Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.I Theil. Viertes Capitel. "dene Weise geschehen; aber ein stilles weises Wesen kann we-"der leicht nachgeahmet, noch das nachgeahmte leicht begriffen "werden." Mit solchen strengen Begriffen der Schönheit fing die Kunst an, wie Aber die Gratie, welche, wie die Musen 1), nur in zween Namen 2) sich 1) conf. Liceti Resp. de quaesit. per epist. p. 66. 2) Pausan. L. 9. p. 780. l. 13. L. 2. p. 254. l. 28. conf. Eurip. Iphig. Aul. v. 548. 3) Hom. hymn. in Ven. v. 95.
I Theil. Viertes Capitel. „dene Weiſe geſchehen; aber ein ſtilles weiſes Weſen kann we-„der leicht nachgeahmet, noch das nachgeahmte leicht begriffen „werden.„ Mit ſolchen ſtrengen Begriffen der Schoͤnheit fing die Kunſt an, wie Aber die Gratie, welche, wie die Muſen 1), nur in zween Namen 2) ſich 1) conf. Liceti Reſp. de quæſit. per epiſt. p. 66. 2) Pauſan. L. 9. p. 780. l. 13. L. 2. p. 254. l. 28. conf. Eurip. Iphig. Aul. v. 548. 3) Hom. hymn. in Ven. v. 95.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <pb facs="#f0280" n="230"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I</hi> Theil. Viertes Capitel.</hi> </fw><lb/> <hi rendition="#fr">„dene Weiſe geſchehen; aber ein ſtilles weiſes Weſen kann we-<lb/> „der leicht nachgeahmet, noch das nachgeahmte leicht begriffen<lb/> „werden.„</hi> </p><lb/> <p>Mit ſolchen ſtrengen Begriffen der Schoͤnheit fing die Kunſt an, wie<lb/> wohl eingerichtete Staaten mit ſtrengen Geſetzen, groß zu werden. Die<lb/> naͤchſten Nachfolger der großen Geſetzgeber in der Kunſt, verfuhren nicht,<lb/> wie Solon mit den Geſetzen des Draco; ſie giengen nicht von jenen ab:<lb/> ſondern, wie die richtigſten Geſetze durch eine gemaͤßigte Erklaͤrung brauch-<lb/> barer und annehmlicher werden, ſo ſuchten dieſe die hohen Schoͤnheiten,<lb/> die an Statuen ihrer großen Meiſter wie von der Natur abſtracte Ideen,<lb/> und nach einem Lehrgebaͤude gebildete Formen waren, naͤher zur Natur zu<lb/> fuͤhren, und eben dadurch erhielten ſie eine groͤßere Mannigfaltigkeit. In<lb/> dieſem Verſtande iſt die Gratie zu nehmen, welche die Meiſter des ſchoͤnen<lb/> Stils in ihre Werke geleget haben.</p><lb/> <p>Aber die Gratie, welche, wie die Muſen <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">conf. Liceti Reſp. de quæſit. per epiſt. p.</hi> 66.</note>, nur in zween Namen <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Pauſan. L. 9. p. 780. l. 13. L. 2. p. 254. l. 28. conf. Eurip. Iphig. Aul. v.</hi> 548.</note><lb/> bey den aͤlteſten Griechen verehret wurde, ſcheinet, wie die Venus, deren Ge-<lb/> ſpielen jene ſind, von verſchiedener Natur zu ſeyn. Die eine iſt, wie die himm-<lb/> liſche Venus, von hoͤherer Geburt, und von der Harmonie gebildet, und iſt<lb/> beſtaͤndig und unveraͤnderlich, wie die ewigen Geſetze von dieſer ſind. Die<lb/> zwote Gratie iſt, wie die Venus von der Dione geboren, mehr der Ma-<lb/> terie unterworfen: ſie iſt eine Tochter der Zeit, und nur eine Gefolginn<lb/> der erſten, welche ſie ankuͤndiget fuͤr diejenigen die der himmliſchen Gratie<lb/> nicht geweihet ſind. Dieſe laͤßt ſich herunter von ihrer Hoheit, und macht<lb/> ſich mit Mildigkeit, ohne Erniedrigung, denen, die ein Auge auf dieſelbe<lb/> werfen, theilhaftig: ſie iſt nicht begierig zu gefallen, ſondern nicht uner-<lb/> kannt zu bleiben. Jene Gratie aber, eine Geſellinn aller Goͤtter <note place="foot" n="3)"><hi rendition="#aq">Hom. hymn. in Ven. v.</hi> 95.</note>, ſcheinet<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſich</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [230/0280]
I Theil. Viertes Capitel.
„dene Weiſe geſchehen; aber ein ſtilles weiſes Weſen kann we-
„der leicht nachgeahmet, noch das nachgeahmte leicht begriffen
„werden.„
Mit ſolchen ſtrengen Begriffen der Schoͤnheit fing die Kunſt an, wie
wohl eingerichtete Staaten mit ſtrengen Geſetzen, groß zu werden. Die
naͤchſten Nachfolger der großen Geſetzgeber in der Kunſt, verfuhren nicht,
wie Solon mit den Geſetzen des Draco; ſie giengen nicht von jenen ab:
ſondern, wie die richtigſten Geſetze durch eine gemaͤßigte Erklaͤrung brauch-
barer und annehmlicher werden, ſo ſuchten dieſe die hohen Schoͤnheiten,
die an Statuen ihrer großen Meiſter wie von der Natur abſtracte Ideen,
und nach einem Lehrgebaͤude gebildete Formen waren, naͤher zur Natur zu
fuͤhren, und eben dadurch erhielten ſie eine groͤßere Mannigfaltigkeit. In
dieſem Verſtande iſt die Gratie zu nehmen, welche die Meiſter des ſchoͤnen
Stils in ihre Werke geleget haben.
Aber die Gratie, welche, wie die Muſen 1), nur in zween Namen 2)
bey den aͤlteſten Griechen verehret wurde, ſcheinet, wie die Venus, deren Ge-
ſpielen jene ſind, von verſchiedener Natur zu ſeyn. Die eine iſt, wie die himm-
liſche Venus, von hoͤherer Geburt, und von der Harmonie gebildet, und iſt
beſtaͤndig und unveraͤnderlich, wie die ewigen Geſetze von dieſer ſind. Die
zwote Gratie iſt, wie die Venus von der Dione geboren, mehr der Ma-
terie unterworfen: ſie iſt eine Tochter der Zeit, und nur eine Gefolginn
der erſten, welche ſie ankuͤndiget fuͤr diejenigen die der himmliſchen Gratie
nicht geweihet ſind. Dieſe laͤßt ſich herunter von ihrer Hoheit, und macht
ſich mit Mildigkeit, ohne Erniedrigung, denen, die ein Auge auf dieſelbe
werfen, theilhaftig: ſie iſt nicht begierig zu gefallen, ſondern nicht uner-
kannt zu bleiben. Jene Gratie aber, eine Geſellinn aller Goͤtter 3), ſcheinet
ſich
1) conf. Liceti Reſp. de quæſit. per epiſt. p. 66.
2) Pauſan. L. 9. p. 780. l. 13. L. 2. p. 254. l. 28. conf. Eurip. Iphig. Aul. v. 548.
3) Hom. hymn. in Ven. v. 95.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |