Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.Der kindermord. die Heraklesreligion seit der archaischen zeit. trauer darum, dass Herakles kein boeotischer localheld ist, sondern eherein argivischer. bedenken könnte nur erregen, dass eine solche secundäre bildung so früh und nachhaltig in der poesie gewirkt hat. allein das homerische epos ist es, was sich ihrer bemächtigt hat, und dann der chalkidische chordichter: dem verfasser der Kyprien ist es so wenig wie oben dem Kreophylos zu verdenken, dass er Herakles menschlich fassen mochte. der mensch konnte sündigen und büssen: je rührender die geschichte ward, und je weiter sie sich von dem wesen der Herakles- religion entfernte, um so brauchbarer ward sie dem dichter, dem diese religion fremd war. eben weil es ein dem gotte fremder zug war, hat die vermenschlichende poesie, erst die epische, dann die dramatische an ihn lieber angeknüpft als an Geryones oder Kerberos. Die gewalt der echten Heraklesreligion hat in ihrem nationalen kreiseDie 116) Die vorzügliche arbeit von A. Meyer (de comp. Theogon. Berlin 87) hat
in erfreulichster weise in diesem chaos ein licht werden lassen. aber freilich ist im einzelnen noch viel zu tun. so ist die schilderung der unterwelt, oder besser der welt ausser himmel und erde, deshalb nicht unhesiodisch, weil sie entbehrlich ist, und wenn auch an 735 881 gut anknüpfen könnte, so ist doch nichts triftiges dagegen einzuwenden, dass der dichter neben den Hundertarmen, welche die übrigen Titanen im gefängnisse bewachen, den Atlas erwähnt, dessen strafe eine besondere ist, und die Nacht, für ihn eine so wichtige urgewalt, nun in der sphäre zeigt, wo sie in der jetzigen weltordnung wohnt. dass hier aber ein altes echtes stück vorhanden ist, folgt daraus, dass zwei parallele erweiterungen daneben stehen, 736--45 und 807--19, nach deren beseitigung die einzelanstösse zu schwinden scheinen. von dem Typhoeus- kampfe 820--80 sollte niemand mehr reden. es spricht sich und seiner kritik jeder selbst das urteil, der bezweifelt, dass er formell ein junges machwerk ist, und inhalt- lich erst nach der gründung von Katane verfasst sein kann (vgl. den interessanten aufsatz von Partsch in den Philol. Abhdl. für M. Hertz), und sogar viel später, als der Aetna im mutterlande bekannt geworden war, denn es gibt ja kein sicilisches epos. dass die descendenz des Zeus hesiodisch ist, hat A. Meyer selbst erkannt, und auch mit recht die Metis als einen jetzt nicht mehr rein zu beseitigenden zusatz bezeichnet. nur den grund hat er nicht angeführt, der doch hier, wie für die obigen zusätze gilt: auch die Metis ist in doppelter gestalt erhalten, einmal in unsern handschriften, zum andern bei Chrysippos (Galen de Hipp. et Plat. III 351). es ist nicht hübsch, dass unsere Hesiodausgaben ein solches stück ganz ignoriren. hat man Der kindermord. die Heraklesreligion seit der archaischen zeit. trauer darum, daſs Herakles kein boeotischer localheld ist, sondern eherein argivischer. bedenken könnte nur erregen, daſs eine solche secundäre bildung so früh und nachhaltig in der poesie gewirkt hat. allein das homerische epos ist es, was sich ihrer bemächtigt hat, und dann der chalkidische chordichter: dem verfasser der Kyprien ist es so wenig wie oben dem Kreophylos zu verdenken, daſs er Herakles menschlich fassen mochte. der mensch konnte sündigen und büſsen: je rührender die geschichte ward, und je weiter sie sich von dem wesen der Herakles- religion entfernte, um so brauchbarer ward sie dem dichter, dem diese religion fremd war. eben weil es ein dem gotte fremder zug war, hat die vermenschlichende poesie, erst die epische, dann die dramatische an ihn lieber angeknüpft als an Geryones oder Kerberos. Die gewalt der echten Heraklesreligion hat in ihrem nationalen kreiseDie 116) Die vorzügliche arbeit von A. Meyer (de comp. Theogon. Berlin 87) hat
in erfreulichster weise in diesem chaos ein licht werden lassen. aber freilich ist im einzelnen noch viel zu tun. so ist die schilderung der unterwelt, oder besser der welt auſser himmel und erde, deshalb nicht unhesiodisch, weil sie entbehrlich ist, und wenn auch an 735 881 gut anknüpfen könnte, so ist doch nichts triftiges dagegen einzuwenden, daſs der dichter neben den Hundertarmen, welche die übrigen Titanen im gefängnisse bewachen, den Atlas erwähnt, dessen strafe eine besondere ist, und die Nacht, für ihn eine so wichtige urgewalt, nun in der sphäre zeigt, wo sie in der jetzigen weltordnung wohnt. daſs hier aber ein altes echtes stück vorhanden ist, folgt daraus, daſs zwei parallele erweiterungen daneben stehen, 736—45 und 807—19, nach deren beseitigung die einzelanstöſse zu schwinden scheinen. von dem Typhoeus- kampfe 820—80 sollte niemand mehr reden. es spricht sich und seiner kritik jeder selbst das urteil, der bezweifelt, daſs er formell ein junges machwerk ist, und inhalt- lich erst nach der gründung von Katane verfaſst sein kann (vgl. den interessanten aufsatz von Partsch in den Philol. Abhdl. für M. Hertz), und sogar viel später, als der Aetna im mutterlande bekannt geworden war, denn es gibt ja kein sicilisches epos. daſs die descendenz des Zeus hesiodisch ist, hat A. Meyer selbst erkannt, und auch mit recht die Metis als einen jetzt nicht mehr rein zu beseitigenden zusatz bezeichnet. nur den grund hat er nicht angeführt, der doch hier, wie für die obigen zusätze gilt: auch die Metis ist in doppelter gestalt erhalten, einmal in unsern handschriften, zum andern bei Chrysippos (Galen de Hipp. et Plat. 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Der kindermord. die Heraklesreligion seit der archaischen zeit.
