Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.I Theil. Viertes Capitel. den blühenden Zeiten der Kunst übergangen, und dem großen Stile nachthei-lig geachtet worden sind. Hier gilt, was Quintilianus sagt 1), daß viele Künst- ler besser, als Phidias, die Zierrathen an seinem Jupiter würden gearbeitet haben. Es wurden daher durch die Bemühung, alle vermeynte Härte zu vermeiden, und alles weich und sanft zu machen, die Theile, welche von den vorigen Künstlern mächtig angedeutet waren, runder, aber stumpf, lieblicher, aber unbedeutender. Auf eben diesem Wege ist zu allen Zeiten auch das Verderbniß in der Schreibart eingeschlichen, und die Music verließ das Männliche 2), und verfiel, wie die Kunst, in das Wei- bische; in dem Gekünstelten verlieret sich oft das Gute eben dadurch, weil man immer das Bessere will. Die Künstler fiengen nicht lange vor und unter den Kaisern an, in so 1) Instit. Orat. L. 2. c. 3. 2) Plutarch. de Mus. p. 2081. l. 22. 3) Die Inschrift ist: APOALONIOS ARKhIOU AThENAIOS EPOESE;
nicht ARKhEOU, wie Bayardi a) gelesen hat, auch nicht EPOIESE, wie Martorelli b) liest. Der erste hält EPOESE, welches EPOIESE heißen sollte, für eine sehr alte Schreibart, welches aber nur in so ferne wahr ist, als es eine Form, von einem alten Aeolischen Verbo poeo c) genommen, ist. Es findet sich unterdessen dieses Verbum bey einigen Dichtern d), und eben wie oben gesetzet, in der Inschrift der Mediceischen Venus, und in einer Inschrift in der Capelle des Pontanus zu Neapel e), welche unstreitig von später Zeit ist. Ferner habe ich dieses Wort I Theil. Viertes Capitel. den bluͤhenden Zeiten der Kunſt uͤbergangen, und dem großen Stile nachthei-lig geachtet worden ſind. Hier gilt, was Quintilianus ſagt 1), daß viele Kuͤnſt- ler beſſer, als Phidias, die Zierrathen an ſeinem Jupiter wuͤrden gearbeitet haben. Es wurden daher durch die Bemuͤhung, alle vermeynte Haͤrte zu vermeiden, und alles weich und ſanft zu machen, die Theile, welche von den vorigen Kuͤnſtlern maͤchtig angedeutet waren, runder, aber ſtumpf, lieblicher, aber unbedeutender. Auf eben dieſem Wege iſt zu allen Zeiten auch das Verderbniß in der Schreibart eingeſchlichen, und die Muſic verließ das Maͤnnliche 2), und verfiel, wie die Kunſt, in das Wei- biſche; in dem Gekuͤnſtelten verlieret ſich oft das Gute eben dadurch, weil man immer das Beſſere will. Die Kuͤnſtler fiengen nicht lange vor und unter den Kaiſern an, in ſo 1) Inſtit. Orat. L. 2. c. 3. 2) Plutarch. de Muſ. p. 2081. l. 22. 3) Die Inſchrift iſt: ΑΠΟΑΛΩΝΙΟΣ ΑΡΧΙΟϒ ΑΘΗΝΑΙΟΣ ΕΠΟΗΣΕ;
nicht ΑΡΧΗΟϒ, wie Bayardi a) geleſen hat, auch nicht ΕΠΟΙΗΣΕ, wie Martorelli b) lieſt. Der erſte haͤlt ΕΠΟΗΣΕ, welches ΕΠΟΙΗΣΕ heißen ſollte, fuͤr eine ſehr alte Schreibart, welches aber nur in ſo ferne wahr iſt, als es eine Form, von einem alten Aeoliſchen Verbo ποέω c) genommen, iſt. Es findet ſich unterdeſſen dieſes Verbum bey einigen Dichtern d), und eben wie oben geſetzet, in der Inſchrift der Mediceiſchen Venus, und in einer Inſchrift in der Capelle des Pontanus zu Neapel e), welche unſtreitig von ſpaͤter Zeit iſt. Ferner habe ich dieſes Wort <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0286" n="236"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I</hi> Theil. Viertes Capitel.