Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.Von der Kunst unter den Griechen. Steinen auf die mühsamste Art geglättet worden. Es finden sich abereinige der schönsten Statuen in Marmor, denen die letzte Hand bloß mit dem Eisen, ohne Glätte, gegeben worden, wie die Arbeit am Laocoon, an dem Borghesischen Fechter des Agasias, an dem Centaur in eben der Villa, an dem Marsyas in der Villa Medicis, und an verschiedenen an- dern Figuren zeiget. Am Laocoon sonderlich kann ein aufmerksames Auge entdecken, mit was für meisterhafter Wendung und fertiger Zuversicht das Eisen geführet worden, um nicht die gelehrtesten Züge durch Schleifen zu verlieren. Die äußerste Haut dieser Statuen, welche gegen die geglättete und geschliffene etwas rauchlich scheinet, aber wie ein weicher Sammt gegen einen glänzenden Atlas, ist gleichsam wie die Haut an den Körpern der alten Griechen, die nicht durch beständigen Gebrauch warmer Bäder, wie unter den Römern bey eingerissener Weichlichkeit geschah, aufgelöset, und durch Scha- beeisen glatt gerieben worden, sondern auf welche eine gesunde Ausdünstung, wie die erste Anmeldung zur Bekleidung des Kinns, schwamm 1). Die zween 1) Diese Vergleichungen könnten zum Verständniß des bisher nicht verstandenen Ausdrucks im Dionysius von Halicarnassus a), khnous arkhaiopines, und khnous arkhaiotetos, in Absicht der Schreibart des Plato, und einiger andern gleichbedeutenden Stellen, als z. E. Litterae pepinomenai beym Cicero b), vielleicht mehr Deutlichkeit geben, als die gelehrten und hestigen Streitschriften des Salmasius c) und des P. Peta- vius d) über diesen Ort. Man könnte gedachte Redensart, allgemein genommen, "das sanfte rauchliche und gesalbete des Alterthums" übersetzen. Das Wort khnous nehme man nicht, wie jene, in seiner entfernteren, sondern in seiner ersten und natürlichen Bedeutung, nemlich der sich meldenden Bekleidung des Kinns, und man halte sie zusammen mit meiner Anwendung dieses Bildes auf die bearbeitete Oberhaut des Laocoons, so wird es scheinen, Dionysius habe eben dieses sagen wollen. Har- dion e) welcher diese Stellen nach beyden angeführten streitigen Gelehrten hat er- klären wollen, läßt uns ungewisser, als vorher. Eben dieses Bild giebt das Wort khnous, in welcher es von andern Scribenten angewendet worden, als vom Aristopha- nes f), die wolligte Haut der Aepfel anzuzeigen. a) Epist. ad Cn. Pompej. de Plat. p. 204. l. 7. b) ad Attic. L. 14. ep. 7. c) Not. in Tertul. de Pal. p. 234. seq. Confut. Animadv. Andr. Cercotii, p. 172. 189. d) Andr. Kerkoetii (Petavii) Mastigoph. Part. 3. p. 106. seq. e) Sur une Lettre de Denys d' Halic. au Pompee, p. 128. f) Nub. v. 974. I i 3
Von der Kunſt unter den Griechen. Steinen auf die muͤhſamſte Art geglaͤttet worden. Es finden ſich abereinige der ſchoͤnſten Statuen in Marmor, denen die letzte Hand bloß mit dem Eiſen, ohne Glaͤtte, gegeben worden, wie die Arbeit am Laocoon, an dem Borgheſiſchen Fechter des Agaſias, an dem Centaur in eben der Villa, an dem Marſyas in der Villa Medicis, und an verſchiedenen an- dern Figuren zeiget. Am Laocoon ſonderlich kann ein aufmerkſames Auge entdecken, mit was fuͤr meiſterhafter Wendung und fertiger Zuverſicht das Eiſen gefuͤhret worden, um nicht die gelehrteſten Zuͤge durch Schleifen zu verlieren. Die aͤußerſte Haut dieſer Statuen, welche gegen die geglaͤttete und geſchliffene etwas rauchlich ſcheinet, aber wie ein weicher Sammt gegen einen glaͤnzenden Atlas, iſt gleichſam wie die Haut an den Koͤrpern der alten Griechen, die nicht durch beſtaͤndigen Gebrauch warmer Baͤder, wie unter den Roͤmern bey eingeriſſener Weichlichkeit geſchah, aufgeloͤſet, und durch Scha- beeiſen glatt gerieben worden, ſondern auf welche eine geſunde Ausduͤnſtung, wie die erſte Anmeldung zur Bekleidung des Kinns, ſchwamm 1). Die zween 1) Dieſe Vergleichungen koͤnnten zum Verſtaͤndniß des bisher nicht verſtandenen Ausdrucks im Dionyſius von Halicarnaſſus a), χνοῦς ἀρχαιοπινής, und χνοῦς ἀρχαιότητος, in Abſicht der Schreibart des Plato, und