Dieser schöne Stil der Griechischen Kunst hat noch eine geraume Zeit nach Alexander dem Großen in verschiedenen Künstlern, die bekannt sind, geblühet, und man kann dieses auch aus Werken in Marmor, welche im zweyten Theile angeführet werden, ingleichen aus Münzen, schließen.
Da nun die Verhältnisse und die Formen der Schönheit von denIV. Der Stil der Nachahmer, und die Abnah- me und Fall der Kunst, angefangen Künstlern des Alterthums auf das höchste ausstudiret, und die Umrisse der Figuren so bestimmt waren, daß man ohne Fehler weder herausgehen, noch hinein lenken konnte, so war der Begriff der Schönheit nicht höher zu treiben. Es mußte also die Kunst, in welcher, wie in allen Wirkungen der Natur, kein fester Punct zu denken ist, da sie nicht weiter hinausgieng,A. Durch die Nachahmung. zurück gehen. Die Vorstellungen der Götter und Helden waren in allen möglichen Arten und Stellungen gebildet, und es wurde schwer, neue zu erdenken, wodurch also der Nachahmung der Weg geöffnet wurde. Diese schränket den Geist ein, und wenn es nicht möglich schien, einen Praxite- les und Apelles zu übertreffen, so wurde es schwer, dieselben zu erreichen, und der Nachahmer ist allezeit unter dem Nachgeahmten geblieben. Es wird auch der Kunst, wie der Weltweisheit, ergangen seyn, daß, so wie hier, also auch unter den Künstlern Eclectici oder Sammler aufstunden, die, aus Mangel eigener Kräfte, das einzelne Schöne aus vielen in eins zu ver- einigen sucheten. Aber so wie die Eclectici nur als Copisten von Weltweisen besonderer Schulen anzusehen sind, und wenig oder nichts ursprüngliches hervorgebracht haben, so war auch in der Kunst, wenn man eben den Weg nahm, nichts ganzes, eigenes und übereinstimmendes zu erwarten; und wie durch Auszüge aus großen Schriften der Alten, diese verloren giengen, so werden durch die Werke der Sammler in der Kunst, die großen ursprünglichen Werke vernachläßiget worden seyn. Die Nachahmung beförderte den Mangel eigener Wissenschaft, wodurch die Zeichnung furcht- sam wurde, und was der Wissenschaft abgieng, suchte man durch FleißB. Durch Fleiß in Nebendin- gen. zu ersetzen, welcher sich nach und nach in Kleinigkeiten zeigete, die in
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Von der Kunſt unter den Griechen.
Dieſer ſchoͤne Stil der Griechiſchen Kunſt hat noch eine geraume Zeit nach Alexander dem Großen in verſchiedenen Kuͤnſtlern, die bekannt ſind, gebluͤhet, und man kann dieſes auch aus Werken in Marmor, welche im zweyten Theile angefuͤhret werden, ingleichen aus Muͤnzen, ſchließen.
Da nun die Verhaͤltniſſe und die Formen der Schoͤnheit von denIV. Der Stil der Nachahmer, und die Abnah- me und Fall der Kunſt, angefangen Kuͤnſtlern des Alterthums auf das hoͤchſte ausſtudiret, und die Umriſſe der Figuren ſo beſtimmt waren, daß man ohne Fehler weder herausgehen, noch hinein lenken konnte, ſo war der Begriff der Schoͤnheit nicht hoͤher zu treiben. Es mußte alſo die Kunſt, in welcher, wie in allen Wirkungen der Natur, kein feſter Punct zu denken iſt, da ſie nicht weiter hinausgieng,A. Durch die Nachahmung. zuruͤck gehen. Die Vorſtellungen der Goͤtter und Helden waren in allen moͤglichen Arten und Stellungen gebildet, und es wurde ſchwer, neue zu erdenken, wodurch alſo der Nachahmung der Weg geoͤffnet wurde. Dieſe ſchraͤnket den Geiſt ein, und wenn es nicht moͤglich ſchien, einen Praxite- les und Apelles zu uͤbertreffen, ſo wurde es ſchwer, dieſelben zu erreichen, und der Nachahmer iſt allezeit unter dem Nachgeahmten geblieben. Es wird auch der Kunſt, wie der Weltweisheit, ergangen ſeyn, daß, ſo wie hier, alſo auch unter den Kuͤnſtlern Eclectici oder Sammler aufſtunden, die, aus Mangel eigener Kraͤfte, das einzelne Schoͤne aus vielen in eins zu ver- einigen ſucheten. Aber ſo wie die Eclectici nur als Copiſten von Weltweiſen beſonderer Schulen anzuſehen ſind, und wenig oder nichts urſpruͤngliches hervorgebracht haben, ſo war auch in der Kunſt, wenn man eben den Weg nahm, nichts ganzes, eigenes und uͤbereinſtimmendes zu erwarten; und wie durch Auszuͤge aus großen Schriften der Alten, dieſe verloren giengen, ſo werden durch die Werke der Sammler in der Kunſt, die großen urſpruͤnglichen Werke vernachlaͤßiget worden ſeyn. Die Nachahmung befoͤrderte den Mangel eigener Wiſſenſchaft, wodurch die Zeichnung furcht- ſam wurde, und was der Wiſſenſchaft abgieng, ſuchte man durch FleißB. Durch Fleiß in Nebendin- gen. zu erſetzen, welcher ſich nach und nach in Kleinigkeiten zeigete, die in
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Von der Kunſt unter den Griechen.
