Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.Vorwort. zwungen. aber das buch ist gänzlich ungefüge geworden. zwar denvorteil wollte ich nicht aufgeben, den strom der erklärung von der wasserpest der kritischen debatten und der polemik rein zu halten: ver- geblich wird der leser moderne eigennamen suchen, die jetzt mode ist womöglich durch gesperrten druck kenntlich gemacht wie fettaugen auf der wissenschaftlichen suppe schwimmen zu lassen. aber die berechtigte forderung, gleichmässig zu erklären und streng bei dem gegebenen zu bleiben, ist doch verletzt, und es ist wieder ein commentar, der einen index nötig hat. vollends aber die einleitung ist zu einem bande aus- gewachsen, und ich habe mich schliesslich dazu verstehen müssen, sie durch einen sondertitel als einleitung in das attische drama zu verselb- ständigen. unmittelbar diesem zwecke dient nur die hälfte, cap. 2--4; auch 5 und 6 fallen nicht ganz heraus, denn wer auf das verhältnis der tragödie zur sage so viel wert legt, dass er es sogar in ihre definition einbezieht, wird ein beispiel unter allen umständen vorführen wollen, und das kann Heraklessage und Heraklestragödie so gut wie eine andere sein. aber ein genos Euripidou ist ganz unberechtigt, wenn die beiden anderen tragiker fehlen, und die wieder können in die einleitung zum Herakles nimmermehr hinein. es ist nicht anders, das buch wie es ist ist keine einheit und hat objectiv keine berechtigung. dies urteil ver- diene ich, fälle ich selbst zuerst, aber ich konnte nicht anders: was ich gemalt hab' hab' ich gemalt, und die subjective berechtigung lasse ich mir nicht nehmen. ist denn die wissenschaftliche production eine andere als die dichterische, wo wir doch wissen, dass der dichter unter dem zwange des geistes schafft, der über ihn kommt? auch unser tun ist po[ - 1 Zeichen fehlt]ein, und auch wir können die poesie nicht commandiren. nur was wir verfehlen, ist unser, und etwa die handwerksarbeit, die jeder kann, wenn er den schweiss daran setzt: was uns gelingt, das danken wir der Muse, und soll ihr, nicht uns, danken, wer sich dadurch gefördert fühlt. mir hat sie versagt zu schaffen, was einen reinen eindruck macht; ich bin philologe genug, den mangel einzusehen, aber ich bin nicht poet gemug, ihn zu überwinden. Ich hatte jahre lang meinen zorn damit beschwichtigt, in dieser Vorwort. zwungen. aber das buch ist gänzlich ungefüge geworden. zwar denvorteil wollte ich nicht aufgeben, den strom der erklärung von der wasserpest der kritischen debatten und der polemik rein zu halten: ver- geblich wird der leser moderne eigennamen suchen, die jetzt mode ist womöglich durch gesperrten druck kenntlich gemacht wie fettaugen auf der wissenschaftlichen suppe schwimmen zu lassen. aber die berechtigte forderung, gleichmäſsig zu erklären und streng bei dem gegebenen zu bleiben, ist doch verletzt, und es ist wieder ein commentar, der einen index nötig hat. vollends aber die einleitung ist zu einem bande aus- gewachsen, und ich habe mich schlieſslich dazu verstehen müssen, sie durch einen sondertitel als einleitung in das attische drama zu verselb- ständigen. unmittelbar diesem zwecke dient nur die hälfte, cap. 2—4; auch 5 und 6 fallen nicht ganz heraus, denn wer auf das verhältnis der tragödie zur sage so viel wert legt, daſs er es sogar in ihre definition einbezieht, wird ein beispiel unter allen umständen vorführen wollen, und das kann Heraklessage und Heraklestragödie so gut wie eine andere sein. aber ein γένος Εὐριπίδου ist ganz unberechtigt, wenn die beiden anderen tragiker fehlen, und die wieder können in die einleitung zum Herakles nimmermehr hinein. es ist nicht anders, das buch wie es ist ist keine einheit und hat objectiv keine berechtigung. dies urteil ver- diene ich, fälle ich selbst zuerst, aber ich konnte nicht anders: was ich gemalt hab’ hab’ ich gemalt, und die subjective berechtigung lasse ich mir nicht nehmen. ist denn die wissenschaftliche production eine andere als die dichterische, wo wir doch wissen, daſs der dichter unter dem zwange des geistes schafft, der über ihn kommt? auch unser tun ist πο[ – 1 Zeichen fehlt]εῖν, und auch wir können die poesie nicht commandiren. nur was wir verfehlen, ist unser, und etwa die handwerksarbeit, die jeder kann, wenn er den schweiſs daran setzt: was uns gelingt, das danken wir der Muse, und soll ihr, nicht uns, danken, wer sich dadurch gefördert fühlt. mir hat sie versagt zu schaffen, was einen reinen eindruck macht; ich bin philologe genug, den mangel einzusehen, aber ich bin nicht poet gemug, ihn zu überwinden. 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Vorwort.
zwungen. aber das buch ist gänzlich ungefüge geworden. zwar den
vorteil wollte ich nicht aufgeben, den strom der erklärung von der
wasserpest der kritischen debatten und der polemik rein zu halten: ver-
geblich wird der leser moderne eigennamen suchen, die jetzt mode ist
womöglich durch gesperrten druck kenntlich gemacht wie fettaugen auf
der wissenschaftlichen suppe schwimmen zu lassen. aber die berechtigte
forderung, gleichmäſsig zu erklären und streng bei dem gegebenen zu
bleiben, ist doch verletzt, und es ist wieder ein commentar, der einen
index nötig hat. vollends aber die einleitung ist zu einem bande aus-
gewachsen, und ich habe mich schlieſslich dazu verstehen müssen, sie
durch einen sondertitel als einleitung in das attische drama zu verselb-
ständigen. unmittelbar diesem zwecke dient nur die hälfte, cap. 2—4;
auch 5 und 6 fallen nicht ganz heraus, denn wer auf das verhältnis
der tragödie zur sage so viel wert legt, daſs er es sogar in ihre definition
einbezieht, wird ein beispiel unter allen umständen vorführen wollen,
und das kann Heraklessage und Heraklestragödie so gut wie eine andere
sein. aber ein γένος Εὐριπίδου ist ganz unberechtigt, wenn die beiden
anderen tragiker fehlen, und die wieder können in die einleitung zum
Herakles nimmermehr hinein. es ist nicht anders, das buch wie es ist
ist keine einheit und hat objectiv keine berechtigung. dies urteil ver-
diene ich, fälle ich selbst zuerst, aber ich konnte nicht anders: was ich
gemalt hab’ hab’ ich gemalt, und die subjective berechtigung lasse ich
mir nicht nehmen. ist denn die wissenschaftliche production eine andere
als die dichterische, wo wir doch wissen, daſs der dichter unter dem
zwange des geistes schafft, der über ihn kommt? auch unser tun ist
πο_εῖν, und auch wir können die poesie nicht commandiren. nur was
wir verfehlen, ist unser, und etwa die handwerksarbeit, die jeder kann,
wenn er den schweiſs daran setzt: was uns gelingt, das danken wir der
Muse, und soll ihr, nicht uns, danken, wer sich dadurch gefördert fühlt.
mir hat sie versagt zu schaffen, was einen reinen eindruck macht; ich
bin philologe genug, den mangel einzusehen, aber ich bin nicht poet
gemug, ihn zu überwinden.
Ich hatte jahre lang meinen zorn damit beschwichtigt, in dieser
vorrede einmal gegen die behandlung aufzustehen, die sich die wortführer
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