trauer darum, daſs Herakles kein boeotischer localheld ist, sondern eher
ein argivischer. bedenken könnte nur erregen, daſs eine solche secundäre
bildung so früh und nachhaltig in der poesie gewirkt hat. allein das
homerische epos ist es, was sich ihrer bemächtigt hat, und dann der
chalkidische chordichter: dem verfasser der Kyprien ist es so wenig wie
oben dem Kreophylos zu verdenken, daſs er Herakles menschlich fassen
mochte. der mensch konnte sündigen und büſsen: je rührender die
geschichte ward, und je weiter sie sich von dem wesen der Herakles-
religion entfernte, um so brauchbarer ward sie dem dichter, dem diese
religion fremd war. eben weil es ein dem gotte fremder zug war, hat
die vermenschlichende poesie, erst die epische, dann die dramatische
an ihn lieber angeknüpft als an Geryones oder Kerberos.
Die gewalt der echten Heraklesreligion hat in ihrem nationalen kreise
ungebrochen bestanden, so lange die archaische cultur nicht gebrochen
war; nicht bloſs aus den sagen, an denen sich das volk in lied und bild
erbaute, sehen wir das, sondern es finden sich auch dichter, welche
den groſsen einfachen gedanken klar aussprechen. mit knappen worten
tut das Hesiodos: denn er selbst, der dichter der Theogonie, ist es, und
zwar sind es die letzten worte, die sich mit sicherheit auf ihn zurück-
führen lassen, welche Herakles unter den göttern einführen 116). er hat
Die
Herakles-
religion seit
der archai-
schen zeit.
116) Die vorzügliche arbeit von A. Meyer (de comp. Theogon. Berlin 87) hat
in erfreulichster weise in diesem chaos ein licht werden lassen. aber freilich ist im
einzelnen noch viel zu tun. so ist die schilderung der unterwelt, oder besser der
welt auſser himmel und erde, deshalb nicht unhesiodisch, weil sie entbehrlich ist, und
wenn auch an 735 881 gut anknüpfen könnte, so ist doch nichts triftiges dagegen
einzuwenden, daſs der dichter neben den Hundertarmen, welche die übrigen Titanen im
gefängnisse bewachen, den Atlas erwähnt, dessen strafe eine besondere ist, und die
Nacht, für ihn eine so wichtige urgewalt, nun in der sphäre zeigt, wo sie in der
jetzigen weltordnung wohnt. daſs hier aber ein altes echtes stück vorhanden ist,
folgt daraus, daſs zwei parallele erweiterungen daneben stehen, 736—45 und 807—19,
nach deren beseitigung die einzelanstöſse zu schwinden scheinen. von dem Typhoeus-
kampfe 820—80 sollte niemand mehr reden. es spricht sich und seiner kritik jeder
selbst das urteil, der bezweifelt, daſs er formell ein junges machwerk ist, und inhalt-
lich erst nach der gründung von Katane verfaſst sein kann (vgl. den interessanten
aufsatz von Partsch in den Philol. Abhdl. für M. Hertz), und sogar viel später, als
der Aetna im mutterlande bekannt geworden war, denn es gibt ja kein sicilisches
epos. daſs die descendenz des Zeus hesiodisch ist, hat A. Meyer selbst erkannt,
und auch mit recht die Metis als einen jetzt nicht mehr rein zu beseitigenden
zusatz bezeichnet. nur den grund hat er nicht angeführt, der doch hier, wie für die
obigen zusätze gilt: auch die Metis ist in doppelter gestalt erhalten, einmal in unsern
handschriften, zum andern bei Chrysippos (Galen de Hipp. et Plat. III 351). es ist
nicht hübsch, daſs unsere Hesiodausgaben ein solches stück ganz ignoriren. hat man
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