Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Von der Kunst unter den Aegyptern etc.
lich gedauert, bis Aegypten durch den Cambyses erobert wurde, und die
zweyte Zeit, so lange eingebohrne Aegypter, unter der Persischen, und nach-
her unter der Griechischen Regierung, in der Bildhauerey arbeiteten; die
Nachahmungen aber der Aegyptischen Werke sind vermuthlich alle unter
dem Kaiser Hadrian gemachet. In einem jeden von diesen dreyen Absätzen
ist zum ersten von der Zeichnung des Nackenden, und zum zweyten von
der Bekleidung ihrer Figuren zu reden.

In dem ältern Stil hat die Zeichnung des Nackenden deutliche undA.
Der ältere
Stil.

begreifliche Eigenschaften, welche dieselbe nicht allein von der Zeichnung
anderer Völker, sondern auch von dem spätern Stil der Aegypter unter-
scheiden; und diese finden sich und sind zu bestimmen so wohl in dem Um-
kreise, oder in der Umschreibung und dem Conturn des Ganzen der Figur,
als in der Zeichnung und Bildung eines jeden Theils insbesondere. Diea. in der
Zeichnung des
Nackenden.

allgemeine und vornehmste Eigenschaft der Zeichnung in diesem Stil des
Nackenden, ist das Gerade, oder die Umschreibung der Figur in wenigaa. dessen
Eigenschaften
allgemein.

ausschweifenden und mäßig gewölbten Linien. Eben dieser Stil findet sich
in ihrer Baukunst, und in ihren Verzierungen; daher fehlet ihren Figuren
die Gratie (Gottheiten, die den Aegyptern 1) unbekannt waren) und das
Malerische, welches Strabo 2) von ihren Gebäuden saget. Der Stand
der Figuren ist steif und gezwungen; aber parallel dichtzusammen stehende
Füße, wie sie einige alte Scribenten anzuzeigen scheinen, und wie die-
selben an einigen Hetrurischen Figuren sind, hat keine einzige übrig gebliebe-
ne Aegyptische Figur, auch die zwo Colossalischen Statuen ohnweit den
Ruinen von Theben nicht, wie die neuesten und beglaubten Berichte dar-
thun. Die Füße, welche wahrhaftig alt sind, stehen parallel, und nicht
auswerts, aber wie ein geschobenes Parallel-Lineal; einer stehet voraus
vor dem andern. An einer Männlichen Aegyptischen Figur von vierzehen

Palmen
1) Herodot. L. 2. p. 69. l. 12.
2) Geogr. L. 17. p. 806. A.

Von der Kunſt unter den Aegyptern ꝛc.
lich gedauert, bis Aegypten durch den Cambyſes erobert wurde, und die
zweyte Zeit, ſo lange eingebohrne Aegypter, unter der Perſiſchen, und nach-
her unter der Griechiſchen Regierung, in der Bildhauerey arbeiteten; die
Nachahmungen aber der Aegyptiſchen Werke ſind vermuthlich alle unter
dem Kaiſer Hadrian gemachet. In einem jeden von dieſen dreyen Abſaͤtzen
iſt zum erſten von der Zeichnung des Nackenden, und zum zweyten von
der Bekleidung ihrer Figuren zu reden.

In dem aͤltern Stil hat die Zeichnung des Nackenden deutliche undA.
Der aͤltere
Stil.

begreifliche Eigenſchaften, welche dieſelbe nicht allein von der Zeichnung
anderer Voͤlker, ſondern auch von dem ſpaͤtern Stil der Aegypter unter-
ſcheiden; und dieſe finden ſich und ſind zu beſtimmen ſo wohl in dem Um-
kreiſe, oder in der Umſchreibung und dem Conturn des Ganzen der Figur,
als in der Zeichnung und Bildung eines jeden Theils insbeſondere. Diea. in der
Zeichnung des
Nackenden.

allgemeine und vornehmſte Eigenſchaft der Zeichnung in dieſem Stil des
Nackenden, iſt das Gerade, oder die Umſchreibung der Figur in wenigaa. deſſen
Eigenſchaften
allgemein.

