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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Der wirtschaftliche notstand.
in dieser richtung sehr viel mehr geleistet als die ganze zeit der demo-
kratie. die einführung und überwachung des ölbaus durch den Areo-
pagitenrat ist eine tat, deren folgen bis auf den heutigen tag währen,
und wir vermögen uns Attika ohne dieses geschenk seiner göttin gar
nicht zu denken. das wasserrecht in hinsicht auf brunnen cisternen und
vorflut ist von 'Solon' geordnet: wer wollte bezweifeln, dass er nur das
geltende recht aufzeichnete? mit den schusspraemien für die erlegung
der raubtiere steht es ebenso; schaf und ziegenzucht muss in den
attischen bergen den landbau ergänzen. daneben gehen die versuche
durch ausfuhrverbote dem eigenen volke die erzeugnisse des heimischen
feld- und gartenbaues zu erhalten, doch wol eine im interesse der con-
sumenten getroffene massregel; der name der sykophanten deutet freilich
mehr auf ein verbot der einfuhr fremder früchte, und prohibitiv-
massregeln dieser art pflegen zum schutze der heimischen production
ersonnen zu werden. doch vermögen wir nicht abzuschätzen, welche
versuche die verschiedenen parteien in Athen gemacht haben: das wich-
tige ist, dass der alte staat auch auf wirtschaftlichem gebiete so vielerlei
unternommen hat.

Wichtiger als alles andere war der übergang von der naturalwirt-
schaft zu der herrschaft des geldes. die hypothek sagt noch heute durch
ihren namen, dass sie eine erfindung der athenischen capitalisten oder
auch des attischen adels ist: das ist dasselbe. das gemünzte geld der
nachbarn, in Chalkis oder Aigina geschlagen, cursirte in Attika; das metall
war aber wol schon lange vorher das gesetzliche tauschmittel geworden,
und der staat hatte das aeginetische gewicht angenommen. während zu
der zeit, da die steuerclassen eingeführt wurden, die steuern von dem
bruttoeinkommen gewiss eben so in natura abgeliefert wurden, wie der
könig noch im fünften jahrhundert die gefälle der 'rinderhirtenschaft'
von den parasiten der Acharner eintrieb, ward nun die zahlung in silber
vorgeschrieben. auf dem markte drängte sich das metall als vermittler
zwischen die producte des landmanns und des handwerkers. der bauer
braucht das bare geld an jedem markttage; die einnahmen fliessen ihm im
jahre nur an ein par terminen zu. sehr rasch kommt er in den fall zu
borgen, und sehr bequem erscheint es ihm, sein gut zum pfande zu
setzen. ein beschriebener stein auf dem acker, das ist zuerst nichts
gefährliches. aber der zinsfuss steht im belieben des gläubigers, und
wenn der handel, der zuerst das 'gebären' des geldes gelehrt hat, mit
ungeheurem risico und entsprechendem gewinne rechnen muss und daher
einen sehr hohen zinsfuss verträgt, so erliegt die landwirtschaft nur zu

Der wirtschaftliche notstand.
in dieser richtung sehr viel mehr geleistet als die ganze zeit der demo-
kratie. die einführung und überwachung des ölbaus durch den Areo-
pagitenrat ist eine tat, deren folgen bis auf den heutigen tag währen,
und wir vermögen uns Attika ohne dieses geschenk seiner göttin gar
nicht zu denken. das wasserrecht in hinsicht auf brunnen cisternen und
vorflut ist von ‘Solon’ geordnet: wer wollte bezweifeln, daſs er nur das
geltende recht aufzeichnete? mit den schuſspraemien für die erlegung
der raubtiere steht es ebenso; schaf und ziegenzucht muſs in den
attischen bergen den landbau ergänzen. daneben gehen die versuche
durch ausfuhrverbote dem eigenen volke die erzeugnisse des heimischen
feld- und gartenbaues zu erhalten, doch wol eine im interesse der con-
sumenten getroffene maſsregel; der name der sykophanten deutet freilich
mehr auf ein verbot der einfuhr fremder früchte, und prohibitiv-
maſsregeln dieser art pflegen zum schutze der heimischen production
ersonnen zu werden. doch vermögen wir nicht abzuschätzen, welche
versuche die verschiedenen parteien in Athen gemacht haben: das wich-
tige ist, daſs der alte staat auch auf wirtschaftlichem gebiete so vielerlei
unternommen hat.

