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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst unter den Griechen.
spätern Zeiten seyn 1). Dieses war nur zu erwarten von Leuten, die Rom
im Traume, oder, wie junge Reisende, in einem Monate, gesehen.

Die Ehre und das Glück des Künstlers hiengen nicht von dem Ei-
gensinne eines unwissenden Stolzes ab, und ihre Werke waren nicht nach
dem elenden Geschmacke, oder nach dem übel geschaffenen Auge eines durch
die Schmeicheley und Knechtschaft aufgeworfenen Richters, gebildet, son-
dern die weisesten des ganzen Volks urtheileten und belohneten sie, und ihre
Werke, in der Versammlung aller Griechen, und zu Delphos 2) und zu
Corinth waren Wettspiele der Malerey unter besondern dazu bestellten Rich-
tern, welche zur Zeit des Phidias angeordnet wurden. Hier wurde zuerst
Panäus, der Bruder, oder, wie andere wollen 3), der Schwester Sohn
des Phidias, mit dem Timagoras von Chalcis, gerichtet, und der letzte er-
hielt den Preis. Vor solchen Richtern erschien Aetion 4) mit seiner Ver-
mählung Alexanders und der Roxane: derjenige Vorsitzer, welcher den
Ausspruch that, hieß Proxenides, und er gab dem Künstler seine Tochter
zur Ehe. Man sieht, daß ein allgemeiner Ruf auch an andern Orten die
Richter nicht geblendet, dem Verdienste das Recht abzusprechen: denn zu
Samos wurde Parrhasius, in dem Gemälde des Urtheils über die Waffen
des Achilles, dem Timanthes nachgesetzet. Aber die Richter waren nicht
fremde in der Kunst: denn es war eine Zeit in Griechenland, wo die Ju-
gend in den Schulen der Weisheit so wohl, als der Kunst, unterrichtet wur-
de. Daher arbeiteten die Künstler für die Ewigkeit, und die Belohnun-
gen ihrer Werke setzten sie in Stand, ihre Kunst über alle Absichten des
Gewinns und der Vergeltung zu erheben. So malete Polygnotus das
Poecile zu Athen, und, wie es scheinet, auch ein öffentlich Gebäude 5) zu

Delphos.
1) Gedoyn glaubet sich durch diese Meynung von dem großen Haufen abzusondern, und
ein seichter Brittischer Scribent , welcher gleichwohl Rom gesehen, betet jenem nach.
(*) Hist. de Phidias, p. 199.
(**) Nixon's Essay on a Sleeping Cupid, p. 22.
2) Plin. L. 35. c. 35.
3) Strab. L. 8. p. 354. A.
4) Lucian. Herod. c. 5.
5) Plin. L. 35. c. 35.

Von der Kunſt unter den Griechen.
ſpaͤtern Zeiten ſeyn 1). Dieſes war nur zu erwarten von Leuten, die Rom
im Traume, oder, wie junge Reiſende, in einem Monate, geſehen.

Die Ehre und das Gluͤck des Kuͤnſtlers hiengen nicht von dem Ei-
genſinne eines unwiſſenden Stolzes ab, und ihre Werke waren nicht nach
dem elenden Geſchmacke, oder nach dem uͤbel geſchaffenen Auge eines durch
die Schmeicheley und Knechtſchaft aufgeworfenen Richters, gebildet, ſon-
dern die weiſeſten des ganzen Volks urtheileten und belohneten ſie, und ihre
Werke, in der Verſammlung aller Griechen, und zu Delphos 2) und zu
Corinth waren Wettſpiele der Malerey unter beſondern dazu beſtellten Rich-
tern, welche zur Zeit des Phidias angeordnet wurden. Hier wurde zuerſt
Panaͤus, der Bruder, oder, wie andere wollen 3), der Schweſter Sohn
des Phidias, mit dem Timagoras von Chalcis, gerichtet, und der letzte er-
hielt den Preis. Vor ſolchen Richtern erſchien Aetion 4) mit ſeiner Ver-
maͤhlung Alexanders und der Roxane: derjenige Vorſitzer, welcher den
Ausſpruch that, hieß Proxenides, und er gab dem Kuͤnſtler ſeine Tochter
zur Ehe. Man ſieht, daß ein allgemeiner Ruf auch an andern Orten die
Richter nicht geblendet, dem Verdienſte das Recht abzuſprechen: denn zu
Samos wurde Parrhaſius, in dem Gemaͤlde des Urtheils uͤber die Waffen
des Achilles, dem Timanthes nachgeſetzet. Aber die Richter waren nicht
fremde in der Kunſt: denn es war eine Zeit in Griechenland, wo die Ju-
gend in den Schulen der Weisheit ſo wohl, als der Kunſt, unterrichtet wur-
de. Daher arbeiteten die Kuͤnſtler fuͤr die Ewigkeit, und die Belohnun-
gen ihrer Werke ſetzten ſie in Stand, ihre Kunſt uͤber alle Abſichten des
Gewinns und der Vergeltung zu erheben. So malete Polygnotus das
Poecile zu Athen, und, wie es ſcheinet, auch ein oͤffentlich Gebaͤude 5) zu