ausſchweifenden und maͤßig gewoͤlbten Linien. Eben dieſer Stil findet ſich
in ihrer Baukunſt, und in ihren Verzierungen; daher fehlet ihren Figuren
die Gratie (Gottheiten, die den Aegyptern 1) unbekannt waren) und das
Maleriſche, welches Strabo 2) von ihren Gebaͤuden ſaget. Der Stand
der Figuren iſt ſteif und gezwungen; aber parallel dichtzuſammen ſtehende
Fuͤße, wie ſie einige alte Scribenten anzuzeigen ſcheinen, und wie die-
ſelben an einigen Hetruriſchen Figuren ſind, hat keine einzige uͤbrig gebliebe-
ne Aegyptiſche Figur, auch die zwo Coloſſaliſchen Statuen ohnweit den
Ruinen von Theben nicht, wie die neueſten und beglaubten Berichte dar-
thun. Die Fuͤße, welche wahrhaftig alt ſind, ſtehen parallel, und nicht
auswerts, aber wie ein geſchobenes Parallel-Lineal; einer ſtehet voraus
vor dem andern. An einer Maͤnnlichen Aegyptiſchen Figur von vierzehen

Palmen
1) Herodot. L. 2. p. 69. l. 12.
2) Geogr. L. 17. p. 806. A.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0089" n="39"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von der Kun&#x017F;t unter den Aegyptern &#xA75B;c.</hi></fw><lb/>
lich gedauert, bis Aegypten durch den Camby&#x017F;es erobert wurde, und die<lb/>
zweyte Zeit, &#x017F;o lange eingebohrne Aegypter, unter der Per&#x017F;i&#x017F;chen, und nach-<lb/>
her unter der Griechi&#x017F;chen Regierung, in der Bildhauerey arbeiteten; die<lb/>
Nachahmungen aber der Aegypti&#x017F;chen Werke &#x017F;ind vermuthlich alle unter<lb/>
dem Kai&#x017F;er Hadrian gemachet. In einem jeden von die&#x017F;en dreyen Ab&#x017F;a&#x0364;tzen<lb/>
i&#x017F;t zum er&#x017F;ten von der Zeichnung des Nackenden, und zum zweyten von<lb/>
der Bekleidung ihrer Figuren zu reden.</p><lb/>
              <p>In dem a&#x0364;ltern Stil hat die Zeichnung des Nackenden deutliche und<note place="right"><hi rendition="#aq">A.</hi><lb/>
Der a&#x0364;ltere<lb/>
Stil.</note><lb/>
begreifliche Eigen&#x017F;chaften, welche die&#x017F;elbe nicht allein von der Zeichnung<lb/>
anderer Vo&#x0364;lker, &#x017F;ondern auch von dem &#x017F;pa&#x0364;tern Stil der Aegypter unter-<lb/>
&#x017F;cheiden; und die&#x017F;e finden &#x017F;ich und &#x017F;ind zu be&#x017F;timmen &#x017F;o wohl in dem Um-<lb/>
krei&#x017F;e, oder in der Um&#x017F;chreibung und dem Conturn des Ganzen der Figur,<lb/>
als in der Zeichnung und Bildung eines jeden Theils insbe&#x017F;ondere. Die<note place="right"><hi rendition="#aq">a.</hi> in der<lb/>
Zeichnung des<lb/>
Nackenden.</note><lb/>
allgemeine und vornehm&#x017F;te Eigen&#x017F;chaft der Zeichnung in die&#x017F;em Stil des<lb/>
Nackenden, i&#x017F;t das Gerade, oder die Um&#x017F;chreibung der Figur in wenig<note place="right"><hi rendition="#aq">aa.</hi> de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Eigen&#x017F;chaften<lb/>
allgemein.</note><lb/>
aus&#x017F;chweifenden und ma&#x0364;ßig gewo&#x0364;lbten Linien. Eben die&#x017F;er Stil findet &#x017F;ich<lb/>
in ihrer Baukun&#x017F;t, und in ihren Verzierungen; daher fehlet ihren Figuren<lb/>
die Gratie (Gottheiten, die den Aegyptern <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Herodot. L. 2. p. 69. l.</hi> 12.</note> unbekannt waren) und das<lb/>
