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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Geschichte des tragikertextes.
Theon und Niketes gar kein bearbeiter zu nennen, und die geschichte
seiner erklärung erscheint uns als eine fortgesetzte verdünnung von der
grossen gelehrsamkeit, welche die älteren excerpte ahnen lassen 145), bis
auf die jetzige bettelhafte dürftigkeit. aber aus dieser allein ist es auch
erklärlich, dass wir von keinen späteren grammatikern hören, und allein
die paraphrasen beweisen schon das eingreifen von mehreren: unmög-
lich darf Theon mit den erhaltenen behelligt werden 145 a).

Was ist nun das resultat dieser ungünstigeren erhaltung für den text?
kein ungünstiges. niemand kann bestreiten, dass beide dichter im ganzen
sehr gut erhalten sind, und auch hier treten die citate viel öfter be-
stätigend als berichtigend ein. und so ist es ja überhaupt: der blick muss
nur nicht auf ein einzelnes object sich verbohren, sondern muss die
fülle der erscheinungen übersehen, man muss nur die texte vieler schrift-
steller wirklich geprüft haben, dann wird man fest und sicher in der kritik
und lässt sich von dem unwissenschaftlichen meinen und besserwissen
nicht beirren. dichter und scholien haben dieselbe überlieferung seit
dem altertum, und die jahrhunderte der Byzantinerzeit, 6--12, haben
viel verloren, aber wenig verdorben. dichter, welche aus der gelehrten
tradition des altertumes den schutz der grammatik überkommen hatten,
und welche zum teil weiter mit einer gewissen gelehrsamkeit behandelt
wurden, sind in dieser zeit nicht wesentlich entstellt. da ist keine
erscheinung, wie sie die überlieferung der epigramme in den anthologien
bietet und mehrere pseudotheokritische gedichte: die lasen und variirten
die versifexe, die es immer gab. da ist keine so schauerliche verderbnis,
wie sie gelegentlich abgeschriebene stücke, z. b. das carmen de herbis
betroffen hat, oder innerhalb technischer schriften erhaltene, wie die
von Galen geretteten medicinischen poeme, oder selbst ganz technische wie
die Manethoniana. der zustand der älteren, classischen litteraturwerke,
den wir vorfinden, hängt wesentlich davon ab, wie sie in die Byzantiner-
zeit herüber gerettet sind. ein glänzender beleg ist die erhaltene hymnen-
sammlung, welche die Kallimacheischen mit einem ganz jämmerlichen

145) Ausser den Römern, die aus Theon schöpfen, steht manches bei Stephanus,
im Et. M. und in den scholien zu Dionysios periegetes, die eine ausgabe und analyse
verdienen, zumal jetzt der schluss (von 900 etwa) verdünnt und durch zusätze (Plu-
tarch de fluviis z. b., wovor sich zu hüten) verdorben ist. Lykophronscholien stecken
z. b. 259, 270, 306, 358, 483. auch Apollonios- und Kallimachosscholien sind viel
benutzt. die scholien scheinen aus dem 4. oder 5. jahrhundert zu sein.
145 a) Wirklich erscheint in der älteren überlieferung des Et. M. 'Amantis ein
Sextion en upomnemati Lukophronos. gefällige mitteilung von Reitzenstein.

Geschichte des tragikertextes.
Theon und Niketes gar kein bearbeiter zu nennen, und die geschichte
seiner erklärung erscheint uns als eine fortgesetzte verdünnung von der
groſsen gelehrsamkeit, welche die älteren excerpte ahnen lassen 145), bis
auf die jetzige bettelhafte dürftigkeit. aber aus dieser allein ist es auch
erklärlich, daſs wir von keinen späteren grammatikern hören, und allein
die paraphrasen beweisen schon das eingreifen von mehreren: unmög-
lich darf Theon mit den erhaltenen behelligt werden 145 a).

Was ist nun das resultat dieser ungünstigeren erhaltung für den text?
kein ungünstiges. niemand kann bestreiten, daſs beide dichter im ganzen
sehr gut erhalten sind, und auch hier treten die citate viel öfter be-
stätigend als berichtigend ein. und so ist es ja überhaupt: der blick muſs
nur nicht auf ein einzelnes object sich verbohren, sondern muſs die
fülle der erscheinungen übersehen, man muſs nur die texte vieler schrift-
steller wirklich geprüft haben, dann wird man fest und sicher in der kritik
und läſst sich von dem unwissenschaftlichen meinen und besserwissen
nicht beirren. dichter und scholien haben dieselbe überlieferung seit
dem altertum, und die jahrhunderte der Byzantinerzeit, 6—12, haben
viel verloren, aber wenig verdorben. dichter, welche aus der gelehrten
tradition des altertumes den schutz der grammatik überkommen hatten,
und welche zum teil weiter mit einer gewissen gelehrsamkeit behandelt
wurden, sind in dieser zeit nicht wesentlich entstellt. da ist keine
erscheinung, wie sie die überlieferung der epigramme in den anthologien
bietet und mehrere pseudotheokritische gedichte: die lasen und variirten
die versifexe, die es immer gab. da ist keine so schauerliche verderbnis,
wie sie gelegentlich abgeschriebene stücke, z. b. das carmen de herbis
betroffen hat, oder innerhalb technischer schriften erhaltene, wie die
von Galen geretteten medicinischen poeme, oder selbst ganz technische wie
die Manethoniana. der zustand der älteren, classischen litteraturwerke,
den wir vorfinden, hängt wesentlich davon ab, wie sie in die Byzantiner-
zeit herüber gerettet sind. ein glänzender beleg ist die erhaltene hymnen-
sammlung, welche die Kallimacheischen mit einem ganz jämmerlichen