Delphos.
1) Gedoyn glaubet ſich durch dieſe Meynung von dem großen Haufen abzuſondern, und
ein ſeichter Brittiſcher Scribent , welcher gleichwohl Rom geſehen, betet jenem nach.
(*) Hiſt. de Phidias, p. 199.
(**) Nixon’s Eſſay on a Sleeping Cupid, p. 22.
2) Plin. L. 35. c. 35.
3) Strab. L. 8. p. 354. A.
4) Lucian. Herod. c. 5.
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[135/0185] Von der Kunſt unter den Griechen. ſpaͤtern Zeiten ſeyn 1). Dieſes war nur zu erwarten von Leuten, die Rom im Traume, oder, wie junge Reiſende, in einem Monate, geſehen. Die Ehre und das Gluͤck des Kuͤnſtlers hiengen nicht von dem Ei- genſinne eines unwiſſenden Stolzes ab, und ihre Werke waren nicht nach dem elenden Geſchmacke, oder nach dem uͤbel geſchaffenen Auge eines durch die Schmeicheley und Knechtſchaft aufgeworfenen Richters, gebildet, ſon- dern die weiſeſten des ganzen Volks urtheileten und belohneten ſie, und ihre Werke, in der Verſammlung aller Griechen, und zu Delphos 2) und zu Corinth waren Wettſpiele der Malerey unter beſondern dazu beſtellten Rich- tern, welche zur Zeit des Phidias angeordnet wurden. Hier wurde zuerſt Panaͤus, der Bruder, oder, wie andere wollen 3), der Schweſter Sohn des Phidias, mit dem Timagoras von Chalcis, gerichtet, und der letzte er- hielt den Preis. Vor ſolchen Richtern erſchien Aetion 4) mit ſeiner Ver- maͤhlung Alexanders und der Roxane: derjenige Vorſitzer, welcher den Ausſpruch that, hieß Proxenides, und er gab dem Kuͤnſtler ſeine Tochter zur Ehe. Man ſieht, daß ein allgemeiner Ruf auch an andern Orten die Richter nicht geblendet, dem Verdienſte das Recht abzuſprechen: denn zu Samos wurde Parrhaſius, in dem Gemaͤlde des Urtheils uͤber die Waffen des Achilles, dem Timanthes nachgeſetzet. Aber die Richter waren nicht fremde in der Kunſt: denn es war eine Zeit in Griechenland, wo die Ju- gend in den Schulen der Weisheit ſo wohl, als der Kunſt, unterrichtet wur- de. Daher arbeiteten die Kuͤnſtler fuͤr die Ewigkeit, und die Belohnun- gen ihrer Werke ſetzten ſie in Stand, ihre Kunſt uͤber alle Abſichten des Gewinns und der Vergeltung zu erheben. So malete Polygnotus das Poecile zu Athen, und, wie es ſcheinet, auch ein oͤffentlich Gebaͤude 5) zu Delphos. 1) Gedoyn glaubet ſich durch dieſe Meynung von dem großen Haufen abzuſondern, und ein ſeichter Brittiſcher Scribent , welcher gleichwohl Rom geſehen, betet jenem nach. ⁽*⁾ Hiſt. de Phidias, p. 199. ⁽**⁾ Nixon’s Eſſay on a Sleeping Cupid, p. 22. 2) Plin. L. 35. c. 35. 3) Strab. L. 8. p. 354. A. 4) Lucian. Herod. c. 5. 5) Plin. L. 35. c. 35.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/185>, abgerufen am 04.12.2024.