Maleri&#x017F;che, welches Strabo <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Geogr. L. 17. p. 806. A.</hi></note> von ihren Geba&#x0364;uden &#x017F;aget. Der Stand<lb/>
der Figuren i&#x017F;t &#x017F;teif und gezwungen; aber parallel dichtzu&#x017F;ammen &#x017F;tehende<lb/>
Fu&#x0364;ße, wie &#x017F;ie einige alte Scribenten anzuzeigen &#x017F;cheinen, und wie die-<lb/>
&#x017F;elben an einigen Hetruri&#x017F;chen Figuren &#x017F;ind, hat keine einzige u&#x0364;brig gebliebe-<lb/>
ne Aegypti&#x017F;che Figur, auch die zwo Colo&#x017F;&#x017F;ali&#x017F;chen Statuen ohnweit den<lb/>
Ruinen von Theben nicht, wie die neue&#x017F;ten und beglaubten Berichte dar-<lb/>
thun. Die Fu&#x0364;ße, welche wahrhaftig alt &#x017F;ind, &#x017F;tehen parallel, und nicht<lb/>
auswerts, aber wie ein ge&#x017F;chobenes Parallel-Lineal; einer &#x017F;tehet voraus<lb/>
vor dem andern. An einer Ma&#x0364;nnlichen Aegypti&#x017F;chen Figur von vierzehen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Palmen</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0089] Von der Kunſt unter den Aegyptern ꝛc. lich gedauert, bis Aegypten durch den Cambyſes erobert wurde, und die zweyte Zeit, ſo lange eingebohrne Aegypter, unter der Perſiſchen, und nach- her unter der Griechiſchen Regierung, in der Bildhauerey arbeiteten; die Nachahmungen aber der Aegyptiſchen Werke ſind vermuthlich alle unter dem Kaiſer Hadrian gemachet. In einem jeden von dieſen dreyen Abſaͤtzen iſt zum erſten von der Zeichnung des Nackenden, und zum zweyten von der Bekleidung ihrer Figuren zu reden. In dem aͤltern Stil hat die Zeichnung des Nackenden deutliche und begreifliche Eigenſchaften, welche dieſelbe nicht allein von der Zeichnung anderer Voͤlker, ſondern auch von dem ſpaͤtern Stil der Aegypter unter- ſcheiden; und dieſe finden ſich und ſind zu beſtimmen ſo wohl in dem Um- kreiſe, oder in der Umſchreibung und dem Conturn des Ganzen der Figur, als in der Zeichnung und Bildung eines jeden Theils insbeſondere. Die allgemeine und vornehmſte Eigenſchaft der Zeichnung in dieſem Stil des Nackenden, iſt das Gerade, oder die Umſchreibung der Figur in wenig ausſchweifenden und maͤßig gewoͤlbten Linien. Eben dieſer Stil findet ſich in ihrer Baukunſt, und in ihren Verzierungen; daher fehlet ihren Figuren die Gratie (Gottheiten, die den Aegyptern 1) unbekannt waren) und das Maleriſche, welches Strabo 2) von ihren Gebaͤuden ſaget. Der Stand der Figuren iſt ſteif und gezwungen; aber parallel dichtzuſammen ſtehende Fuͤße, wie ſie einige alte Scribenten anzuzeigen ſcheinen, und wie die- ſelben an einigen Hetruriſchen Figuren ſind, hat keine einzige uͤbrig gebliebe- ne Aegyptiſche Figur, auch die zwo Coloſſaliſchen Statuen ohnweit den Ruinen von Theben nicht, wie die neueſten und beglaubten Berichte dar- thun. Die Fuͤße, welche wahrhaftig alt ſind, ſtehen parallel, und nicht auswerts, aber wie ein geſchobenes Parallel-Lineal; einer ſtehet voraus vor dem andern. An einer Maͤnnlichen Aegyptiſchen Figur von vierzehen Palmen A. Der aͤltere Stil. a. in der Zeichnung des Nackenden. aa. deſſen Eigenſchaften allgemein. 1) Herodot. L. 2. p. 69. l. 12. 2) Geogr. L. 17. p. 806. A.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/89
Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/89>, abgerufen am 21.11.2024.