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Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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so ohne alle Gefahr daraus entronnen zu sein. Julius mußte sich ausdrücklich die Thatsache ins Gedächtniß rufen, daß man ihn in keiner Weise bedroht oder angefochten hatte; und er besaß viel zu viel Ehrgefühl, um nicht die Beleidigung, die darin lag, zu empfinden. Er ging über den Hof und verließ das Haus; Niemand hielt ihn auf. Am Strom entlang wanderte er in der Sonne fort, in der Aufregung seiner zwanzig Jahre, aber mißvergnügt für vierzig; die Hand in der Rocktasche geballt und den Strohhut tief ins Gesicht gedrückt, wie um zu verhindern, daß man ihn erkenne. Es lag ihm ein eigenthümlicher Druck auf der Brust, daß er einen so tragischen Zwiespalt zwischen so wackeren Leuten herbeigeführt; aber noch mehr bedrückte es ihn, mit zwanzig Jahren noch so wenig gefährlich zu sein. Er wiederholte sich Alles, was er Liesbeth gesagt hatte, und mit einer gewissen sorgenvollen Beklemmung freute er sich doch, daß er ihr so starke Sachen gesagt. So ging er am Wasser hin, bis er an den "Durchstich" kam, wo die Häuser zu Ende sind. Er sah nur noch das weite Wiesenland zur Seite, den "Breitling", vor sich, hinter dem die Thürme von Rostock in den Himmel wuchsen. Hier warf er sich auf das sonnenwarme Gras, sah in die blaue Luft und dachte nach, wie er die unglückselige Geschichte wieder gut machen könnte. Er stellte sich Liesbeth's Benehmen gegen Johann Ohlerich vor, freute sich über sie und wurde doppelt verliebt. Wie sie ihren Stolz, ihre Frauenwürde vertheidigt hatte -- man mußte sie bewundern. Dann sah er Ohlerich's finsteres, drohendes Gesicht; sein ganzes Gefühl bäumte sich empor. Wie um die schöne Liesbeth gegen ihn zu schützen, legte er in Gedanken wieder seinen Arm um sie und gerieth darüber in eine Aufregung, daß er sich nicht mehr zu fassen wußte. Mit einem furchtbaren Blick und einigen hingedonnerten Worten schlug er den eifersüchtigen Ohlerich in die Flucht, beugte sich dann liebreich zu seiner Beschützerin vor -- und gab ihr einen Kuß. Ein tiefer Seufzer weckte ihn aus dieser Vorstellung auf. Es

so ohne alle Gefahr daraus entronnen zu sein. Julius mußte sich ausdrücklich die Thatsache ins Gedächtniß rufen, daß man ihn in keiner Weise bedroht oder angefochten hatte; und er besaß viel zu viel Ehrgefühl, um nicht die Beleidigung, die darin lag, zu empfinden. Er ging über den Hof und verließ das Haus; Niemand hielt ihn auf. Am Strom entlang wanderte er in der Sonne fort, in der Aufregung seiner zwanzig Jahre, aber mißvergnügt für vierzig; die Hand in der Rocktasche geballt und den Strohhut tief ins Gesicht gedrückt, wie um zu verhindern, daß man ihn erkenne. Es lag ihm ein eigenthümlicher Druck auf der Brust, daß er einen so tragischen Zwiespalt zwischen so wackeren Leuten herbeigeführt; aber noch mehr bedrückte es ihn, mit zwanzig Jahren noch so wenig gefährlich zu sein. Er wiederholte sich Alles, was er Liesbeth gesagt hatte, und mit einer gewissen sorgenvollen Beklemmung freute er sich doch, daß er ihr so starke Sachen gesagt. So ging er am Wasser hin, bis er an den „Durchstich“ kam, wo die Häuser zu Ende sind. Er sah nur noch das weite Wiesenland zur Seite, den „Breitling“, vor sich, hinter dem die Thürme von Rostock in den Himmel wuchsen. Hier warf er sich auf das sonnenwarme Gras, sah in die blaue Luft und dachte nach, wie er die unglückselige Geschichte wieder gut machen könnte. Er stellte sich Liesbeth's Benehmen gegen Johann Ohlerich vor, freute sich über sie und wurde doppelt verliebt. Wie sie ihren Stolz, ihre Frauenwürde vertheidigt hatte — man mußte sie bewundern. Dann sah er Ohlerich's finsteres, drohendes Gesicht; sein ganzes Gefühl bäumte sich empor. Wie um die schöne Liesbeth gegen ihn zu schützen, legte er in Gedanken wieder seinen Arm um sie und gerieth darüber in eine Aufregung, daß er sich nicht mehr zu fassen wußte. Mit einem furchtbaren Blick und einigen hingedonnerten Worten schlug er den eifersüchtigen Ohlerich in die Flucht, beugte sich dann liebreich zu seiner Beschützerin vor — und gab ihr einen Kuß. Ein tiefer Seufzer weckte ihn aus dieser Vorstellung auf. Es

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[0023] so ohne alle Gefahr daraus entronnen zu sein. Julius mußte sich ausdrücklich die Thatsache ins Gedächtniß rufen, daß man ihn in keiner Weise bedroht oder angefochten hatte; und er besaß viel zu viel Ehrgefühl, um nicht die Beleidigung, die darin lag, zu empfinden. Er ging über den Hof und verließ das Haus; Niemand hielt ihn auf. Am Strom entlang wanderte er in der Sonne fort, in der Aufregung seiner zwanzig Jahre, aber mißvergnügt für vierzig; die Hand in der Rocktasche geballt und den Strohhut tief ins Gesicht gedrückt, wie um zu verhindern, daß man ihn erkenne. Es lag ihm ein eigenthümlicher Druck auf der Brust, daß er einen so tragischen Zwiespalt zwischen so wackeren Leuten herbeigeführt; aber noch mehr bedrückte es ihn, mit zwanzig Jahren noch so wenig gefährlich zu sein. Er wiederholte sich Alles, was er Liesbeth gesagt hatte, und mit einer gewissen sorgenvollen Beklemmung freute er sich doch, daß er ihr so starke Sachen gesagt. So ging er am Wasser hin, bis er an den „Durchstich“ kam, wo die Häuser zu Ende sind. Er sah nur noch das weite Wiesenland zur Seite, den „Breitling“, vor sich, hinter dem die Thürme von Rostock in den Himmel wuchsen. Hier warf er sich auf das sonnenwarme Gras, sah in die blaue Luft und dachte nach, wie er die unglückselige Geschichte wieder gut machen könnte. Er stellte sich Liesbeth's Benehmen gegen Johann Ohlerich vor, freute sich über sie und wurde doppelt verliebt. Wie sie ihren Stolz, ihre Frauenwürde vertheidigt hatte — man mußte sie bewundern. Dann sah er Ohlerich's finsteres, drohendes Gesicht; sein ganzes Gefühl bäumte sich empor. Wie um die schöne Liesbeth gegen ihn zu schützen, legte er in Gedanken wieder seinen Arm um sie und gerieth darüber in eine Aufregung, daß er sich nicht mehr zu fassen wußte. Mit einem furchtbaren Blick und einigen hingedonnerten Worten schlug er den eifersüchtigen Ohlerich in die Flucht, beugte sich dann liebreich zu seiner Beschützerin vor — und gab ihr einen Kuß. Ein tiefer Seufzer weckte ihn aus dieser Vorstellung auf. Es

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:21:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:21:33Z)

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Zitationshilfe: Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/23>, abgerufen am 21.11.2024.