Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.Der Herakles des Euripides. pides lebte, und sollte nicht die bedeutung der delischen religion, welchevon 476--54 in der form des delischen bundes zum ausdruck kommt, lebhaft empfunden sein, noch ehe sie die stiftung der Delien hervorrief? die politische bedeutung dieser stiftung war freilich grösser, als die meisten jetzt erkennen 15), aber nur wenn auf sie eine hindeutung vorhanden wäre, würden wir danach den Herakles datiren dürfen. form. Kann so aus den zeitgeschichtlichen anspielungen nicht eben viel 15) Auch Schöffer, der den Athenern sonst gerechtigkeit widerfahren lässt, hat das nicht betont, dass die stiftung eines panionischen festes, für den gott, welchem Athena die schirmherrschaft des Reiches abgenommen hatte, eben zu der zeit, wo das psephisma des Thudippos die Panathenaeen tendenziös als reichsfest ausgestaltete, und gleichzeitig die tribute im gegensatze zur schatzung des Aristeides durch einseitigen legislativen act des attischen volkes angesetzt wurden, ein zuge- ständnis an die stimmung der gesandten ionischer bündner ist, und es ist auch für die parteiverhältnisse Athens bezeichnend, dass Nikias der erste theore der Delien ist, während Kleon die herrschaft Athens als turannis predigt, gegen Aristophanes Babylonier vorgeht und die erhöhung der tribute durchsetzt. derselbe krieg, welcher die erhöhung der finanziellen und militärischen leistungen erzwang, und demgemäss die reichseinheit stärkte, schärfte den stammesgegensatz gegen die Peloponnesier: und auf dass der Milesier und Hellespontier und Nesiote sich als Ionier mit dem Athener verbunden fühle, wie einst zu Aristeides zeit, sind die Delien gestiftet. diese mehr föderative, bündnerfreundliche politik ist nur schwächer hervorgetreten als die ziel- bewusste der unitarier. und ihren vertreter Nikias hat sein ungeschick oder unglück auch hier nicht verlassen. die Delier selbst waren misvergnügt, und so kam es zu einer der zwangsmassregeln, die dem Reiche mehr geschadet haben als die gerichts- hoheit, die kleruchien und die tribute. 16) Von der Andromache hat das richtig schon Aristophanes von Byzanz er-
schlossen, schol. 445. die entgegengesetzten ausführungen von Bergk sind nur dafür lehrreich, wie dieser ebenso wunderbar gelehrte wie scharfsinnige mann scharfsinn und gelehrsamkeit dazu zu gebrauchen pflegt, die zeugnisse erst zu zerstören, damit er sie für seine eignen einfälle benutzen könne. Der Herakles des Euripides. pides lebte, und sollte nicht die bedeutung der delischen religion, welchevon 476—54 in der form des delischen bundes zum ausdruck kommt, lebhaft empfunden sein, noch ehe sie die stiftung der Delien hervorrief? die politische bedeutung dieser stiftung war freilich gröſser, als die meisten jetzt erkennen 15), aber nur wenn auf sie eine hindeutung vorhanden wäre, würden wir danach den Herakles datiren dürfen. form. Kann so aus den zeitgeschichtlichen anspielungen nicht eben viel 15) Auch Schöffer, der den Athenern sonst gerechtigkeit widerfahren läſst, hat das nicht betont, daſs die stiftung eines panionischen festes, für den gott, welchem Athena die schirmherrschaft des Reiches abgenommen hatte, eben zu der zeit, wo das psephisma des Thudippos die Panathenaeen tendenziös als reichsfest ausgestaltete, und gleichzeitig die tribute im gegensatze zur schatzung des Aristeides durch einseitigen legislativen act des attischen volkes angesetzt wurden, ein zuge- ständnis an die stimmung der gesandten ionischer bündner ist, und es ist auch für die parteiverhältnisse Athens bezeichnend, daſs Nikias der erste theore der Delien ist, während Kleon die herrschaft Athens als τυραννίς predigt, gegen Aristophanes Babylonier vorgeht und die erhöhung der tribute durchsetzt. derselbe krieg, welcher die erhöhung der finanziellen und militärischen leistungen erzwang, und demgemäſs die reichseinheit stärkte, schärfte den stammesgegensatz gegen die Peloponnesier: und auf daſs der Milesier und Hellespontier und Nesiote sich als Ionier mit dem Athener verbunden fühle, wie einst zu Aristeides zeit, sind die Delien gestiftet. diese mehr föderative, bündnerfreundliche politik ist nur schwächer hervorgetreten als die ziel- bewuſste der unitarier. und ihren vertreter Nikias hat sein ungeschick oder unglück auch hier nicht verlassen. die Delier selbst waren misvergnügt, und so kam es zu einer der zwangsmaſsregeln, die dem Reiche mehr geschadet haben als die gerichts- hoheit, die kleruchien und die tribute. 16) Von der Andromache hat das richtig schon Aristophanes von Byzanz er-
