Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Wie lange bleibt Otto in S.? frug sie ihn eines Tages, nach ihrer Gewohnheit die Frage, die sie eigentlich stellen wollte, umgehend. Den ganzen Sommer, versetzte er ruhig. Sie bleiben doch nicht den ganzen Sommer hier? frug jetzt ihr Mann. Nein, nein, ich reise nach. Nur später, jetzt kann ich nicht. Was werden Sie thun? Ich fürchte, ich werde reisen müssen, sagte ihr Mann ein wenig gepreßt. Jedenfalls hoffe ich aber, Sie mit Ihrer Frau in S. zu sehen. Sie waren noch nicht auf dem Gute, und Leonie ist dort erzogen worden. Das ist wahr, ich werde sehr gern dort sein. Was meinst du, Leonie? O ich gewiß auch, versetzte sie ruhig. Gott bewahre mich! dachte sie. Du hast mich verrathen, sagte sie später mit kindlichem Schmollen zu ihrem Manne, nun bringt der Vater aus Pflichtgefühl mir das Opfer seiner ganzen Zeit, und es thut mir weh. Graf Hoheneck lachte. Er bildete sich nicht wenig auf die Versöhnung ein, die er zu Stande gebracht, und hielt seine Frau hochbeglückt; was Leonie empfand, ist leicht zu denken. Das Werkzeug, dessen sie sich bedient, hatte sich in ihrer Hand gewendet und sie selbst verletzt. Unmöglich konnte sie ihrem Manne sagen, die Gegenwart ihres Vaters sei ihr eine Qual. Habe Geduld! flüsterte sie Louis eines Tages zu, siehst du denn nicht, was ich leide? Sie wandte sich um, ihres Vaters Augen ruhten forschend auf ihr. Sie wurde sehr blaß, aber sie erwiederte scheinbar ruhig den Blick. Ei, sagte er, spielst du noch immer so gern Hasardspiele? Ich? versetzte sie; es kommt darauf an. Und Sie, Herr Marquis? frug er jetzt. Wie lange bleibt Otto in S.? frug sie ihn eines Tages, nach ihrer Gewohnheit die Frage, die sie eigentlich stellen wollte, umgehend. Den ganzen Sommer, versetzte er ruhig. Sie bleiben doch nicht den ganzen Sommer hier? frug jetzt ihr Mann. Nein, nein, ich reise nach. Nur später, jetzt kann ich nicht. Was werden Sie thun? Ich fürchte, ich werde reisen müssen, sagte ihr Mann ein wenig gepreßt. Jedenfalls hoffe ich aber, Sie mit Ihrer Frau in S. zu sehen. Sie waren noch nicht auf dem Gute, und Leonie ist dort erzogen worden. Das ist wahr, ich werde sehr gern dort sein. Was meinst du, Leonie? O ich gewiß auch, versetzte sie ruhig. Gott bewahre mich! dachte sie. Du hast mich verrathen, sagte sie später mit kindlichem Schmollen zu ihrem Manne, nun bringt der Vater aus Pflichtgefühl mir das Opfer seiner ganzen Zeit, und es thut mir weh. Graf Hoheneck lachte. Er bildete sich nicht wenig auf die Versöhnung ein, die er zu Stande gebracht, und hielt seine Frau hochbeglückt; was Leonie empfand, ist leicht zu denken. Das Werkzeug, dessen sie sich bedient, hatte sich in ihrer Hand gewendet und sie selbst verletzt. Unmöglich konnte sie ihrem Manne sagen, die Gegenwart ihres Vaters sei ihr eine Qual. Habe Geduld! flüsterte sie Louis eines Tages zu, siehst du denn nicht, was ich leide? Sie wandte sich um, ihres Vaters Augen ruhten forschend auf ihr. Sie wurde sehr blaß, aber sie erwiederte scheinbar ruhig den Blick. Ei, sagte er, spielst du noch immer so gern Hasardspiele? Ich? versetzte sie; es kommt darauf an. 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Den ganzen Sommer, versetzte er ruhig.
Sie bleiben doch nicht den ganzen Sommer hier? frug jetzt ihr Mann.
Nein, nein, ich reise nach. Nur später, jetzt kann ich nicht. Was werden Sie thun?
Ich fürchte, ich werde reisen müssen, sagte ihr Mann ein wenig gepreßt.
Jedenfalls hoffe ich aber, Sie mit Ihrer Frau in S. zu sehen. Sie waren noch nicht auf dem Gute, und Leonie ist dort erzogen worden.
Das ist wahr, ich werde sehr gern dort sein. Was meinst du, Leonie?
O ich gewiß auch, versetzte sie ruhig. Gott bewahre mich! dachte sie.
Du hast mich verrathen, sagte sie später mit kindlichem Schmollen zu ihrem Manne, nun bringt der Vater aus Pflichtgefühl mir das Opfer seiner ganzen Zeit, und es thut mir weh.
Graf Hoheneck lachte. Er bildete sich nicht wenig auf die Versöhnung ein, die er zu Stande gebracht, und hielt seine Frau hochbeglückt; was Leonie empfand, ist leicht zu denken. Das Werkzeug, dessen sie sich bedient, hatte sich in ihrer Hand gewendet und sie selbst verletzt. Unmöglich konnte sie ihrem Manne sagen, die Gegenwart ihres Vaters sei ihr eine Qual.
Habe Geduld! flüsterte sie Louis eines Tages zu, siehst du denn nicht, was ich leide?
Sie wandte sich um, ihres Vaters Augen ruhten forschend auf ihr. Sie wurde sehr blaß, aber sie erwiederte scheinbar ruhig den Blick.
Ei, sagte er, spielst du noch immer so gern Hasardspiele?
Ich? versetzte sie; es kommt darauf an.
Und Sie, Herr Marquis? frug er jetzt.
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Zitationshilfe: | Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/167>, abgerufen am 16.02.2025. |