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Wildermuth, Ottilie: Streit in der Liebe und Liebe im Streit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 175–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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sönlich einzufinden, widrigenfalls er wegen böswilliger Verlassung geschieden werde.

Drei Tage vor dem festgesetzten Termin saß Liesbeth in ihrer Kammer, es war Nacht und gar still, Liesbeth blieb immer lange auf, sie hatte gar wenig Schlaf in den letzten Monaten. Da hörte sie das Bellen eines Hundes, den Ton kannte sie, es war der Sultan, Georges getreuer Hund. Das Haus war verschlossen, aber das Fenster noch offen, bei dem warmen Wetter, in tödtlichem Schreck sah sie Georges Kopf am Fenster, im Augenblick darauf hatte er selbst sich herein geschwungen.

Liesbeth stieß einen durchdringenden Schrei aus, so daß der nebenanwohnende Bruder eiligst herüber kam; er fand sie zitternd und bleich, wie sie die Hände vor sich ausstreckte und immer schrie: Bring mich nicht um, bring mich nicht um! Georg aber stand ruhig am Fenster und sagte: Was ist das für ein G'schrei, ich hab' ja nur fragen wollen, ob's Der da, auf Liesbeth deutend, ernst sei mit dem Scheiden. Liesbeth schwieg, der Schwager aber hub an und hielt dem Georg sein Sündenregister vor, so bündig und nachdrücklich, daß dieser nicht viel darauf erwidern konnte. Er that es auch nicht, nur als der Schwager zu Ende war, rief Georg zu Liesbeth hinüber: Dich frag' ich, du willst dich scheiden lassen? du? Er schritt auf sie zu, sie schrie aber wieder: Er bringt mich noch um! Endlich aber sagte sie trotzig: Du hast angefangen mit dem Scheiden, wo

sönlich einzufinden, widrigenfalls er wegen böswilliger Verlassung geschieden werde.

Drei Tage vor dem festgesetzten Termin saß Liesbeth in ihrer Kammer, es war Nacht und gar still, Liesbeth blieb immer lange auf, sie hatte gar wenig Schlaf in den letzten Monaten. Da hörte sie das Bellen eines Hundes, den Ton kannte sie, es war der Sultan, Georges getreuer Hund. Das Haus war verschlossen, aber das Fenster noch offen, bei dem warmen Wetter, in tödtlichem Schreck sah sie Georges Kopf am Fenster, im Augenblick darauf hatte er selbst sich herein geschwungen.

Liesbeth stieß einen durchdringenden Schrei aus, so daß der nebenanwohnende Bruder eiligst herüber kam; er fand sie zitternd und bleich, wie sie die Hände vor sich ausstreckte und immer schrie: Bring mich nicht um, bring mich nicht um! Georg aber stand ruhig am Fenster und sagte: Was ist das für ein G'schrei, ich hab' ja nur fragen wollen, ob's Der da, auf Liesbeth deutend, ernst sei mit dem Scheiden. Liesbeth schwieg, der Schwager aber hub an und hielt dem Georg sein Sündenregister vor, so bündig und nachdrücklich, daß dieser nicht viel darauf erwidern konnte. Er that es auch nicht, nur als der Schwager zu Ende war, rief Georg zu Liesbeth hinüber: Dich frag' ich, du willst dich scheiden lassen? du? Er schritt auf sie zu, sie schrie aber wieder: Er bringt mich noch um! Endlich aber sagte sie trotzig: Du hast angefangen mit dem Scheiden, wo

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[0033] sönlich einzufinden, widrigenfalls er wegen böswilliger Verlassung geschieden werde. Drei Tage vor dem festgesetzten Termin saß Liesbeth in ihrer Kammer, es war Nacht und gar still, Liesbeth blieb immer lange auf, sie hatte gar wenig Schlaf in den letzten Monaten. Da hörte sie das Bellen eines Hundes, den Ton kannte sie, es war der Sultan, Georges getreuer Hund. Das Haus war verschlossen, aber das Fenster noch offen, bei dem warmen Wetter, in tödtlichem Schreck sah sie Georges Kopf am Fenster, im Augenblick darauf hatte er selbst sich herein geschwungen. Liesbeth stieß einen durchdringenden Schrei aus, so daß der nebenanwohnende Bruder eiligst herüber kam; er fand sie zitternd und bleich, wie sie die Hände vor sich ausstreckte und immer schrie: Bring mich nicht um, bring mich nicht um! Georg aber stand ruhig am Fenster und sagte: Was ist das für ein G'schrei, ich hab' ja nur fragen wollen, ob's Der da, auf Liesbeth deutend, ernst sei mit dem Scheiden. Liesbeth schwieg, der Schwager aber hub an und hielt dem Georg sein Sündenregister vor, so bündig und nachdrücklich, daß dieser nicht viel darauf erwidern konnte. Er that es auch nicht, nur als der Schwager zu Ende war, rief Georg zu Liesbeth hinüber: Dich frag' ich, du willst dich scheiden lassen? du? Er schritt auf sie zu, sie schrie aber wieder: Er bringt mich noch um! Endlich aber sagte sie trotzig: Du hast angefangen mit dem Scheiden, wo

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:35:23Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:35:23Z)

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Zitationshilfe: Wildermuth, Ottilie: Streit in der Liebe und Liebe im Streit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 175–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wildermuth_streit_1910/33>, abgerufen am 21.11.2024.