorsolonischen zeit nicht leicht zutrauen;
und doch ist gerade diese merkwürdige tatsache sicher. der adel hat

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[56/0066] II. 2. Von Kekrops bis Solon. die dieser vielleicht als thesmothet vornahm. schon die aufzeichnung des rechtes war eine bedeutende concession, und durch die auslosung des rates und der niederen beamten aus der bürgerschaft ward der rat des Areshügels weiter beschränkt, mochte er auch noch die controlle der beamten behalten, also, wenn er einen einigen und festen willen besaſs, die eigentliche herrschaft behaupten können. durch künstliche mittel sollte der rat der 401 und sein vorstand, die prytanen, gebunden werden, und vor allem wurden die wahlbeamten auf die höchsten classen in der art beschränkt, daſs das schuldenfreie vermögen statt des einkommens den maſsstab des census abgab. dadurch trug diese reform lediglich zu der verschärfung der socialen gegensätze bei und trieb die verschuldeten grundbesitzer, denen sie die höchsten stellen entzog, notwendig in das lager der umstürzler. erst in dieser umbildung ward die einteilung der classen nach dem census eine plutokratische. es dauerte nicht lange, da ward Solon zum archon gewählt, nicht sowol um verfassungsgesetze zu geben, als um die unerträgliche sociale not zu beseitigen; die meisten erwarteten eine confiscation und neuaufteilung des landes. Es ist nicht leicht, die ursachen dieser wirtschaftlichen not anzu- geben, die vornehmlich in der verschuldung oder vertreibung der kleineren grundbesitzer bestanden hat. die erscheinung wiederholt sich in vielen staaten des altertums, aber nirgend in einer zeit, die wir durch hin- reichende directe zeugnisse mit eignen augen kennen lernen könnten. die erste voraussetzung ist in der verwandelung des gemeinbesitzes in den privaten gegeben. dann führt schon die natürliche vermehrung der bevölkerung zu schweren krisen, sobald eine verteilung von neuen landlosen nicht mehr möglich ist. in Athen war dieser zustand erreicht, nachdem Eleusis erworben war. die par bergschluchten, die man den nördlichen nachbarn abnehmen konnte, machten wenig aus; Salamis begehrte man vergeblich; man muſste auch noch oft den eleusinischen besitz verteidigen; Tellos ist in einem solchen kampfe gefallen. ein anderes hilfsmittel ist die colonisation, und sie hatte früher geholfen. auch jetzt noch ist ge- wiſs ein teil der überschüssigen bevölkerung hinausgezogen, aber fast immer unter fremder führung, so daſs sie die machtstellung des vater- landes nicht stärkte. eigene athenische colonien von bedeutung sind im siebenten jahrhundert nicht gegründet worden; selbst Sigeion war von den Mytilenaeern so stark umstritten, daſs es nicht gedieh. die planmäſsige verbesserung des landbaus, um die rentabilität der güter zu steigern, wird der moderne der vorsolonischen zeit nicht leicht zutrauen; und doch ist gerade diese merkwürdige tatsache sicher. der adel hat Der wirt- schaftliche notstand.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/66>, abgerufen am 27.11.2024.