</hi></fw><lb/> den bluͤhenden Zeiten der Kunſt uͤbergangen, und dem großen Stile nachthei-<lb/> lig geachtet worden ſind. Hier gilt, was Quintilianus ſagt <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Inſtit. Orat. L. 2. c.</hi> 3.</note>, daß viele Kuͤnſt-<lb/> ler beſſer, als Phidias, die Zierrathen an ſeinem Jupiter wuͤrden gearbeitet<lb/> haben. Es wurden daher durch die Bemuͤhung, alle vermeynte Haͤrte zu<lb/> vermeiden, und alles weich und ſanft zu machen, die Theile, welche<lb/> von den vorigen Kuͤnſtlern maͤchtig angedeutet waren, runder, aber<lb/> ſtumpf, lieblicher, aber unbedeutender. Auf eben dieſem Wege iſt zu<lb/> allen Zeiten auch das Verderbniß in der Schreibart eingeſchlichen, und die<lb/> Muſic verließ das Maͤnnliche <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Plutarch. de Muſ. p. 2081. l.</hi> 22.</note>, und verfiel, wie die Kunſt, in das Wei-<lb/> biſche; in dem Gekuͤnſtelten verlieret ſich oft das Gute eben dadurch, weil<lb/> man immer das Beſſere will.</p><lb/> <p>Die Kuͤnſtler fiengen nicht lange vor und unter den Kaiſern an, in<lb/> Marmor ſich ſonderlich auf Ausarbeitung freyhaͤngender Haarlocken zu<lb/> legen, und ſie denteten auch die Haare der Augenbranen an, aber nur an<lb/> Portrait-Koͤpfen, welches vorher in Marmor gar nicht, wohl aber in Erzt<lb/> geſchah. An einem der ſchoͤnſten Koͤpfe eines jungen Menſchen von Erzt,<lb/> in Lebensgroͤße, (welches ein voͤlliges Bruſtbild iſt) in dem Koͤniglichen<lb/> Muſeo zu Portici, welcher einen Held vorzuſtellen ſcheinet, von einem<lb/> Athenienſiſchen Kuͤnſtler, <hi rendition="#fr">Apollonius, des Archias Sohn</hi> <note xml:id="seg2pn_3_1" next="#seg2pn_3_2" place="foot" n="3)">Die Inſchrift iſt: ΑΠΟΑΛΩΝΙΟΣ ΑΡΧΙΟϒ ΑΘΗΝΑΙΟΣ ΕΠΟΗΣΕ;<lb/> nicht ΑΡΧΗΟϒ, wie <hi rendition="#fr">Bayardi</hi> <hi rendition="#aq">a</hi>) geleſen hat, auch nicht ΕΠΟΙΗΣΕ, wie<lb/><hi rendition="#fr">Martorelli</hi> <hi rendition="#aq">b</hi>) lieſt. Der erſte haͤlt ΕΠΟΗΣΕ, welches ΕΠΟΙΗΣΕ heißen<lb/> ſollte, fuͤr eine ſehr alte Schreibart, welches aber nur in ſo ferne wahr iſt, als es<lb/> eine Form, von einem alten Aeoliſchen <hi rendition="#fr">Verbo</hi> ποέω <hi rendition="#aq">c</hi>) genommen, iſt. Es findet ſich<lb/> unterdeſſen dieſes <hi rendition="#fr">Verbum</hi> bey einigen Dichtern <hi rendition="#aq">d</hi>), und eben wie oben geſetzet, in<lb/> der Inſchrift der Mediceiſchen Venus, und in einer Inſchrift in der Capelle des<lb/><hi rendition="#fr">Pontanus</hi> zu Neapel <hi rendition="#aq">e</hi>), welche unſtreitig von ſpaͤter Zeit iſt. Ferner habe ich dieſes<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Wort</fw></note>, gearbei-<lb/> tet, ſind die Augenbranen auf dem ſcharfgefaltenen Augenknochen ſanft<lb/> eingegraben. Dieſes Bruſtbild aber, nebſt dem Weiblichen Bruſtbilde von<lb/> gleicher Groͤße, ſind ohne Zweifel in guter Zeit der Kunſt gemacht. Aber<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſo</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [236/0286]
I Theil. Viertes Capitel.
den bluͤhenden Zeiten der Kunſt uͤbergangen, und dem großen Stile nachthei-
lig geachtet worden ſind. Hier gilt, was Quintilianus ſagt 1), daß viele Kuͤnſt-
ler beſſer, als Phidias, die Zierrathen an ſeinem Jupiter wuͤrden gearbeitet
haben. Es wurden daher durch die Bemuͤhung, alle vermeynte Haͤrte zu
vermeiden, und alles weich und ſanft zu machen, die Theile, welche
von den vorigen Kuͤnſtlern maͤchtig angedeutet waren, runder, aber
ſtumpf, lieblicher, aber unbedeutender. Auf eben dieſem Wege iſt zu
allen Zeiten auch das Verderbniß in der Schreibart eingeſchlichen, und die
Muſic verließ das Maͤnnliche 2), und verfiel, wie die Kunſt, in das Wei-
biſche; in dem Gekuͤnſtelten verlieret ſich oft das Gute eben dadurch, weil
man immer das Beſſere will.
Die Kuͤnſtler fiengen nicht lange vor und unter den Kaiſern an, in
Marmor ſich ſonderlich auf Ausarbeitung freyhaͤngender Haarlocken zu
legen, und ſie denteten auch die Haare der Augenbranen an, aber nur an
Portrait-Koͤpfen, welches vorher in Marmor gar nicht, wohl aber in Erzt
geſchah. An einem der ſchoͤnſten Koͤpfe eines jungen Menſchen von Erzt,
in Lebensgroͤße, (welches ein voͤlliges Bruſtbild iſt) in dem Koͤniglichen
Muſeo zu Portici, welcher einen Held vorzuſtellen ſcheinet, von einem
Athenienſiſchen Kuͤnſtler, Apollonius, des Archias Sohn 3), gearbei-
tet, ſind die Augenbranen auf dem ſcharfgefaltenen Augenknochen ſanft
eingegraben. Dieſes Bruſtbild aber, nebſt dem Weiblichen Bruſtbilde von
gleicher Groͤße, ſind ohne Zweifel in guter Zeit der Kunſt gemacht. Aber
ſo
1) Inſtit. Orat. L. 2. c. 3.
2) Plutarch. de Muſ. p. 2081. l. 22.
3) Die Inſchrift iſt: ΑΠΟΑΛΩΝΙΟΣ ΑΡΧΙΟϒ ΑΘΗΝΑΙΟΣ ΕΠΟΗΣΕ;
nicht ΑΡΧΗΟϒ, wie Bayardi a) geleſen hat, auch nicht ΕΠΟΙΗΣΕ, wie
Martorelli b) lieſt. Der erſte haͤlt ΕΠΟΗΣΕ, welches ΕΠΟΙΗΣΕ heißen
ſollte, fuͤr eine ſehr alte Schreibart, welches aber nur in ſo ferne wahr iſt, als es
eine Form, von einem alten Aeoliſchen Verbo ποέω c) genommen, iſt. Es findet ſich
unterdeſſen dieſes Verbum bey einigen Dichtern d), und eben wie oben geſetzet, in
der Inſchrift der Mediceiſchen Venus, und in einer Inſchrift in der Capelle des
Pontanus zu Neapel e), welche unſtreitig von ſpaͤter Zeit iſt. Ferner habe ich dieſes
Wort
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