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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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maches und hielt ihre Kinder fest an sich gedrückt. Ihr Entsetzen rührte mich. Es war das Mitleid, welches uns die Todesangst jedes, selbst des fremdesten Wesens einzuflößen vermag. Mein Zorn war gewichen, aber mit ihm zugleich meine Liebe erloschen, -- das Blut, das ich vergossen, hatte Beides erstickt.

Madame, sagte ich zu ihr, Sie haben nichts zu fürchten. Es ist mir lieb, das wenigstens aller Scandal vermieden ist. Mit dem Marquis habe ich Abrechnung gepflogen, er wird Sie nicht mehr belästigen. Vor der Welt bleibt Alles, wie es war; zwischen uns, die wir wissen, woran wir sind, ist natürlich Alles aus.

Sie erhob sich langsam, und ich ließ sie allein.

Die Abwesenheit Ihres Vaters fiel in den ersten Tagen nicht sehr auf. Es war nicht das erste Mal, das ein galantes Abenteuer ihn auf mehrere Tage unsichtbar hielt. Man kannte seine zerrütteten Vermögensumstände, und als man ihn endlich gefunden, suchte man keinen anderen Grund für die That, und es hieß, um dem Drängen seiner Gläubiger zu entgehen, habe er sich selbst entleibt.

Meiner Frau, die ihr Zimmer nicht verließ, wurde auf meinen strengen Befehl, kein Wort von dem Vorfalle hinterbracht. Ich hatte sie mehrere Tage hindurch nur auf Augenblicke gesehen, da kam sie eines Morgens mit ihren Kindern auf mein Zimmer, kniete nieder vor mir und legte Leonie auf meinen Schooß. Aber des Kindes weiße Gewänder schimmerten in meinen Augen roth, wie in Blut getaucht, und mit Abscheu stieß ich es zurück. Sie schloß es heftig an die Brust und sah mich forschend an; dann erhob sie sich schweigend und ging hinaus.

Seitdem machte sie keinen Versuch mehr zu einer Annäherung. Was hatte es auch genutzt? Es lag Blut zwischen uns -- Blut -- und das Kind, das ich nicht ansehen konnte, dessen Name schon eine immer-

maches und hielt ihre Kinder fest an sich gedrückt. Ihr Entsetzen rührte mich. Es war das Mitleid, welches uns die Todesangst jedes, selbst des fremdesten Wesens einzuflößen vermag. Mein Zorn war gewichen, aber mit ihm zugleich meine Liebe erloschen, — das Blut, das ich vergossen, hatte Beides erstickt.

Madame, sagte ich zu ihr, Sie haben nichts zu fürchten. Es ist mir lieb, das wenigstens aller Scandal vermieden ist. Mit dem Marquis habe ich Abrechnung gepflogen, er wird Sie nicht mehr belästigen. Vor der Welt bleibt Alles, wie es war; zwischen uns, die wir wissen, woran wir sind, ist natürlich Alles aus.

Sie erhob sich langsam, und ich ließ sie allein.

Die Abwesenheit Ihres Vaters fiel in den ersten Tagen nicht sehr auf. Es war nicht das erste Mal, das ein galantes Abenteuer ihn auf mehrere Tage unsichtbar hielt. Man kannte seine zerrütteten Vermögensumstände, und als man ihn endlich gefunden, suchte man keinen anderen Grund für die That, und es hieß, um dem Drängen seiner Gläubiger zu entgehen, habe er sich selbst entleibt.

Meiner Frau, die ihr Zimmer nicht verließ, wurde auf meinen strengen Befehl, kein Wort von dem Vorfalle hinterbracht. Ich hatte sie mehrere Tage hindurch nur auf Augenblicke gesehen, da kam sie eines Morgens mit ihren Kindern auf mein Zimmer, kniete nieder vor mir und legte Leonie auf meinen Schooß. Aber des Kindes weiße Gewänder schimmerten in meinen Augen roth, wie in Blut getaucht, und mit Abscheu stieß ich es zurück. Sie schloß es heftig an die Brust und sah mich forschend an; dann erhob sie sich schweigend und ging hinaus.

Seitdem machte sie keinen Versuch mehr zu einer Annäherung. Was hatte es auch genutzt? Es lag Blut zwischen uns — Blut — und das Kind, das ich nicht ansehen konnte, dessen Name schon eine immer-

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[0204] maches und hielt ihre Kinder fest an sich gedrückt. Ihr Entsetzen rührte mich. Es war das Mitleid, welches uns die Todesangst jedes, selbst des fremdesten Wesens einzuflößen vermag. Mein Zorn war gewichen, aber mit ihm zugleich meine Liebe erloschen, — das Blut, das ich vergossen, hatte Beides erstickt. Madame, sagte ich zu ihr, Sie haben nichts zu fürchten. Es ist mir lieb, das wenigstens aller Scandal vermieden ist. Mit dem Marquis habe ich Abrechnung gepflogen, er wird Sie nicht mehr belästigen. Vor der Welt bleibt Alles, wie es war; zwischen uns, die wir wissen, woran wir sind, ist natürlich Alles aus. Sie erhob sich langsam, und ich ließ sie allein. Die Abwesenheit Ihres Vaters fiel in den ersten Tagen nicht sehr auf. Es war nicht das erste Mal, das ein galantes Abenteuer ihn auf mehrere Tage unsichtbar hielt. Man kannte seine zerrütteten Vermögensumstände, und als man ihn endlich gefunden, suchte man keinen anderen Grund für die That, und es hieß, um dem Drängen seiner Gläubiger zu entgehen, habe er sich selbst entleibt. Meiner Frau, die ihr Zimmer nicht verließ, wurde auf meinen strengen Befehl, kein Wort von dem Vorfalle hinterbracht. Ich hatte sie mehrere Tage hindurch nur auf Augenblicke gesehen, da kam sie eines Morgens mit ihren Kindern auf mein Zimmer, kniete nieder vor mir und legte Leonie auf meinen Schooß. Aber des Kindes weiße Gewänder schimmerten in meinen Augen roth, wie in Blut getaucht, und mit Abscheu stieß ich es zurück. Sie schloß es heftig an die Brust und sah mich forschend an; dann erhob sie sich schweigend und ging hinaus. Seitdem machte sie keinen Versuch mehr zu einer Annäherung. Was hatte es auch genutzt? Es lag Blut zwischen uns — Blut — und das Kind, das ich nicht ansehen konnte, dessen Name schon eine immer-

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/204>, abgerufen am 14.05.2024.