schlossen, schol. 445. die entgegengesetzten ausführungen von Bergk sind nur dafür lehrreich, wie dieser ebenso wunderbar gelehrte wie scharfsinnige mann scharfsinn und gelehrsamkeit dazu zu gebrauchen pflegt, die zeugnisse erst zu zerstören, damit er sie für seine eignen einfälle benutzen könne. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0368" n="348"/><fw place="top" type="header">Der Herakles des Euripides.</fw><lb/> pides lebte, und sollte nicht die bedeutung der delischen religion, welche<lb/> von 476—54 in der form des delischen bundes zum ausdruck kommt,<lb/> lebhaft empfunden sein, noch ehe sie die stiftung der Delien hervorrief?<lb/> die politische bedeutung dieser stiftung war freilich gröſser, als die meisten<lb/> jetzt erkennen <note place="foot" n="15)">Auch Schöffer, der den Athenern sonst gerechtigkeit widerfahren läſst,<lb/> hat das nicht betont, daſs die stiftung eines panionischen festes, für den gott,<lb/> welchem Athena die schirmherrschaft des Reiches abgenommen hatte, eben zu der<lb/> zeit, wo das psephisma des Thudippos die Panathenaeen tendenziös als reichsfest<lb/> ausgestaltete, und gleichzeitig die tribute im gegensatze zur schatzung des Aristeides<lb/> durch einseitigen legislativen act des attischen volkes angesetzt wurden, ein zuge-<lb/> ständnis an die stimmung der gesandten ionischer bündner ist, und es ist auch für<lb/> die parteiverhältnisse Athens bezeichnend, daſs Nikias der erste theore der Delien ist,<lb/> während Kleon die herrschaft Athens als τυραννίς predigt, gegen Aristophanes<lb/> Babylonier vorgeht und die erhöhung der tribute durchsetzt. derselbe krieg, welcher<lb/> die erhöhung der finanziellen und militärischen leistungen erzwang, und demgemäſs<lb/> die reichseinheit stärkte, schärfte den stammesgegensatz gegen die Peloponnesier: und<lb/> auf daſs der Milesier und Hellespontier und Nesiote sich als Ionier mit dem Athener<lb/> verbunden fühle, wie einst zu Aristeides zeit, sind die Delien gestiftet. diese mehr<lb/> föderative, bündnerfreundliche politik ist nur schwächer hervorgetreten als die ziel-<lb/> bewuſste der unitarier. und ihren vertreter Nikias hat sein ungeschick oder unglück<lb/> auch hier nicht verlassen. die Delier selbst waren misvergnügt, und so kam es zu<lb/> einer der zwangsmaſsregeln, die dem Reiche mehr geschadet haben als die gerichts-<lb/> hoheit, die kleruchien und die tribute.</note>, aber nur wenn auf sie eine hindeutung vorhanden<lb/> wäre, würden wir danach den Herakles datiren dürfen.</p><lb/> <note place="left">Äuſsere<lb/> form.</note> <p>Kann so aus den zeitgeschichtlichen anspielungen nicht eben viel<lb/> entnommen werden, so lehren vielleicht die formalen kriterien mehr,<lb/> verskunst und sprache. es ist für die vernachlässigung der tragiker be-<lb/> zeichnend, daſs eben die zeit, welche sich sonst damit brüstet, litterar-<lb/> geschichtliche fragen durch die mechanischen operationen der statistik<lb/> zu lösen, für das drama keine gesichtspunkte aufgefunden hat, die ihr<lb/> nicht G. Hermann gezeigt hätte. das wichtigste ist in der tat das alt-<lb/> bekannte. eine anzahl von dramen des Euripides weisen sich durch<lb/> einen gemeinsamen altertümlicheren und strengeren stil als verwandt<lb/> aus; es sind Alkestis Medeia Hippolytos Andromache Herakleiden. sie<lb/> fallen alle teils nach urkundlichen angaben, teils nach sicheren geschicht-<lb/> lichen anspielungen vor 425 <note place="foot" n="16)">Von der Andromache hat das richtig schon Aristophanes von Byzanz er-<lb/> schlossen, schol. 445. die entgegengesetzten ausführungen von Bergk sind nur dafür<lb/> lehrreich, wie dieser ebenso wunderbar gelehrte wie scharfsinnige mann scharfsinn<lb/> und gelehrsamkeit dazu zu gebrauchen pflegt, die zeugnisse erst zu zerstören, damit<lb/> er sie für seine eignen einfälle benutzen könne.</note>. von ihnen sondert sich eine zweite<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [348/0368]
Der Herakles des Euripides.