Dieſer ſchoͤne Stil der Griechiſchen Kunſt hat noch eine geraume
Zeit nach Alexander dem Großen in verſchiedenen Kuͤnſtlern, die bekannt
ſind, gebluͤhet, und man kann dieſes auch aus Werken in Marmor, welche
im zweyten Theile angefuͤhret werden, ingleichen aus Muͤnzen, ſchließen.
Da nun die Verhaͤltniſſe und die Formen der Schoͤnheit von den
Kuͤnſtlern des Alterthums auf das hoͤchſte ausſtudiret, und die Umriſſe
der Figuren ſo beſtimmt waren, daß man ohne Fehler weder herausgehen,
noch hinein lenken konnte, ſo war der Begriff der Schoͤnheit nicht hoͤher zu
treiben. Es mußte alſo die Kunſt, in welcher, wie in allen Wirkungen
der Natur, kein feſter Punct zu denken iſt, da ſie nicht weiter hinausgieng,
zuruͤck gehen. Die Vorſtellungen der Goͤtter und Helden waren in allen
moͤglichen Arten und Stellungen gebildet, und es wurde ſchwer, neue zu
erdenken, wodurch alſo der Nachahmung der Weg geoͤffnet wurde. Dieſe
ſchraͤnket den Geiſt ein, und wenn es nicht moͤglich ſchien, einen Praxite-
les und Apelles zu uͤbertreffen, ſo wurde es ſchwer, dieſelben zu erreichen,
und der Nachahmer iſt allezeit unter dem Nachgeahmten geblieben. Es wird
auch der Kunſt, wie der Weltweisheit, ergangen ſeyn, daß, ſo wie hier,
alſo auch unter den Kuͤnſtlern Eclectici oder Sammler aufſtunden, die, aus
Mangel eigener Kraͤfte, das einzelne Schoͤne aus vielen in eins zu ver-
einigen ſucheten. Aber ſo wie die Eclectici nur als Copiſten von
Weltweiſen beſonderer Schulen anzuſehen ſind, und wenig oder nichts
urſpruͤngliches hervorgebracht haben, ſo war auch in der Kunſt, wenn man
eben den Weg nahm, nichts ganzes, eigenes und uͤbereinſtimmendes zu
erwarten; und wie durch Auszuͤge aus großen Schriften der Alten, dieſe
verloren giengen, ſo werden durch die Werke der Sammler in der Kunſt, die
großen urſpruͤnglichen Werke vernachlaͤßiget worden ſeyn. Die Nachahmung
befoͤrderte den Mangel eigener Wiſſenſchaft, wodurch die Zeichnung furcht-
ſam wurde, und was der Wiſſenſchaft abgieng, ſuchte man durch Fleiß
zu erſetzen, welcher ſich nach und nach in Kleinigkeiten zeigete, die in
den
IV.
Der Stil der
Nachahmer,
und die Abnah-
me und Fall
der Kunſt,
angefangen
A.
Durch die
Nachahmung.
B.
Durch Fleiß
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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/285>, abgerufen am 16.07.2024.
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