einiger andern gleichbedeutenden Stellen, als z. E. Litterae πεπινωμέναι beym Cicero b), vielleicht mehr Deutlichkeit geben, als die gelehrten und heſtigen Streitſchriften des Salmaſius c) und des P. Peta- vius d) uͤber dieſen Ort. Man koͤnnte gedachte Redensart, allgemein genommen, „das ſanfte rauchliche und geſalbete des Alterthums„ uͤberſetzen. Das Wort χνοῦς nehme man nicht, wie jene, in ſeiner entfernteren, ſondern in ſeiner erſten und natuͤrlichen Bedeutung, nemlich der ſich meldenden Bekleidung des Kinns, und man halte ſie zuſammen mit meiner Anwendung dieſes Bildes auf die bearbeitete Oberhaut des Laocoons, ſo wird es ſcheinen, Dionyſius habe eben dieſes ſagen wollen. Har- dion e) welcher dieſe Stellen nach beyden angefuͤhrten ſtreitigen Gelehrten hat er- klaͤren wollen, laͤßt uns ungewiſſer, als vorher. Eben dieſes Bild giebt das Wort χνοῦς, in welcher es von andern Scribenten angewendet worden, als vom Ariſtopha- nes f), die wolligte Haut der Aepfel anzuzeigen. a) Epiſt. ad Cn. Pompej. de Plat. p. 204. l. 7. b) ad Attic. L. 14. ep. 7. c) Not. in Tertul. de Pal. p. 234. ſeq. Confut. Animadv. Andr. Cercotii, p. 172. 189. d) Andr. Kerkoetii (Petavii) Maſtigoph. Part. 3. p. 106. ſeq. e) Sur une Lettre de Denys d’ Halic. au Pompée, p. 128. f) Nub. v. 974. I i 3
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Von der Kunſt unter den Griechen.
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einige der ſchoͤnſten Statuen in Marmor, denen die letzte Hand bloß mit
dem Eiſen, ohne Glaͤtte, gegeben worden, wie die Arbeit am Laocoon, an
dem Borgheſiſchen Fechter des Agaſias, an dem Centaur in eben der
Villa, an dem Marſyas in der Villa Medicis, und an verſchiedenen an-
dern Figuren zeiget. Am Laocoon ſonderlich kann ein aufmerkſames Auge
entdecken, mit was fuͤr meiſterhafter Wendung und fertiger Zuverſicht das
Eiſen gefuͤhret worden, um nicht die gelehrteſten Zuͤge durch Schleifen zu
verlieren. Die aͤußerſte Haut dieſer Statuen, welche gegen die geglaͤttete
und geſchliffene etwas rauchlich ſcheinet, aber wie ein weicher Sammt gegen
einen glaͤnzenden Atlas, iſt gleichſam wie die Haut an den Koͤrpern der alten
Griechen, die nicht durch beſtaͤndigen Gebrauch warmer Baͤder, wie unter den
Roͤmern bey eingeriſſener Weichlichkeit geſchah, aufgeloͤſet, und durch Scha-
beeiſen glatt gerieben worden, ſondern auf welche eine geſunde Ausduͤnſtung,
wie die erſte Anmeldung zur Bekleidung des Kinns, ſchwamm 1). Die
zween
1) Dieſe Vergleichungen koͤnnten zum Verſtaͤndniß des bisher nicht verſtandenen Ausdrucks
im Dionyſius von Halicarnaſſus a), χνοῦς ἀρχαιοπινής, und χνοῦς ἀρχαιότητος,
in Abſicht der Schreibart des Plato, und einiger andern gleichbedeutenden Stellen,
als z. E. Litterae πεπινωμέναι beym Cicero b), vielleicht mehr Deutlichkeit geben,
als die gelehrten und heſtigen Streitſchriften des Salmaſius c) und des P. Peta-
vius d) uͤber dieſen Ort. Man koͤnnte gedachte Redensart, allgemein genommen,
„das ſanfte rauchliche und geſalbete des Alterthums„ uͤberſetzen. Das Wort
χνοῦς nehme man nicht, wie jene, in ſeiner entfernteren, ſondern in ſeiner erſten und
natuͤrlichen Bedeutung, nemlich der ſich meldenden Bekleidung des Kinns, und man
halte ſie zuſammen mit meiner Anwendung dieſes Bildes auf die bearbeitete Oberhaut
des Laocoons, ſo wird es ſcheinen, Dionyſius habe eben dieſes ſagen wollen. Har-
dion e) welcher dieſe Stellen nach beyden angefuͤhrten ſtreitigen Gelehrten hat er-
klaͤren wollen, laͤßt uns ungewiſſer, als vorher. Eben dieſes Bild giebt das Wort
χνοῦς, in welcher es von andern Scribenten angewendet worden, als vom Ariſtopha-
nes f), die wolligte Haut der Aepfel anzuzeigen.
a) Epiſt. ad Cn. Pompej. de Plat. p. 204. l. 7.
b) ad Attic. L. 14. ep. 7.
c) Not. in Tertul. de Pal. p. 234. ſeq. Confut. Animadv. Andr. Cercotii, p. 172. 189.
d) Andr. Kerkoetii (Petavii) Maſtigoph. Part. 3. p. 106. ſeq.
e) Sur une Lettre de Denys d’ Halic. au Pompée, p. 128.
f) Nub. v. 974.
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