pides lebte, und sollte nicht die bedeutung der delischen religion, welche
von 476—54 in der form des delischen bundes zum ausdruck kommt,
lebhaft empfunden sein, noch ehe sie die stiftung der Delien hervorrief?
die politische bedeutung dieser stiftung war freilich gröſser, als die meisten
jetzt erkennen 15), aber nur wenn auf sie eine hindeutung vorhanden
wäre, würden wir danach den Herakles datiren dürfen.
Kann so aus den zeitgeschichtlichen anspielungen nicht eben viel
entnommen werden, so lehren vielleicht die formalen kriterien mehr,
verskunst und sprache. es ist für die vernachlässigung der tragiker be-
zeichnend, daſs eben die zeit, welche sich sonst damit brüstet, litterar-
geschichtliche fragen durch die mechanischen operationen der statistik
zu lösen, für das drama keine gesichtspunkte aufgefunden hat, die ihr
nicht G. Hermann gezeigt hätte. das wichtigste ist in der tat das alt-
bekannte. eine anzahl von dramen des Euripides weisen sich durch
einen gemeinsamen altertümlicheren und strengeren stil als verwandt
aus; es sind Alkestis Medeia Hippolytos Andromache Herakleiden. sie
fallen alle teils nach urkundlichen angaben, teils nach sicheren geschicht-
lichen anspielungen vor 425 16). von ihnen sondert sich eine zweite
15) Auch Schöffer, der den Athenern sonst gerechtigkeit widerfahren läſst,
hat das nicht betont, daſs die stiftung eines panionischen festes, für den gott,
welchem Athena die schirmherrschaft des Reiches abgenommen hatte, eben zu der
zeit, wo das psephisma des Thudippos die Panathenaeen tendenziös als reichsfest
ausgestaltete, und gleichzeitig die tribute im gegensatze zur schatzung des Aristeides
durch einseitigen legislativen act des attischen volkes angesetzt wurden, ein zuge-
ständnis an die stimmung der gesandten ionischer bündner ist, und es ist auch für
die parteiverhältnisse Athens bezeichnend, daſs Nikias der erste theore der Delien ist,
während Kleon die herrschaft Athens als τυραννίς predigt, gegen Aristophanes
Babylonier vorgeht und die erhöhung der tribute durchsetzt. derselbe krieg, welcher
die erhöhung der finanziellen und militärischen leistungen erzwang, und demgemäſs
die reichseinheit stärkte, schärfte den stammesgegensatz gegen die Peloponnesier: und
auf daſs der Milesier und Hellespontier und Nesiote sich als Ionier mit dem Athener
verbunden fühle, wie einst zu Aristeides zeit, sind die Delien gestiftet. diese mehr
föderative, bündnerfreundliche politik ist nur schwächer hervorgetreten als die ziel-
bewuſste der unitarier. und ihren vertreter Nikias hat sein ungeschick oder unglück
auch hier nicht verlassen. die Delier selbst waren misvergnügt, und so kam es zu
einer der zwangsmaſsregeln, die dem Reiche mehr geschadet haben als die gerichts-
hoheit, die kleruchien und die tribute.
16) Von der Andromache hat das richtig schon Aristophanes von Byzanz er-
schlossen, schol. 445. die entgegengesetzten ausführungen von Bergk sind nur dafür
lehrreich, wie dieser ebenso wunderbar gelehrte wie scharfsinnige mann scharfsinn
und gelehrsamkeit dazu zu gebrauchen pflegt, die zeugnisse erst zu zerstören, damit
er sie für seine eignen einfälle benutzen könne.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |