Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

der Zeit unter den Griechen betrachtet.
glauben, die Künstler würden sich die acht und zwanzig Jahre hindurch,
welche dieser Krieg gedauert, nicht wohl befunden haben: es starb auch
ihr großer Beförderer, Pericles, im zweyten oder dritten Jahre dieses
Krieges; ob ihn Phidias überlebet, ist nicht bekannt. Gleichwohl wirdb.
Künstler die-
ser Zeit, und
Anführung ei-
niger ihrer
Werke.

die erste Olympias, in welcher der Peloponnesische Krieg seinen Anfang
nahm, für die Zeit angegeben, in welcher die andern großen Künstler, nebst
dem Phidias, Polycletus, Myron, Scopas, Pythagoras und Alcame-
nes, geblühet haben. Das größte und berühmteste Werk des Polycletus
war die Coloßalische Statue der Juno zu Argos, von Elfenbein und Golde,
und das edelste in der Kunst waren zwo Statuen jugendlich-männlicher
Figuren: die eine bekam den Namen Doryphorus, vermuthlich von dem
Spieße, welchen sie führete, und sie war allen folgenden Künstlern eine
Regel in der Proportion, und nach derselben übete sich Lysippus 1); die
andere ist unter dem Namen Diadumenus bekannt, der sich ein Band
umbindet, wie des Phidias Pantarces zu Elis war 2). Man giebt vor,
daß zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts eine Statue mit dem Namen
dieses Künstlers soll zu Florenz gewesen seyn 3). Die Söhne des Polycle-
tus kamen ihrem Vater in der Kunst nicht bey 4). Myron aus Athen,
oder von Eleutheris, im Attischen Gebiete, war mit dem Polycletus aus

eben
1) Cic. de clar. Orat. c. 86.
2) Es ist glaublich, daß diese Statue sehr oft copiret worden, und vielleicht ist eine in der
Villa Farnese wenigstens nach einer Copie des Diadumenus gemacht. Es ist eine
unbekkeidete Figur, etwas unter Lebensgröße, die sich ein Band um die Stirne bindet,
welches als etwas seltenes sich, nebst der Hand, welche das Band fasset, erhalten hat.
Eine ähnliche kleine Figur erhoben gearbeitet, stand noch vor wenig Jahren an einer
kleinen Begräbnißurne in der Villa Sinibaldi, mit der Unterschrift, DIADVMENI:
und auf Marmornen Basen von alten Leuchtern in der Kirche zu St. Agnese außer
Rom, auch in der Villa Borghese auf zwo derselben springen aus zierlich gearbeiteten
Blättern Amorini hervor, welche sich ein Band um die Stirne binden. Eben ein
solches Kind ist auf einem Stücke einer alten Friese in den Händen eines Liebhabers der
Alterthümer zu Rom.
3) Gori Praef. ad T. 3. Inscr. p. XXVII.
4) Plato Protag. p. 290. l. 12. edit. Basil.

der Zeit unter den Griechen betrachtet.
glauben, die Kuͤnſtler wuͤrden ſich die acht und zwanzig Jahre hindurch,
welche dieſer Krieg gedauert, nicht wohl befunden haben: es ſtarb auch
ihr großer Befoͤrderer, Pericles, im zweyten oder dritten Jahre dieſes
Krieges; ob ihn Phidias uͤberlebet, iſt nicht bekannt. Gleichwohl wirdb.
Kuͤnſtler die-
ſer Zeit, und
Anfuͤhrung ei-
niger ihrer
Werke.

die erſte Olympias, in welcher der Peloponneſiſche Krieg ſeinen Anfang
nahm, fuͤr die Zeit angegeben, in welcher die andern großen Kuͤnſtler, nebſt
dem Phidias, Polycletus, Myron, Scopas, Pythagoras und Alcame-
nes, gebluͤhet haben. Das groͤßte und beruͤhmteſte Werk des Polycletus
war die Coloßaliſche Statue der Juno zu Argos, von Elfenbein und Golde,
und das edelſte in der Kunſt waren zwo Statuen jugendlich-maͤnnlicher
Figuren: die eine bekam den Namen Doryphorus, vermuthlich von dem
Spieße, welchen ſie fuͤhrete, und ſie war allen folgenden Kuͤnſtlern eine
Regel in der Proportion, und nach derſelben uͤbete ſich Lyſippus 1); die
andere iſt unter dem Namen Diadumenus bekannt, der ſich ein Band
umbindet, wie des Phidias Pantarces zu Elis war 2). Man giebt vor,
daß zu Anfang des ſechzehnten Jahrhunderts eine Statue mit dem Namen
dieſes Kuͤnſtlers ſoll zu Florenz geweſen ſeyn 3). Die Soͤhne des Polycle-
tus kamen ihrem Vater in der Kunſt nicht bey 4). Myron aus Athen,
oder von Eleutheris, im Attiſchen Gebiete, war mit dem Polycletus aus

