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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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erwiderte er langsam. Sie war gut und wahr, und ich habe sie nicht nach ihrem Werthe geschätzt.

Die kleine Gräfin biß die feine Unterlippe mit den Perlenzähnen. Diese Antwort hatte sie nicht erwartet, und, auf den Grund seiner Gedanken konnte sie nicht sehen; aber das jedes Zeichen von Laune hier unklug und nicht am Platze sei, das fühlte sie.

Gut und wahr, sagte sie leise; ja, Sie haben Recht, ihren Verlust zu beklagen, denn sie war wirklich gut und wahr. Die Hand mit dem Fächer sank herab, und Leonie sah nachdenkend vor sich nieder.

Das Herz des jungen Mannes war bewegt, auch er hatte eine solche Antwort nicht erwartet, und zu gleicher Zeit fühlte er sich enttäuscht. War er ihr denn so gleichgültig, das das Lob einer Anderen von seinen Lippen ihr so wenig nahe ging?

Ja, hub Leonie wieder an, diese leidenschaftslosen Charaktere haben in ihrer Ruhe einen eigenen Zauber, den ihnen weder Glück noch Unglück rauben kann. Beides streift über sie hinweg, der Grund ihrer Seele wird davon nicht berührt. O wie oft habe ich Marie um diese glückliche Ruhe beneidet, die sie jede Wendung des Lebens mit Gleichmuth hinnehmen last.

Louis errötete. Wieder siegte das Bessere in ihm. Marie ist nicht gefühllos, sagte er leise und befangen.

O nein, Marie ist ein gutes, vortreffliches Kind. Aber bleibt Ihnen wirklich keine Hoffnung?

Louis blickte nieder, ohne zu antworten.

Sonderbar! sagte Leonie, und sie hat Sie wirklich geliebt?

Ich glaube es, versetzte der junge Mann leise. Leonie wiegte ungläubig den Kopf; er sah sie fragend an. Sie zweifeln? sagte er dann.

Ich will Sie nicht kränken, antwortete sie, aber ich zweifle, ob Marie je wahre, aufopfernde Liebe empfinden kann. Jemand, der sie sprach, versicherte mir, sie sei heiter, und man sehe ihr keine Veränderung an. Ich

erwiderte er langsam. Sie war gut und wahr, und ich habe sie nicht nach ihrem Werthe geschätzt.

Die kleine Gräfin biß die feine Unterlippe mit den Perlenzähnen. Diese Antwort hatte sie nicht erwartet, und, auf den Grund seiner Gedanken konnte sie nicht sehen; aber das jedes Zeichen von Laune hier unklug und nicht am Platze sei, das fühlte sie.

Gut und wahr, sagte sie leise; ja, Sie haben Recht, ihren Verlust zu beklagen, denn sie war wirklich gut und wahr. Die Hand mit dem Fächer sank herab, und Leonie sah nachdenkend vor sich nieder.

Das Herz des jungen Mannes war bewegt, auch er hatte eine solche Antwort nicht erwartet, und zu gleicher Zeit fühlte er sich enttäuscht. War er ihr denn so gleichgültig, das das Lob einer Anderen von seinen Lippen ihr so wenig nahe ging?

Ja, hub Leonie wieder an, diese leidenschaftslosen Charaktere haben in ihrer Ruhe einen eigenen Zauber, den ihnen weder Glück noch Unglück rauben kann. Beides streift über sie hinweg, der Grund ihrer Seele wird davon nicht berührt. O wie oft habe ich Marie um diese glückliche Ruhe beneidet, die sie jede Wendung des Lebens mit Gleichmuth hinnehmen last.

Louis errötete. Wieder siegte das Bessere in ihm. Marie ist nicht gefühllos, sagte er leise und befangen.

O nein, Marie ist ein gutes, vortreffliches Kind. Aber bleibt Ihnen wirklich keine Hoffnung?

Louis blickte nieder, ohne zu antworten.

Sonderbar! sagte Leonie, und sie hat Sie wirklich geliebt?

Ich glaube es, versetzte der junge Mann leise. Leonie wiegte ungläubig den Kopf; er sah sie fragend an. Sie zweifeln? sagte er dann.

Ich will Sie nicht kränken, antwortete sie, aber ich zweifle, ob Marie je wahre, aufopfernde Liebe empfinden kann. Jemand, der sie sprach, versicherte mir, sie sei heiter, und man sehe ihr keine Veränderung an. Ich

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[0123] erwiderte er langsam. Sie war gut und wahr, und ich habe sie nicht nach ihrem Werthe geschätzt. Die kleine Gräfin biß die feine Unterlippe mit den Perlenzähnen. Diese Antwort hatte sie nicht erwartet, und, auf den Grund seiner Gedanken konnte sie nicht sehen; aber das jedes Zeichen von Laune hier unklug und nicht am Platze sei, das fühlte sie. Gut und wahr, sagte sie leise; ja, Sie haben Recht, ihren Verlust zu beklagen, denn sie war wirklich gut und wahr. Die Hand mit dem Fächer sank herab, und Leonie sah nachdenkend vor sich nieder. Das Herz des jungen Mannes war bewegt, auch er hatte eine solche Antwort nicht erwartet, und zu gleicher Zeit fühlte er sich enttäuscht. War er ihr denn so gleichgültig, das das Lob einer Anderen von seinen Lippen ihr so wenig nahe ging? Ja, hub Leonie wieder an, diese leidenschaftslosen Charaktere haben in ihrer Ruhe einen eigenen Zauber, den ihnen weder Glück noch Unglück rauben kann. Beides streift über sie hinweg, der Grund ihrer Seele wird davon nicht berührt. O wie oft habe ich Marie um diese glückliche Ruhe beneidet, die sie jede Wendung des Lebens mit Gleichmuth hinnehmen last. Louis errötete. Wieder siegte das Bessere in ihm. Marie ist nicht gefühllos, sagte er leise und befangen. O nein, Marie ist ein gutes, vortreffliches Kind. Aber bleibt Ihnen wirklich keine Hoffnung? Louis blickte nieder, ohne zu antworten. Sonderbar! sagte Leonie, und sie hat Sie wirklich geliebt? Ich glaube es, versetzte der junge Mann leise. Leonie wiegte ungläubig den Kopf; er sah sie fragend an. Sie zweifeln? sagte er dann. Ich will Sie nicht kränken, antwortete sie, aber ich zweifle, ob Marie je wahre, aufopfernde Liebe empfinden kann. Jemand, der sie sprach, versicherte mir, sie sei heiter, und man sehe ihr keine Veränderung an. Ich

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/123>, abgerufen am 25.11.2024.