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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Der Herakles der sage.
ähnliche tücke tötet, wie die tochter den Herakles, und sich wie sie in
der reue den tod gibt; da ist Marpessa, die aus liebe den Idas dem
Apollon vorzieht, Kleopatra, die leidenschaftliche gattin des Meleagros,
Periboia die vielumfreite; auch die unselige gattin des Protesilaos ist in
dieses geschlecht eingereiht worden 101): unverkennbar haben wir hier alt-
hellenische gestalten vor uns, reste einer herrlichen poesie, von welcher
nur das Meleagerlied der Litai eine unmittelbar wirkende probe gibt.
vereinigt also sind diese Heraklessagen durch hellenischen dichtergeist 102).
damit ist zugleich gesagt, dass wir diese vereinigung lösen müssen. und
in der tat, zwei der drei Heraklestaten sondern sich selbst ab. der kampf
mit Acheloos ist in wahrheit der mit dem herrn des meeres, der mit
Nessos die Kentauromachie. beide abenteuer sind ihrer typischen be-
deutung zu gunsten einer individuellen entkleidet, und in beiden ficht
Herakles ritterlich für ein weib: ihr besitz ist sein lohn. das ist mensch-
lich und schön; nur erwirbt man mit solchen taten nicht den himmel.
was poetisch vielleicht eine steigerung scheinen kann ist für das religiöse
eine degradation. für den tod liegt keine parallele fassung vor, denn
der Herakles des dodekathlos ist nicht gestorben. um so deutlicher ist
die entstellung. dieses ende, der selbstmord als rettung vor unheilbarem
siechtum, der allsieger das opfer eines eifersüchtigen weibes und der
tücke eines geilen ungeheuers, muss dem wie eine blasphemie erscheinen,
der die erhabenheit des argolischen gottmenschen dagegen hält. so war
es wahrlich nicht gemeint; wenn Herakles ein held wie alle andern
ist, mag er ja auch elend zu grunde gehen wie Meleagros oder Odysseus.
nur für die echte Heraklessage muss auch aus dieser geschichte die
hellenisch-epische motivirung, muss das weib heraus. dann bleibt die
selbstverbrennung. in ihr ist aber auch eine grossartige conception der
echten Heraklesreligion anzuerkennen. auch dies ist ein würdiger ab-
schluss des irdischen lebens und ein übergang zu dem himmlischen, eine
parallele zu dem eintritt in den himmelssaal, obwol dieser nicht nur
erhabener, sondern auch ursprünglicher ist. wie soll Herakles sterben?
kein feind kann ihn fällen; soll er den strohtod sterben, wie ein weib

101) So die Kyprien, welche Laodameia Polydora nannten, Pausan. IV 2. in
dieser geschichte sind sie also nicht die quelle des B.
102) Gewiss liegt es nahe, auch dies auf Kreophylos zurückzuführen. aber
dazu fehlt ein positiver anhalt bisher. die aetolischen sagen haben viele beziehungen
nicht zu Samos (wo aber der Homeride ja gar nicht zu hause gewesen zu sein
braucht), sondern zu Chios. dort kehrt Oineus-Oinopion und der tod des Ankaios
durch das wildschwein wieder, kommt Tydeus als eigenname in vornehmem hause
vor u. dgl. auch Nessas und ähnliche namen finden sich da und stimmen zu Nessos.

Der Herakles der sage.
ähnliche tücke tötet, wie die tochter den Herakles, und sich wie sie in
der reue den tod gibt; da ist Marpessa, die aus liebe den Idas dem
Apollon vorzieht, Kleopatra, die leidenschaftliche gattin des Meleagros,
Periboia die vielumfreite; auch die unselige gattin des Protesilaos ist in
dieses geschlecht eingereiht worden 101): unverkennbar haben wir hier alt-
hellenische gestalten vor uns, reste einer herrlichen poesie, von welcher
nur das Meleagerlied der Litai eine unmittelbar wirkende probe gibt.
vereinigt also sind diese Heraklessagen durch hellenischen dichtergeist 102).
damit ist zugleich gesagt, daſs wir diese vereinigung lösen müssen. und
in der tat, zwei der drei Heraklestaten sondern sich selbst ab. der kampf
mit Acheloos ist in wahrheit der mit dem herrn des meeres, der mit
Nessos die Kentauromachie. beide abenteuer sind ihrer typischen be-
deutung zu gunsten einer individuellen entkleidet, und in beiden ficht
Herakles ritterlich für ein weib: ihr besitz ist sein lohn. das ist mensch-
lich und schön; nur erwirbt man mit solchen taten nicht den himmel.
was poetisch vielleicht eine steigerung scheinen kann ist für das religiöse
eine degradation. für den tod liegt keine parallele fassung vor, denn
der Herakles des dodekathlos ist nicht gestorben. um so deutlicher ist
die entstellung. dieses ende, der selbstmord als rettung vor unheilbarem
siechtum, der allsieger das opfer eines eifersüchtigen weibes und der
tücke eines geilen ungeheuers, muſs dem wie eine blasphemie erscheinen,
der die erhabenheit des argolischen gottmenschen dagegen hält. so war
es wahrlich nicht gemeint; wenn Herakles ein held wie alle andern
ist, mag er ja auch elend zu grunde gehen wie Meleagros oder Odysseus.
nur für die echte Heraklessage muſs auch aus dieser geschichte die
hellenisch-epische motivirung, muſs das weib heraus. dann bleibt die
selbstverbrennung. in ihr ist aber auch eine groſsartige conception der
echten Heraklesreligion anzuerkennen. auch dies ist ein würdiger ab-
schluſs des irdischen lebens und ein übergang zu dem himmlischen, eine
parallele zu dem eintritt in den himmelssaal, obwol dieser nicht nur
erhabener, sondern auch ursprünglicher ist. wie soll Herakles sterben?
kein feind kann ihn fällen; soll er den strohtod sterben, wie ein weib

