Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.und doch wäre es gut gewesen, hätte er es gesehen; denn wenn sie auch die Worte nicht vernahm, der Auftritt, der drinnen vorging, war in seiner düstern Färbung gewiss nicht für ein Kinderauge gemacht. Die Fremde war in des Hauses unterer Stube, sichtbar erschöpft, auf einen Sessel gesunken. Thomas blieb an der Thüre stehen, der Graf maß mit langsamen Schritten und gebeugtem Haupte das Zimmer auf und ab. Endlich trat er mit einer raschen Wendung vor die Fremde hin und schlug mit einer entschlossenen Bewegung ihren Schleier zurück. Sie zuckte sichtbar zusammen, dann erhob sie die bleiche Stirn und starrte ihn aus dem abgemagerten Gesicht mit ein paar dunklen, großen, unnatürlich glänzenden Augen an, welche das einzige Lebendige zu sein schienen an der ganzen Gestalt, so regungslos saß sie da. Des Grafen Augen hafteten fest auf den ihrigen, aber es war kein Blick der Liebe, und die Worte, welche diesem Blicke folgten, waren böse Worte. Der Graf war der erste, der das Schweigen brach. Du weißt, weshalb du hier bist? sagte er in französischer Sprache. Die bleiche Frau wurde wo möglich noch blässer, und ihr unruhiger Blick suchte scheu im Zimmer umher; doch bald faßte sie sich wieder. Ihr wollt mich töten, antwortete sie in derselben Sprache; thut es! und ein leiser Schauer durchrieselte ihren Körper. Immer Dieselbe! sagte der Graf verdrossen; er wandte sich ab und nahm seinen Gang durch das Zimmer wieder aus. Ihre Augen folgten ihm anfangs mit fieberhafter Anspannung, dann lehnte sie den Kopf zurück, senkte die Augenlieder, und es war, als schliefe sie. Nur wer ihr sehr nahe war, hörte das rasche, beklommene Athem holen ihrer Brust. Endlich blieb der Graf wieder stehen, und sie sah von neuem auf. Du sollst hier bleiben, sagte er, für deine Bequem- und doch wäre es gut gewesen, hätte er es gesehen; denn wenn sie auch die Worte nicht vernahm, der Auftritt, der drinnen vorging, war in seiner düstern Färbung gewiss nicht für ein Kinderauge gemacht. Die Fremde war in des Hauses unterer Stube, sichtbar erschöpft, auf einen Sessel gesunken. Thomas blieb an der Thüre stehen, der Graf maß mit langsamen Schritten und gebeugtem Haupte das Zimmer auf und ab. Endlich trat er mit einer raschen Wendung vor die Fremde hin und schlug mit einer entschlossenen Bewegung ihren Schleier zurück. Sie zuckte sichtbar zusammen, dann erhob sie die bleiche Stirn und starrte ihn aus dem abgemagerten Gesicht mit ein paar dunklen, großen, unnatürlich glänzenden Augen an, welche das einzige Lebendige zu sein schienen an der ganzen Gestalt, so regungslos saß sie da. Des Grafen Augen hafteten fest auf den ihrigen, aber es war kein Blick der Liebe, und die Worte, welche diesem Blicke folgten, waren böse Worte. Der Graf war der erste, der das Schweigen brach. Du weißt, weshalb du hier bist? sagte er in französischer Sprache. Die bleiche Frau wurde wo möglich noch blässer, und ihr unruhiger Blick suchte scheu im Zimmer umher; doch bald faßte sie sich wieder. Ihr wollt mich töten, antwortete sie in derselben Sprache; thut es! und ein leiser Schauer durchrieselte ihren Körper. Immer Dieselbe! sagte der Graf verdrossen; er wandte sich ab und nahm seinen Gang durch das Zimmer wieder aus. Ihre Augen folgten ihm anfangs mit fieberhafter Anspannung, dann lehnte sie den Kopf zurück, senkte die Augenlieder, und es war, als schliefe sie. Nur wer ihr sehr nahe war, hörte das rasche, beklommene Athem holen ihrer Brust. Endlich blieb der Graf wieder stehen, und sie sah von neuem auf. Du sollst hier bleiben, sagte er, für deine Bequem- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0015"/> und doch wäre es gut gewesen, hätte er es gesehen; denn wenn sie auch die Worte nicht vernahm, der Auftritt, der drinnen vorging, war in seiner düstern Färbung gewiss nicht für ein Kinderauge gemacht.