großen Schritt zu ihrer Vollkommenheit machte, in mächtigen Worten und starken Ausdrücken, von großem Gewichte, wodurch Aeschylus seinen Personen Erhabenheit, und der Wahrscheinlichkeit ihre Fülle gab.
Was insbesondere die Ausarbeitung der Werke der Bildhauerey aus dieser Zeit betrifft, von welchen sich in Rom nichts erhalten hat, so sind dieselben vermuthlich mit dem mühsamsten Fleiße geendiget gewesen, wie sich aus einigen angeführten Hetrurischen Werken, und aus sehr vielen der ältesten geschnittenen Steine, schließen läßt. Man könnte dieses auch aus den Stuffen des Wachsthums der Kunst in neuern Zeiten muthmaßen. Die nächsten Vorgänger der größten Männer in der Malerey haben ihre Werke mit unglaublicher Geduld geendiget, und zum Theil durch Ausfüh- rung der allerkleinsten Sachen, über ihre Gemälde, denen sie die Groß- heit nicht geben konnten, einen Glanz auszubreiten gesuchet; ja die größten Künstler, Michael Angelo und Raphael, haben gearbeitet, wie ein Brit- tischer Dichter lehret 1): "Entwirf mit Feuer, und führe mit Phlegma aus."
Man merke zu Ende der Betrachtung über diesen ersten Stil, das unwissende Urtheil eines Französischen Malers über die Kunst, welcher setzet 2), man nenne alle Werke Antiquen, von der Zeit Alexanders des Großen bis auf den Phocas: die Zeit, von welcher er anrechnet, ist so we- nig richtig, als diejenige, mit welcher er endiget. Wir sehen aus dem vo- rigen, und es wird sich im folgenden zeigen, daß noch itzo ältere Werke, als von Alexanders Zeiten sind; das Alter in der Kunst aber höret auf vor dem Constantin. Eben so haben diejenigen, welche mit dem P. Mont- faucon glauben 3), daß sich keine Werke Griechischer Bildhauer erhalten haben, als von der Zeit an, da die Griechen unter die Römer kamen, viel Unterricht nöthig.
Endlich
1)Roscommon's Essay on Poetry.
2)des Piles Rem. sur l'Art. de peint. de Fresnoy. p. 105.
3)Ant. expl. T. 3. P. 2. p. 6. §. 5.
Von der Kunſt unter den Griechen.
großen Schritt zu ihrer Vollkommenheit machte, in maͤchtigen Worten und ſtarken Ausdruͤcken, von großem Gewichte, wodurch Aeſchylus ſeinen Perſonen Erhabenheit, und der Wahrſcheinlichkeit ihre Fuͤlle gab.
Was insbeſondere die Ausarbeitung der Werke der Bildhauerey aus dieſer Zeit betrifft, von welchen ſich in Rom nichts erhalten hat, ſo ſind dieſelben vermuthlich mit dem muͤhſamſten Fleiße geendiget geweſen, wie ſich aus einigen angefuͤhrten Hetruriſchen Werken, und aus ſehr vielen der aͤlteſten geſchnittenen Steine, ſchließen laͤßt. Man koͤnnte dieſes auch aus den Stuffen des Wachsthums der Kunſt in neuern Zeiten muthmaßen. Die naͤchſten Vorgaͤnger der groͤßten Maͤnner in der Malerey haben ihre Werke mit unglaublicher Geduld geendiget, und zum Theil durch Ausfuͤh- rung der allerkleinſten Sachen, uͤber ihre Gemaͤlde, denen ſie die Groß- heit nicht geben konnten, einen Glanz auszubreiten geſuchet; ja die groͤßten Kuͤnſtler, Michael Angelo und Raphael, haben gearbeitet, wie ein Brit- tiſcher Dichter lehret 1): „Entwirf mit Feuer, und fuͤhre mit Phlegma aus.„
Man merke zu Ende der Betrachtung uͤber dieſen erſten Stil, das unwiſſende Urtheil eines Franzoͤſiſchen Malers uͤber die Kunſt, welcher ſetzet 2), man nenne alle Werke Antiquen, von der Zeit Alexanders des Großen bis auf den Phocas: die Zeit, von welcher er anrechnet, iſt ſo we- nig richtig, als diejenige, mit welcher er endiget. Wir ſehen aus dem vo- rigen, und es wird ſich im folgenden zeigen, daß noch itzo aͤltere Werke, als von Alexanders Zeiten ſind; das Alter in der Kunſt aber hoͤret auf vor dem Conſtantin. Eben ſo haben diejenigen, welche mit dem P. Mont- faucon glauben 3), daß ſich keine Werke Griechiſcher Bildhauer erhalten haben, als von der Zeit an, da die Griechen unter die Roͤmer kamen, viel Unterricht noͤthig.
Endlich
1)Roſcommon’s Eſſay on Poetry.
2)des Piles Rem. ſur l’Art. de peint. de Fresnoy. p. 105.
3)Ant. expl. T. 3. P. 2. p. 6. §. 5.
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Von der Kunſt unter den Griechen.
großen Schritt zu ihrer Vollkommenheit machte, in maͤchtigen Worten
und ſtarken Ausdruͤcken, von großem Gewichte, wodurch Aeſchylus ſeinen
Perſonen Erhabenheit, und der Wahrſcheinlichkeit ihre Fuͤlle gab.
Was insbeſondere die Ausarbeitung der Werke der Bildhauerey aus
dieſer Zeit betrifft, von welchen ſich in Rom nichts erhalten hat, ſo ſind
dieſelben vermuthlich mit dem muͤhſamſten Fleiße geendiget geweſen, wie
ſich aus einigen angefuͤhrten Hetruriſchen Werken, und aus ſehr vielen
der aͤlteſten geſchnittenen Steine, ſchließen laͤßt. Man koͤnnte dieſes auch
aus den Stuffen des Wachsthums der Kunſt in neuern Zeiten muthmaßen.
Die naͤchſten Vorgaͤnger der groͤßten Maͤnner in der Malerey haben ihre
Werke mit unglaublicher Geduld geendiget, und zum Theil durch Ausfuͤh-
rung der allerkleinſten Sachen, uͤber ihre Gemaͤlde, denen ſie die Groß-
heit nicht geben konnten, einen Glanz auszubreiten geſuchet; ja die groͤßten
Kuͤnſtler, Michael Angelo und Raphael, haben gearbeitet, wie ein Brit-
tiſcher Dichter lehret 1): „Entwirf mit Feuer, und fuͤhre mit Phlegma aus.„
Man merke zu Ende der Betrachtung uͤber dieſen erſten Stil, das
unwiſſende Urtheil eines Franzoͤſiſchen Malers uͤber die Kunſt, welcher
ſetzet 2), man nenne alle Werke Antiquen, von der Zeit Alexanders des
Großen bis auf den Phocas: die Zeit, von welcher er anrechnet, iſt ſo we-
nig richtig, als diejenige, mit welcher er endiget. Wir ſehen aus dem vo-
rigen, und es wird ſich im folgenden zeigen, daß noch itzo aͤltere Werke,
als von Alexanders Zeiten ſind; das Alter in der Kunſt aber hoͤret auf
vor dem Conſtantin. Eben ſo haben diejenigen, welche mit dem P. Mont-
faucon glauben 3), daß ſich keine Werke Griechiſcher Bildhauer erhalten
haben, als von der Zeit an, da die Griechen unter die Roͤmer kamen, viel
Unterricht noͤthig.
Endlich
1) Roſcommon’s Eſſay on Poetry.
2) des Piles Rem. ſur l’Art. de peint. de Fresnoy. p. 105.
3) Ant. expl. T. 3. P. 2. p. 6. §. 5.
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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/273>, abgerufen am 16.07.2024.
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