101) So die Kyprien, welche Laodameia Polydora nannten, Pausan. IV 2. in
dieser geschichte sind sie also nicht die quelle des B.
102) Gewiſs liegt es nahe, auch dies auf Kreophylos zurückzuführen. aber
dazu fehlt ein positiver anhalt bisher. die aetolischen sagen haben viele beziehungen
nicht zu Samos (wo aber der Homeride ja gar nicht zu hause gewesen zu sein
braucht), sondern zu Chios. dort kehrt Oineus-Oinopion und der tod des Ankaios
durch das wildschwein wieder, kommt Tydeus als eigenname in vornehmem hause
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[320/0340] Der Herakles der sage. ähnliche tücke tötet, wie die tochter den Herakles, und sich wie sie in der reue den tod gibt; da ist Marpessa, die aus liebe den Idas dem Apollon vorzieht, Kleopatra, die leidenschaftliche gattin des Meleagros, Periboia die vielumfreite; auch die unselige gattin des Protesilaos ist in dieses geschlecht eingereiht worden 101): unverkennbar haben wir hier alt- hellenische gestalten vor uns, reste einer herrlichen poesie, von welcher nur das Meleagerlied der Litai eine unmittelbar wirkende probe gibt. vereinigt also sind diese Heraklessagen durch hellenischen dichtergeist 102). damit ist zugleich gesagt, daſs wir diese vereinigung lösen müssen. und in der tat, zwei der drei Heraklestaten sondern sich selbst ab. der kampf mit Acheloos ist in wahrheit der mit dem herrn des meeres, der mit Nessos die Kentauromachie. beide abenteuer sind ihrer typischen be- deutung zu gunsten einer individuellen entkleidet, und in beiden ficht Herakles ritterlich für ein weib: ihr besitz ist sein lohn. das ist mensch- lich und schön; nur erwirbt man mit solchen taten nicht den himmel. was poetisch vielleicht eine steigerung scheinen kann ist für das religiöse eine degradation. für den tod liegt keine parallele fassung vor, denn der Herakles des dodekathlos ist nicht gestorben. um so deutlicher ist die entstellung. dieses ende, der selbstmord als rettung vor unheilbarem siechtum, der allsieger das opfer eines eifersüchtigen weibes und der tücke eines geilen ungeheuers, muſs dem wie eine blasphemie erscheinen, der die erhabenheit des argolischen gottmenschen dagegen hält. so war es wahrlich nicht gemeint; wenn Herakles ein held wie alle andern ist, mag er ja auch elend zu grunde gehen wie Meleagros oder Odysseus. nur für die echte Heraklessage muſs auch aus dieser geschichte die hellenisch-epische motivirung, muſs das weib heraus. dann bleibt die selbstverbrennung. in ihr ist aber auch eine groſsartige conception der echten Heraklesreligion anzuerkennen. auch dies ist ein würdiger ab- schluſs des irdischen lebens und ein übergang zu dem himmlischen, eine parallele zu dem eintritt in den himmelssaal, obwol dieser nicht nur erhabener, sondern auch ursprünglicher ist. wie soll Herakles sterben? kein feind kann ihn fällen; soll er den strohtod sterben, wie ein weib 101) So die Kyprien, welche Laodameia Polydora nannten, Pausan. IV 2. in dieser geschichte sind sie also nicht die quelle des B. 102) Gewiſs liegt es nahe, auch dies auf Kreophylos zurückzuführen. aber dazu fehlt ein positiver anhalt bisher. die aetolischen sagen haben viele beziehungen nicht zu Samos (wo aber der Homeride ja gar nicht zu hause gewesen zu sein braucht), sondern zu Chios. dort kehrt Oineus-Oinopion und der tod des Ankaios durch das wildschwein wieder, kommt Tydeus als eigenname in vornehmem hause vor u. dgl. auch Νεσσᾶς und ähnliche namen finden sich da und stimmen zu Νέσσος.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/340>, abgerufen am 22.11.2024.