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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Scholien zu den Alexandrinern. Byzantinische correctoren.
reste von scholien 145 b), aber so gut wie ganz rein enthält, und daneben die
homerischen zum teil, wie den Aphroditehymnus, fast rein, zum teil, wie
den Apollonhymnus, bis zum chaos entstellt: niemand kann das anders
auffassen, als dass der unterschied der erhaltung vorhanden war, als die
sammlung angelegt ward, von welcher wir uns aus renaissanceabschriften
eine handschrift des 12. jahrhunderts etwa reconstruiren. wenn also der
Apollonios in derselben handschrift vorzüglich erhalten ist, welche den
Aischylos so arg verstümmelt enthält, so ist sicher, dass der schreiber
an dieser entstellung unschuldig ist.

Das schelten auf die byzantinischen textverderber ist also in derByzanti-
nische cor-
rectoren.

hauptsache unberechtigt. sobald wir nur handschriften des 10. 11. auch
noch 12. jahrhunderts besitzen, wie den Laurentianus der beiden älteren
tragiker und des Apollonios, den Ravennas und Venetus des Aristophanes,
den Venetus des Aratos und Lykophron und eine ganze anzahl mass-
gebender handschriften der classischen prosaiker, so müssen auch die
widerwilligsten zugestehen, dass die schreiber dieser handschriften ihre auf-
gabe gewissenhaft erfüllt haben und gegeben was sie hatten. und wenn
wir die tätigkeit des 9. und 10. jahrhunderts hinzunehmen, die wir sonst
kennen, den sammelfleiss des Photius und selbst des Suidas, die encyclo-
paedie des Constantinus Porphyrogennetus, die fürsorge des Arethas für
die herstellung kostbarster und sauberster abschriften, so gibt das eben-
falls ein günstiges bild. ganz anders sieht es freilich aus, wenn wir die
Byzantiner der jahrhunderte 13--16 beobachten. wer von ihnen die er-
haltung der texte durch bescheidene weitergabe des überkommenen er-
wartet, wer überlieferung bei ihnen sucht, der findet sich freilich schwer
getäuscht. in unzähligen fällen hat die philologie den grössten fortschritt
dadurch gemacht, dass sie texte, welche in diesen letzten zeiten festge-
stellt waren und zunächst das feld behaupteten, zu gunsten älterer hand-
schriften gänzlich beseitigte, und immer mehr verschwinden die kecken
änderungen jener Byzantiner letzter zeit selbst aus dem kritischen apparate.
es ist begreiflich, dass man auf die frechen interpolatoren gescholten hat,
die ihre sache doch so geschickt gemacht hatten, dass sie die sprach-
kundigsten und geistreichsten modernen kritiker nasführten. indessen

145 b) Die übereinstimmung dieser scholien mit Et. M. und Hesych kann ein
urteilsfähiger natürlich nur so auffassen, dass Et. M. aus den ehemals vollständigeren
scholien schöpft, Diogenian dieselben worterklärungen noch älterer glossographie
oder exegese entnimmt. benutzt sind diese scholien auch von dem Dionysiosscho-
liasten. was freilich in dem archetypos der hymnen erhalten war, ist an sich für
uns fast ganz wertlos.
v. Wilamowitz I. 13

Scholien zu den Alexandrinern. Byzantinische correctoren.
reste von scholien 145 b), aber so gut wie ganz rein enthält, und daneben die
homerischen zum teil, wie den Aphroditehymnus, fast rein, zum teil, wie
den Apollonhymnus, bis zum chaos entstellt: niemand kann das anders
auffassen, als daſs der unterschied der erhaltung vorhanden war, als die
sammlung angelegt ward, von welcher wir uns aus renaissanceabschriften
eine handschrift des 12. jahrhunderts etwa reconstruiren. wenn also der
Apollonios in derselben handschrift vorzüglich erhalten ist, welche den
Aischylos so arg verstümmelt enthält, so ist sicher, daſs der schreiber
an dieser entstellung unschuldig ist.

Das schelten auf die byzantinischen textverderber ist also in derByzanti-
nische cor-
rectoren.

hauptsache unberechtigt. sobald wir nur handschriften des 10. 11. auch
noch 12. jahrhunderts besitzen, wie den Laurentianus der beiden älteren
tragiker und des Apollonios, den Ravennas und Venetus des Aristophanes,
den Venetus des Aratos und Lykophron und eine ganze anzahl maſs-
gebender handschriften der classischen prosaiker, so müssen auch die
widerwilligsten zugestehen, daſs die schreiber dieser handschriften ihre auf-
gabe gewissenhaft erfüllt haben und gegeben was sie hatten. und wenn
wir die tätigkeit des 9. und 10. jahrhunderts hinzunehmen, die wir sonst
kennen, den sammelfleiſs des Photius und selbst des Suidas, die encyclo-
paedie des Constantinus Porphyrogennetus, die fürsorge des Arethas für
die herstellung kostbarster und sauberster abschriften, so gibt das eben-
falls ein günstiges bild. ganz anders sieht es freilich aus, wenn wir die
Byzantiner der jahrhunderte 13—16 beobachten. wer von ihnen die er-
haltung der texte durch bescheidene weitergabe des überkommenen er-
wartet, wer überlieferung bei ihnen sucht, der findet sich freilich schwer
getäuscht. in unzähligen fällen hat die philologie den gröſsten fortschritt
dadurch gemacht, daſs sie texte, welche in diesen letzten zeiten festge-
stellt waren und zunächst das feld behaupteten, zu gunsten älterer hand-
schriften gänzlich beseitigte, und immer mehr verschwinden die kecken
änderungen jener Byzantiner letzter zeit selbst aus dem kritischen apparate.
es ist begreiflich, daſs man auf die frechen interpolatoren gescholten hat,
die ihre sache doch so geschickt gemacht hatten, daſs sie die sprach-
kundigsten und geistreichsten modernen kritiker nasführten. indessen

145 b) Die übereinstimmung dieser scholien mit Et. M. und Hesych kann ein
urteilsfähiger natürlich nur so auffassen, daſs Et. M. aus den ehemals vollständigeren
scholien schöpft, Diogenian dieselben worterklärungen noch älterer glossographie
oder exegese entnimmt. benutzt sind diese scholien auch von dem Dionysiosscho-
liasten. was freilich in dem archetypos der hymnen erhalten war, ist an sich für
uns fast ganz wertlos.
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[193/0213] Scholien zu den Alexandrinern. Byzantinische correctoren. reste von scholien 145 b), aber so gut wie ganz rein enthält, und daneben die homerischen zum teil, wie den Aphroditehymnus, fast rein, zum teil, wie den Apollonhymnus, bis zum chaos entstellt: niemand kann das anders auffassen, als daſs der unterschied der erhaltung vorhanden war, als die sammlung angelegt ward, von welcher wir uns aus renaissanceabschriften eine handschrift des 12. jahrhunderts etwa reconstruiren. wenn also der Apollonios in derselben handschrift vorzüglich erhalten ist, welche den Aischylos so arg verstümmelt enthält, so ist sicher, daſs der schreiber an dieser entstellung unschuldig ist. Das schelten auf die byzantinischen textverderber ist also in der hauptsache unberechtigt. sobald wir nur handschriften des 10. 11. auch noch 12. jahrhunderts besitzen, wie den Laurentianus der beiden älteren tragiker und des Apollonios, den Ravennas und Venetus des Aristophanes, den Venetus des Aratos und Lykophron und eine ganze anzahl maſs- gebender handschriften der classischen prosaiker, so müssen auch die widerwilligsten zugestehen, daſs die schreiber dieser handschriften ihre auf- gabe gewissenhaft erfüllt haben und gegeben was sie hatten. und wenn wir die tätigkeit des 9. und 10. jahrhunderts hinzunehmen, die wir sonst kennen, den sammelfleiſs des Photius und selbst des Suidas, die encyclo- paedie des Constantinus Porphyrogennetus, die fürsorge des Arethas für die herstellung kostbarster und sauberster abschriften, so gibt das eben- falls ein günstiges bild. ganz anders sieht es freilich aus, wenn wir die Byzantiner der jahrhunderte 13—16 beobachten. wer von ihnen die er- haltung der texte durch bescheidene weitergabe des überkommenen er- wartet, wer überlieferung bei ihnen sucht, der findet sich freilich schwer getäuscht. in unzähligen fällen hat die philologie den gröſsten fortschritt dadurch gemacht, daſs sie texte, welche in diesen letzten zeiten festge- stellt waren und zunächst das feld behaupteten, zu gunsten älterer hand- schriften gänzlich beseitigte, und immer mehr verschwinden die kecken änderungen jener Byzantiner letzter zeit selbst aus dem kritischen apparate. es ist begreiflich, daſs man auf die frechen interpolatoren gescholten hat, die ihre sache doch so geschickt gemacht hatten, daſs sie die sprach- kundigsten und geistreichsten modernen kritiker nasführten. indessen Byzanti- nische cor- rectoren. 145 b) Die übereinstimmung dieser scholien mit Et. M. und Hesych kann ein urteilsfähiger natürlich nur so auffassen, daſs Et. M. aus den ehemals vollständigeren scholien schöpft, Diogenian dieselben worterklärungen noch älterer glossographie oder exegese entnimmt. benutzt sind diese scholien auch von dem Dionysiosscho- liasten. was freilich in dem archetypos der hymnen erhalten war, ist an sich für uns fast ganz wertlos. v. Wilamowitz I. 13

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/213>, abgerufen am 24.11.2024.