145) Auſser den Römern, die aus Theon schöpfen, steht manches bei Stephanus,
im Et. M. und in den scholien zu Dionysios periegetes, die eine ausgabe und analyse
verdienen, zumal jetzt der schluſs (von 900 etwa) verdünnt und durch zusätze (Plu-
tarch de fluviis z. b., wovor sich zu hüten) verdorben ist. Lykophronscholien stecken
z. b. 259, 270, 306, 358, 483. auch Apollonios- und Kallimachosscholien sind viel
benutzt. die scholien scheinen aus dem 4. oder 5. jahrhundert zu sein.
145 a) Wirklich erscheint in der älteren überlieferung des Et. M. ᾽Αμαντίς ein
Σεξτίων ἐν ὑπομνήματι Λυϰόφρονος. gefällige mitteilung von Reitzenstein.
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[192/0212] Geschichte des tragikertextes. Theon und Niketes gar kein bearbeiter zu nennen, und die geschichte seiner erklärung erscheint uns als eine fortgesetzte verdünnung von der groſsen gelehrsamkeit, welche die älteren excerpte ahnen lassen 145), bis auf die jetzige bettelhafte dürftigkeit. aber aus dieser allein ist es auch erklärlich, daſs wir von keinen späteren grammatikern hören, und allein die paraphrasen beweisen schon das eingreifen von mehreren: unmög- lich darf Theon mit den erhaltenen behelligt werden 145 a). Was ist nun das resultat dieser ungünstigeren erhaltung für den text? kein ungünstiges. niemand kann bestreiten, daſs beide dichter im ganzen sehr gut erhalten sind, und auch hier treten die citate viel öfter be- stätigend als berichtigend ein. und so ist es ja überhaupt: der blick muſs nur nicht auf ein einzelnes object sich verbohren, sondern muſs die fülle der erscheinungen übersehen, man muſs nur die texte vieler schrift- steller wirklich geprüft haben, dann wird man fest und sicher in der kritik und läſst sich von dem unwissenschaftlichen meinen und besserwissen nicht beirren. dichter und scholien haben dieselbe überlieferung seit dem altertum, und die jahrhunderte der Byzantinerzeit, 6—12, haben viel verloren, aber wenig verdorben. dichter, welche aus der gelehrten tradition des altertumes den schutz der grammatik überkommen hatten, und welche zum teil weiter mit einer gewissen gelehrsamkeit behandelt wurden, sind in dieser zeit nicht wesentlich entstellt. da ist keine erscheinung, wie sie die überlieferung der epigramme in den anthologien bietet und mehrere pseudotheokritische gedichte: die lasen und variirten die versifexe, die es immer gab. da ist keine so schauerliche verderbnis, wie sie gelegentlich abgeschriebene stücke, z. b. das carmen de herbis betroffen hat, oder innerhalb technischer schriften erhaltene, wie die von Galen geretteten medicinischen poeme, oder selbst ganz technische wie die Manethoniana. der zustand der älteren, classischen litteraturwerke, den wir vorfinden, hängt wesentlich davon ab, wie sie in die Byzantiner- zeit herüber gerettet sind. ein glänzender beleg ist die erhaltene hymnen- sammlung, welche die Kallimacheischen mit einem ganz jämmerlichen 145) Auſser den Römern, die aus Theon schöpfen, steht manches bei Stephanus, im Et. M. und in den scholien zu Dionysios periegetes, die eine ausgabe und analyse verdienen, zumal jetzt der schluſs (von 900 etwa) verdünnt und durch zusätze (Plu- tarch de fluviis z. b., wovor sich zu hüten) verdorben ist. Lykophronscholien stecken z. b. 259, 270, 306, 358, 483. auch Apollonios- und Kallimachosscholien sind viel benutzt. die scholien scheinen aus dem 4. oder 5. jahrhundert zu sein. 145 a) Wirklich erscheint in der älteren überlieferung des Et. M. ᾽Αμαντίς ein Σεξτίων ἐν ὑπομνήματι Λυϰόφρονος. gefällige mitteilung von Reitzenstein.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/212>, abgerufen am 23.11.2024.