Wichtiger als alles andere war der übergang von der naturalwirt-
schaft zu der herrschaft des geldes. die hypothek sagt noch heute durch
ihren namen, daſs sie eine erfindung der athenischen capitalisten oder
auch des attischen adels ist: das ist dasselbe. das gemünzte geld der
nachbarn, in Chalkis oder Aigina geschlagen, cursirte in Attika; das metall
war aber wol schon lange vorher das gesetzliche tauschmittel geworden,
und der staat hatte das aeginetische gewicht angenommen. während zu
der zeit, da die steuerclassen eingeführt wurden, die steuern von dem
bruttoeinkommen gewiſs eben so in natura abgeliefert wurden, wie der
könig noch im fünften jahrhundert die gefälle der ‘rinderhirtenschaft’
von den parasiten der Acharner eintrieb, ward nun die zahlung in silber
vorgeschrieben. auf dem markte drängte sich das metall als vermittler
zwischen die producte des landmanns und des handwerkers. der bauer
braucht das bare geld an jedem markttage; die einnahmen flieſsen ihm im
jahre nur an ein par terminen zu. sehr rasch kommt er in den fall zu
borgen, und sehr bequem erscheint es ihm, sein gut zum pfande zu
setzen. ein beschriebener stein auf dem acker, das ist zuerst nichts
gefährliches. aber der zinsfuſs steht im belieben des gläubigers, und
wenn der handel, der zuerst das ‘gebären’ des geldes gelehrt hat, mit
ungeheurem risico und entsprechendem gewinne rechnen muſs und daher
einen sehr hohen zinsfuſs verträgt, so erliegt die landwirtschaft nur zu

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[57/0067] Der wirtschaftliche notstand. in dieser richtung sehr viel mehr geleistet als die ganze zeit der demo- kratie. die einführung und überwachung des ölbaus durch den Areo- pagitenrat ist eine tat, deren folgen bis auf den heutigen tag währen, und wir vermögen uns Attika ohne dieses geschenk seiner göttin gar nicht zu denken. das wasserrecht in hinsicht auf brunnen cisternen und vorflut ist von ‘Solon’ geordnet: wer wollte bezweifeln, daſs er nur das geltende recht aufzeichnete? mit den schuſspraemien für die erlegung der raubtiere steht es ebenso; schaf und ziegenzucht muſs in den attischen bergen den landbau ergänzen. daneben gehen die versuche durch ausfuhrverbote dem eigenen volke die erzeugnisse des heimischen feld- und gartenbaues zu erhalten, doch wol eine im interesse der con- sumenten getroffene maſsregel; der name der sykophanten deutet freilich mehr auf ein verbot der einfuhr fremder früchte, und prohibitiv- maſsregeln dieser art pflegen zum schutze der heimischen production ersonnen zu werden. doch vermögen wir nicht abzuschätzen, welche versuche die verschiedenen parteien in Athen gemacht haben: das wich- tige ist, daſs der alte staat auch auf wirtschaftlichem gebiete so vielerlei unternommen hat. Wichtiger als alles andere war der übergang von der naturalwirt- schaft zu der herrschaft des geldes. die hypothek sagt noch heute durch ihren namen, daſs sie eine erfindung der athenischen capitalisten oder auch des attischen adels ist: das ist dasselbe. das gemünzte geld der nachbarn, in Chalkis oder Aigina geschlagen, cursirte in Attika; das metall war aber wol schon lange vorher das gesetzliche tauschmittel geworden, und der staat hatte das aeginetische gewicht angenommen. während zu der zeit, da die steuerclassen eingeführt wurden, die steuern von dem bruttoeinkommen gewiſs eben so in natura abgeliefert wurden, wie der könig noch im fünften jahrhundert die gefälle der ‘rinderhirtenschaft’ von den parasiten der Acharner eintrieb, ward nun die zahlung in silber vorgeschrieben. auf dem markte drängte sich das metall als vermittler zwischen die producte des landmanns und des handwerkers. der bauer braucht das bare geld an jedem markttage; die einnahmen flieſsen ihm im jahre nur an ein par terminen zu. sehr rasch kommt er in den fall zu borgen, und sehr bequem erscheint es ihm, sein gut zum pfande zu setzen. ein beschriebener stein auf dem acker, das ist zuerst nichts gefährliches. aber der zinsfuſs steht im belieben des gläubigers, und wenn der handel, der zuerst das ‘gebären’ des geldes gelehrt hat, mit ungeheurem risico und entsprechendem gewinne rechnen muſs und daher einen sehr hohen zinsfuſs verträgt, so erliegt die landwirtschaft nur zu

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/67>, abgerufen am 27.11.2024.