Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Neigung gefaßt. Ich denke, du kannst verzeihen? setzte sie rasch hinzu, als sie ihre Tochter erbleichen sah. Ja -- ich -- ich wohl! aber -- ich bin nicht allein, sagte Marie, und sie stützte die Stirn in die zitternde Hand. Laß das! versetzte die Baronin. Sie drückte ihr die Hand und entfernte sich rasch. Den folgenden Morgen, noch vor dem Frühstück, begab sich der Baron denn wirklich zu dem Marquis. Über Nacht hatte die Weisheit seiner Frau Wurzel geschlagen in ihm, und die erste Aufwallung hatte ruhigeren Gedanken Platz gemacht. -- Es schickt sich nicht, daß wir ihn so ohne Umstände von uns stoßen, da wir ihn doch einmal gewählt. Wir sind hier seine ganze Familie, hatte sie zu ihrem Manne gesagt, und mit seiner gewohnten Gutherzigkeit hatte er das denn auch eingesehen. Dennoch war er keineswegs versöhnt; auch schämte er sich ein wenig des Schrittes, den er zu thun im Begriffe stand. Aber Niemand sollte sagen, es habe ihm an Gerechtigkeit und Mäßigung gefehlt. Damit beruhigte er sich. Ungehindert ließ man ihn zu dem Marquis hinein, und er fand den jungen Mann noch in festem Schlaf. Das jagte alle Versöhnungsgedanken des gereizten Vaters in den Wind. Ja, Der kann schlafen! sagte er bitter und stieß mit dem Stocke unsanft auf den Boden. Der Schläfer fuhr erwachend in die Höhe, an alles Andere hatte er eher gedacht, als den Baron vor sich zu sehen. Wollte er denn doch eine Versöhnung? Louis hatte den vergangenen Abend mit so tiefem Schmerz auf sein Verhältnis zu Marie zurückgeblickt, er hatte dessen Lösung mit solcher Überzeugung als das gewisse Unglück seines Lebens beweint! Und nun es anders zu kommen schien, als er es erwartet, legte sich diese Möglichkeit wie ein Alp auf seine Brust. Der Baron indessen sah nicht sehr versöhnlich aus. Er hatte sich niedergelassen, und sein Blick ruhte fest Neigung gefaßt. Ich denke, du kannst verzeihen? setzte sie rasch hinzu, als sie ihre Tochter erbleichen sah. Ja — ich — ich wohl! aber — ich bin nicht allein, sagte Marie, und sie stützte die Stirn in die zitternde Hand. Laß das! versetzte die Baronin. Sie drückte ihr die Hand und entfernte sich rasch. Den folgenden Morgen, noch vor dem Frühstück, begab sich der Baron denn wirklich zu dem Marquis. Über Nacht hatte die Weisheit seiner Frau Wurzel geschlagen in ihm, und die erste Aufwallung hatte ruhigeren Gedanken Platz gemacht. — Es schickt sich nicht, daß wir ihn so ohne Umstände von uns stoßen, da wir ihn doch einmal gewählt. Wir sind hier seine ganze Familie, hatte sie zu ihrem Manne gesagt, und mit seiner gewohnten Gutherzigkeit hatte er das denn auch eingesehen. Dennoch war er keineswegs versöhnt; auch schämte er sich ein wenig des Schrittes, den er zu thun im Begriffe stand. Aber Niemand sollte sagen, es habe ihm an Gerechtigkeit und Mäßigung gefehlt. Damit beruhigte er sich. Ungehindert ließ man ihn zu dem Marquis hinein, und er fand den jungen Mann noch in festem Schlaf. Das jagte alle Versöhnungsgedanken des gereizten Vaters in den Wind. Ja, Der kann schlafen! sagte er bitter und stieß mit dem Stocke unsanft auf den Boden. Der Schläfer fuhr erwachend in die Höhe, an alles Andere hatte er eher gedacht, als den Baron vor sich zu sehen. Wollte er denn doch eine Versöhnung? Louis hatte den vergangenen Abend mit so tiefem Schmerz auf sein Verhältnis zu Marie zurückgeblickt, er hatte dessen Lösung mit solcher Überzeugung als das gewisse Unglück seines Lebens beweint! Und nun es anders zu kommen schien, als er es erwartet, legte sich diese Möglichkeit wie ein Alp auf seine Brust. Der Baron indessen sah nicht sehr versöhnlich aus. 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Dennoch war er keineswegs versöhnt; auch schämte er sich ein wenig des Schrittes, den er zu thun im Begriffe stand. Aber Niemand sollte sagen, es habe ihm an Gerechtigkeit und Mäßigung gefehlt. Damit beruhigte er sich. Ungehindert ließ man ihn zu dem Marquis hinein, und er fand den jungen Mann noch in festem Schlaf. Das jagte alle Versöhnungsgedanken des gereizten Vaters in den Wind.</p><lb/> <p>Ja, Der kann schlafen! sagte er bitter und stieß mit dem Stocke unsanft auf den Boden. Der Schläfer fuhr erwachend in die Höhe, an alles Andere hatte er eher gedacht, als den Baron vor sich zu sehen. Wollte er denn doch eine Versöhnung? Louis hatte den vergangenen Abend mit so tiefem Schmerz auf sein Verhältnis zu Marie zurückgeblickt, er hatte dessen Lösung mit solcher Überzeugung als das gewisse Unglück seines Lebens beweint! 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Ja — ich — ich wohl! aber — ich bin nicht allein, sagte Marie, und sie stützte die Stirn in die zitternde Hand.
Laß das! versetzte die Baronin. Sie drückte ihr die Hand und entfernte sich rasch.
Den folgenden Morgen, noch vor dem Frühstück, begab sich der Baron denn wirklich zu dem Marquis. Über Nacht hatte die Weisheit seiner Frau Wurzel geschlagen in ihm, und die erste Aufwallung hatte ruhigeren Gedanken Platz gemacht. — Es schickt sich nicht, daß wir ihn so ohne Umstände von uns stoßen, da wir ihn doch einmal gewählt. Wir sind hier seine ganze Familie, hatte sie zu ihrem Manne gesagt, und mit seiner gewohnten Gutherzigkeit hatte er das denn auch eingesehen. Dennoch war er keineswegs versöhnt; auch schämte er sich ein wenig des Schrittes, den er zu thun im Begriffe stand. Aber Niemand sollte sagen, es habe ihm an Gerechtigkeit und Mäßigung gefehlt. Damit beruhigte er sich. Ungehindert ließ man ihn zu dem Marquis hinein, und er fand den jungen Mann noch in festem Schlaf. Das jagte alle Versöhnungsgedanken des gereizten Vaters in den Wind.
Ja, Der kann schlafen! sagte er bitter und stieß mit dem Stocke unsanft auf den Boden. Der Schläfer fuhr erwachend in die Höhe, an alles Andere hatte er eher gedacht, als den Baron vor sich zu sehen. Wollte er denn doch eine Versöhnung? Louis hatte den vergangenen Abend mit so tiefem Schmerz auf sein Verhältnis zu Marie zurückgeblickt, er hatte dessen Lösung mit solcher Überzeugung als das gewisse Unglück seines Lebens beweint! Und nun es anders zu kommen schien, als er es erwartet, legte sich diese Möglichkeit wie ein Alp auf seine Brust.
Der Baron indessen sah nicht sehr versöhnlich aus. Er hatte sich niedergelassen, und sein Blick ruhte fest
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Zitationshilfe: | Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/97>, abgerufen am 16.07.2024. |