</p><lb/> <p>Die Fremde war in des Hauses unterer Stube, sichtbar erschöpft, auf einen Sessel gesunken. Thomas blieb an der Thüre stehen, der Graf maß mit langsamen Schritten und gebeugtem Haupte das Zimmer auf und ab. Endlich trat er mit einer raschen Wendung vor die Fremde hin und schlug mit einer entschlossenen Bewegung ihren Schleier zurück. Sie zuckte sichtbar zusammen, dann erhob sie die bleiche Stirn und starrte ihn aus dem abgemagerten Gesicht mit ein paar dunklen, großen, unnatürlich glänzenden Augen an, welche das einzige Lebendige zu sein schienen an der ganzen Gestalt, so regungslos saß sie da. Des Grafen Augen hafteten fest auf den ihrigen, aber es war kein Blick der Liebe, und die Worte, welche diesem Blicke folgten, waren böse Worte. Der Graf war der erste, der das Schweigen brach.</p><lb/> <p>Du weißt, weshalb du hier bist? sagte er in französischer Sprache.</p><lb/> <p>Die bleiche Frau wurde wo möglich noch blässer, und ihr unruhiger Blick suchte scheu im Zimmer umher; doch bald faßte sie sich wieder.</p><lb/> <p>Ihr wollt mich töten, antwortete sie in derselben Sprache; thut es! und ein leiser Schauer durchrieselte ihren Körper.</p><lb/> <p>Immer Dieselbe! sagte der Graf verdrossen; er wandte sich ab und nahm seinen Gang durch das Zimmer wieder aus. Ihre Augen folgten ihm anfangs mit fieberhafter Anspannung, dann lehnte sie den Kopf zurück, senkte die Augenlieder, und es war, als schliefe sie. Nur wer ihr sehr nahe war, hörte das rasche, beklommene Athem holen ihrer Brust. Endlich blieb der Graf wieder stehen, und sie sah von neuem auf.</p><lb/> <p>Du sollst hier bleiben, sagte er, für deine Bequem-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
und doch wäre es gut gewesen, hätte er es gesehen; denn wenn sie auch die Worte nicht vernahm, der Auftritt, der drinnen vorging, war in seiner düstern Färbung gewiss nicht für ein Kinderauge gemacht.
Die Fremde war in des Hauses unterer Stube, sichtbar erschöpft, auf einen Sessel gesunken. Thomas blieb an der Thüre stehen, der Graf maß mit langsamen Schritten und gebeugtem Haupte das Zimmer auf und ab. Endlich trat er mit einer raschen Wendung vor die Fremde hin und schlug mit einer entschlossenen Bewegung ihren Schleier zurück. Sie zuckte sichtbar zusammen, dann erhob sie die bleiche Stirn und starrte ihn aus dem abgemagerten Gesicht mit ein paar dunklen, großen, unnatürlich glänzenden Augen an, welche das einzige Lebendige zu sein schienen an der ganzen Gestalt, so regungslos saß sie da. Des Grafen Augen hafteten fest auf den ihrigen, aber es war kein Blick der Liebe, und die Worte, welche diesem Blicke folgten, waren böse Worte. Der Graf war der erste, der das Schweigen brach.
Du weißt, weshalb du hier bist? sagte er in französischer Sprache.
Die bleiche Frau wurde wo möglich noch blässer, und ihr unruhiger Blick suchte scheu im Zimmer umher; doch bald faßte sie sich wieder.
Ihr wollt mich töten, antwortete sie in derselben Sprache; thut es! und ein leiser Schauer durchrieselte ihren Körper.
Immer Dieselbe! sagte der Graf verdrossen; er wandte sich ab und nahm seinen Gang durch das Zimmer wieder aus. Ihre Augen folgten ihm anfangs mit fieberhafter Anspannung, dann lehnte sie den Kopf zurück, senkte die Augenlieder, und es war, als schliefe sie. Nur wer ihr sehr nahe war, hörte das rasche, beklommene Athem holen ihrer Brust. Endlich blieb der Graf wieder stehen, und sie sah von neuem auf.
Du sollst hier bleiben, sagte er, für deine Bequem-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T13:30:48Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T13:30:48Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |