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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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nen der Hecke und hielt das erschreckte Kind am Kleide fest.

Bleibe! sagte eine süße, leise Stimme in der sanften Sprache, die sie so lange nicht mehr gehört, und die wie ein halbvergessener Traum nur noch in seltenen Nachklangen durch ihre Seele zitterte. -- Wieder siegte die Neugierde, sie blieb stehen und wandte sich der Fremden zu.

Wer bist du? Wie heißest du? frug diese jetzt, und ihre zweite Hand, ebenfalls durch die Dornen gestreckt, erfasste mit zitternder Hast des Mädchens kleine, halb widerstrebende Hand.

Ich heiße Leonie und bin des Grafen Tochter, dem das Gut gehört.

O komm näher! Las dich anschauen! bat die Frau und zog sie mit beiden Händen dichter an die Hecke heran. Ihre durstigen Augen hing sie an dem feinen, in wechselnder Bewegung erröthenden und erbleichenden Gesichtchen fest. Kein Zug, murmelte sie halblaut, kein einziger Zug! Ein düsterer Ausdruck voll Schmerz und Trauer, aber ohne Weichheit, zog über ihr Gesicht und überdeckte es mit einer noch tieferen Blasse. Wo ist dein Bruder? frug sie plötzlich, wie sich besinnend.

Er wollte nicht kommen, der Vater hat's verboten, sagte Leonie.

Und da kommt er auch nicht?

Nein, er fürchtet sich.

O er ist seines Vaters rechtes Kind! sagte die Frau mit einer Bitterkeit, die nicht ohne Verachtung war. Sie schwieg eine Weile. Hat er dir's auch verboten? frug sie dann.

Die Röthe der Scham schlug unwillkürlich auf in Leonie's Gesicht. Ich habe nicht gefragt, sagte sie zögernd und erwartete fast einen Verweis.

Die Frau betrachtete sie aufmerksam einen Augenblick. Liebst du deinen Vater? frug sie dann.

Leonie stockte -- darüber hatte sie noch nicht nach-

nen der Hecke und hielt das erschreckte Kind am Kleide fest.

Bleibe! sagte eine süße, leise Stimme in der sanften Sprache, die sie so lange nicht mehr gehört, und die wie ein halbvergessener Traum nur noch in seltenen Nachklangen durch ihre Seele zitterte. — Wieder siegte die Neugierde, sie blieb stehen und wandte sich der Fremden zu.

Wer bist du? Wie heißest du? frug diese jetzt, und ihre zweite Hand, ebenfalls durch die Dornen gestreckt, erfasste mit zitternder Hast des Mädchens kleine, halb widerstrebende Hand.

Ich heiße Leonie und bin des Grafen Tochter, dem das Gut gehört.

O komm näher! Las dich anschauen! bat die Frau und zog sie mit beiden Händen dichter an die Hecke heran. Ihre durstigen Augen hing sie an dem feinen, in wechselnder Bewegung erröthenden und erbleichenden Gesichtchen fest. Kein Zug, murmelte sie halblaut, kein einziger Zug! Ein düsterer Ausdruck voll Schmerz und Trauer, aber ohne Weichheit, zog über ihr Gesicht und überdeckte es mit einer noch tieferen Blasse. Wo ist dein Bruder? frug sie plötzlich, wie sich besinnend.

Er wollte nicht kommen, der Vater hat's verboten, sagte Leonie.

Und da kommt er auch nicht?

Nein, er fürchtet sich.

O er ist seines Vaters rechtes Kind! sagte die Frau mit einer Bitterkeit, die nicht ohne Verachtung war. Sie schwieg eine Weile. Hat er dir's auch verboten? frug sie dann.

Die Röthe der Scham schlug unwillkürlich auf in Leonie's Gesicht. Ich habe nicht gefragt, sagte sie zögernd und erwartete fast einen Verweis.

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[0023] nen der Hecke und hielt das erschreckte Kind am Kleide fest. Bleibe! sagte eine süße, leise Stimme in der sanften Sprache, die sie so lange nicht mehr gehört, und die wie ein halbvergessener Traum nur noch in seltenen Nachklangen durch ihre Seele zitterte. — Wieder siegte die Neugierde, sie blieb stehen und wandte sich der Fremden zu. Wer bist du? Wie heißest du? frug diese jetzt, und ihre zweite Hand, ebenfalls durch die Dornen gestreckt, erfasste mit zitternder Hast des Mädchens kleine, halb widerstrebende Hand. Ich heiße Leonie und bin des Grafen Tochter, dem das Gut gehört. O komm näher! Las dich anschauen! bat die Frau und zog sie mit beiden Händen dichter an die Hecke heran. Ihre durstigen Augen hing sie an dem feinen, in wechselnder Bewegung erröthenden und erbleichenden Gesichtchen fest. Kein Zug, murmelte sie halblaut, kein einziger Zug! Ein düsterer Ausdruck voll Schmerz und Trauer, aber ohne Weichheit, zog über ihr Gesicht und überdeckte es mit einer noch tieferen Blasse. Wo ist dein Bruder? frug sie plötzlich, wie sich besinnend. Er wollte nicht kommen, der Vater hat's verboten, sagte Leonie. Und da kommt er auch nicht? Nein, er fürchtet sich. O er ist seines Vaters rechtes Kind! sagte die Frau mit einer Bitterkeit, die nicht ohne Verachtung war. Sie schwieg eine Weile. Hat er dir's auch verboten? frug sie dann. Die Röthe der Scham schlug unwillkürlich auf in Leonie's Gesicht. Ich habe nicht gefragt, sagte sie zögernd und erwartete fast einen Verweis. Die Frau betrachtete sie aufmerksam einen Augenblick. Liebst du deinen Vater? frug sie dann. Leonie stockte — darüber hatte sie noch nicht nach-

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/23>, abgerufen am 21.11.2024.