Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

als der möglichen Frau eines Anderen, hatte auf ihn einen wunderbar störenden Eindruck gemacht. Deutlich wie nie zuvor fühlte er plötzlich, wie so ganz er von ihr getrennt sei; er rief sich alle ihre Eigenschaften vor die Seele; er sah sie in ihrem stillen, heiteren Wirken, in ihrer muthigen Treue, die von keinem Zweifel beeinträchtigt war, und er sagte sich mit Otto, der Mann sei beneidenswerth, bei dem ein solches Weib an dem heimatlichen Herde sitzte. Und dieses Glück hatte sein werden können, wenn er es nur gewollt! Nun es für ihn verloren, es für einen Anderen erblühen sollte, erfüllte ihn der Gedanke mit einem eifersüchtigen Widerstreben, dessen Thorheit er einsah, das er aber doch nicht gänzlich zu bannen vermochte. Fast Haß war es zu nennen, was er in diesem Augenblicke für Leonie empfand. Ihr Benehmen war so ganz anders, als er sich das Rechte stets gedacht. Aus unserer Kindheit nehmen wir den Maßstab mit, nach dem wir später die Menschen beurtheilen, und an alle Frauen legte Louis unbewußt und unwillkürlich den Maßstab seiner Mutter an. Aber für Leonie paßte dieser Maßstab nicht. Verstimmt und traurig wog er die drei Frauen, die solchen Einfluß auf ihn gehabt in seinem Kopfe hin und her: Marie, seine Mutter und Leonie, und die Letzte paßte nirgend zu den Anderen, wohin er sie auch that. Da stand sie in allem Zauber ihrer Anmuth vor ihm, und er beachtete sie nicht. Sie betrachtete ihn eine Weile und wehte ihm dann mit dem geöffneten Fächer lächelnd über das Gesicht. Er blickte auf, sein Herz schlug, aber er ärgerte sich über die Bewegung, die darin entstand; wie ein Gefangener bäumte er sich gegen die Kette, die um seine Seele geschlossen war.

Woran dachten Sie? frug jetzt Leonie, süß in Wort, Blick und Gebärde, einem Engel des Lichtes den Kopf zu verdrehen.

Louis sah ihr gerade ins Gesicht: An Marie,

als der möglichen Frau eines Anderen, hatte auf ihn einen wunderbar störenden Eindruck gemacht. Deutlich wie nie zuvor fühlte er plötzlich, wie so ganz er von ihr getrennt sei; er rief sich alle ihre Eigenschaften vor die Seele; er sah sie in ihrem stillen, heiteren Wirken, in ihrer muthigen Treue, die von keinem Zweifel beeinträchtigt war, und er sagte sich mit Otto, der Mann sei beneidenswerth, bei dem ein solches Weib an dem heimatlichen Herde sitzte. Und dieses Glück hatte sein werden können, wenn er es nur gewollt! Nun es für ihn verloren, es für einen Anderen erblühen sollte, erfüllte ihn der Gedanke mit einem eifersüchtigen Widerstreben, dessen Thorheit er einsah, das er aber doch nicht gänzlich zu bannen vermochte. Fast Haß war es zu nennen, was er in diesem Augenblicke für Leonie empfand. Ihr Benehmen war so ganz anders, als er sich das Rechte stets gedacht. Aus unserer Kindheit nehmen wir den Maßstab mit, nach dem wir später die Menschen beurtheilen, und an alle Frauen legte Louis unbewußt und unwillkürlich den Maßstab seiner Mutter an. Aber für Leonie paßte dieser Maßstab nicht. Verstimmt und traurig wog er die drei Frauen, die solchen Einfluß auf ihn gehabt in seinem Kopfe hin und her: Marie, seine Mutter und Leonie, und die Letzte paßte nirgend zu den Anderen, wohin er sie auch that. Da stand sie in allem Zauber ihrer Anmuth vor ihm, und er beachtete sie nicht. Sie betrachtete ihn eine Weile und wehte ihm dann mit dem geöffneten Fächer lächelnd über das Gesicht. Er blickte auf, sein Herz schlug, aber er ärgerte sich über die Bewegung, die darin entstand; wie ein Gefangener bäumte er sich gegen die Kette, die um seine Seele geschlossen war.

Woran dachten Sie? frug jetzt Leonie, süß in Wort, Blick und Gebärde, einem Engel des Lichtes den Kopf zu verdrehen.

Louis sah ihr gerade ins Gesicht: An Marie,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <p><pb facs="#f0122"/>
als der möglichen      Frau eines Anderen, hatte auf ihn einen wunderbar störenden Eindruck gemacht. Deutlich wie nie      zuvor fühlte er plötzlich, wie so ganz er von ihr getrennt sei; er rief sich alle ihre      Eigenschaften vor die Seele; er sah sie in ihrem stillen, heiteren Wirken, in ihrer muthigen      Treue, die von keinem Zweifel beeinträchtigt war, und er sagte sich mit Otto, der Mann sei      beneidenswerth, bei dem ein solches Weib an dem heimatlichen Herde sitzte. Und dieses Glück      hatte sein werden können, wenn er es nur gewollt! Nun es für ihn verloren, es für einen Anderen      erblühen sollte, erfüllte ihn der Gedanke mit einem eifersüchtigen Widerstreben, dessen      Thorheit er einsah, das er aber doch nicht gänzlich zu bannen vermochte. Fast Haß war es zu      nennen, was er in diesem Augenblicke für Leonie empfand. Ihr Benehmen war so ganz anders, als      er sich das Rechte stets gedacht. Aus unserer Kindheit nehmen wir den Maßstab mit, nach dem wir      später die Menschen beurtheilen, und an alle Frauen legte Louis unbewußt und unwillkürlich den      Maßstab seiner Mutter an. Aber für Leonie paßte dieser Maßstab nicht. Verstimmt und traurig wog      er die drei Frauen, die solchen Einfluß auf ihn gehabt in seinem Kopfe hin und her: Marie,      seine Mutter und Leonie, und die Letzte paßte nirgend zu den Anderen, wohin er sie auch that.      Da stand sie in allem Zauber ihrer Anmuth vor ihm, und er beachtete sie nicht. Sie betrachtete      ihn eine Weile und wehte ihm dann mit dem geöffneten Fächer lächelnd über das Gesicht. Er      blickte auf, sein Herz schlug, aber er ärgerte sich über die Bewegung, die darin entstand; wie      ein Gefangener bäumte er sich gegen die Kette, die um seine Seele geschlossen war.</p><lb/>
        <p>Woran dachten Sie? frug jetzt Leonie, süß in Wort, Blick und Gebärde, einem Engel des Lichtes      den Kopf zu verdrehen.</p><lb/>
        <p>Louis sah ihr gerade ins Gesicht: An Marie,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0122] als der möglichen Frau eines Anderen, hatte auf ihn einen wunderbar störenden Eindruck gemacht. Deutlich wie nie zuvor fühlte er plötzlich, wie so ganz er von ihr getrennt sei; er rief sich alle ihre Eigenschaften vor die Seele; er sah sie in ihrem stillen, heiteren Wirken, in ihrer muthigen Treue, die von keinem Zweifel beeinträchtigt war, und er sagte sich mit Otto, der Mann sei beneidenswerth, bei dem ein solches Weib an dem heimatlichen Herde sitzte. Und dieses Glück hatte sein werden können, wenn er es nur gewollt! Nun es für ihn verloren, es für einen Anderen erblühen sollte, erfüllte ihn der Gedanke mit einem eifersüchtigen Widerstreben, dessen Thorheit er einsah, das er aber doch nicht gänzlich zu bannen vermochte. Fast Haß war es zu nennen, was er in diesem Augenblicke für Leonie empfand. Ihr Benehmen war so ganz anders, als er sich das Rechte stets gedacht. Aus unserer Kindheit nehmen wir den Maßstab mit, nach dem wir später die Menschen beurtheilen, und an alle Frauen legte Louis unbewußt und unwillkürlich den Maßstab seiner Mutter an. Aber für Leonie paßte dieser Maßstab nicht. Verstimmt und traurig wog er die drei Frauen, die solchen Einfluß auf ihn gehabt in seinem Kopfe hin und her: Marie, seine Mutter und Leonie, und die Letzte paßte nirgend zu den Anderen, wohin er sie auch that. Da stand sie in allem Zauber ihrer Anmuth vor ihm, und er beachtete sie nicht. Sie betrachtete ihn eine Weile und wehte ihm dann mit dem geöffneten Fächer lächelnd über das Gesicht. Er blickte auf, sein Herz schlug, aber er ärgerte sich über die Bewegung, die darin entstand; wie ein Gefangener bäumte er sich gegen die Kette, die um seine Seele geschlossen war. Woran dachten Sie? frug jetzt Leonie, süß in Wort, Blick und Gebärde, einem Engel des Lichtes den Kopf zu verdrehen. Louis sah ihr gerade ins Gesicht: An Marie,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/122
Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/122>, abgerufen am 25.11.2024.