eben
1) Cic. de clar. Orat. c. 86.
2) Es iſt glaublich, daß dieſe Statue ſehr oft copiret worden, und vielleicht iſt eine in der
Villa Farneſe wenigſtens nach einer Copie des Diadumenus gemacht. Es iſt eine
unbekkeidete Figur, etwas unter Lebensgroͤße, die ſich ein Band um die Stirne bindet,
welches als etwas ſeltenes ſich, nebſt der Hand, welche das Band faſſet, erhalten hat.
Eine aͤhnliche kleine Figur erhoben gearbeitet, ſtand noch vor wenig Jahren an einer
kleinen Begraͤbnißurne in der Villa Sinibaldi, mit der Unterſchrift, DIADVMENI:
und auf Marmornen Baſen von alten Leuchtern in der Kirche zu St. Agneſe außer
Rom, auch in der Villa Borgheſe auf zwo derſelben ſpringen aus zierlich gearbeiteten
Blaͤttern Amorini hervor, welche ſich ein Band um die Stirne binden. Eben ein
ſolches Kind iſt auf einem Stuͤcke einer alten Frieſe in den Haͤnden eines Liebhabers der
Alterthuͤmer zu Rom.
3) Gori Praef. ad T. 3. Inſcr. p. XXVII.
4) Plato Protag. p. 290. l. 12. edit. Baſil.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0023" n="335"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Zeit unter den Griechen betrachtet.</hi></fw><lb/>
glauben, die Ku&#x0364;n&#x017F;tler wu&#x0364;rden &#x017F;ich die acht und zwanzig Jahre hindurch,<lb/>
welche die&#x017F;er Krieg gedauert, nicht wohl befunden haben: es &#x017F;tarb auch<lb/>
ihr großer Befo&#x0364;rderer, Pericles, im zweyten oder dritten Jahre die&#x017F;es<lb/>
Krieges; ob ihn Phidias u&#x0364;berlebet, i&#x017F;t nicht bekannt. Gleichwohl wird<note place="right"><hi rendition="#aq">b.</hi><lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tler die-<lb/>
&#x017F;er Zeit, und<lb/>
Anfu&#x0364;hrung ei-<lb/>
niger ihrer<lb/>
Werke.</note><lb/>
die er&#x017F;te Olympias, in welcher der Peloponne&#x017F;i&#x017F;che Krieg &#x017F;einen Anfang<lb/>
nahm, fu&#x0364;r die Zeit angegeben, in welcher die andern großen Ku&#x0364;n&#x017F;tler, neb&#x017F;t<lb/>
dem Phidias, Polycletus, Myron, Scopas, Pythagoras und Alcame-<lb/>
nes, geblu&#x0364;het haben. Das gro&#x0364;ßte und beru&#x0364;hmte&#x017F;te Werk des Polycletus<lb/>
war die Coloßali&#x017F;che Statue der Juno zu Argos, von Elfenbein und Golde,<lb/>
und das edel&#x017F;te in der Kun&#x017F;t waren zwo Statuen jugendlich-ma&#x0364;nnlicher<lb/>
Figuren: die eine bekam den Namen <hi rendition="#fr">Doryphorus,</hi> vermuthlich von dem<lb/>
Spieße, welchen &#x017F;ie fu&#x0364;hrete, und &#x017F;ie war allen folgenden Ku&#x0364;n&#x017F;tlern eine<lb/>
Regel in der Proportion, und nach der&#x017F;elben u&#x0364;bete &#x017F;ich Ly&#x017F;ippus <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Cic. de clar. Orat. c.</hi> 86.</note>; die<lb/>
andere i&#x017F;t unter dem Namen <hi rendition="#fr">Diadumenus</hi> bekannt, der &#x017F;ich ein Band<lb/>
umbindet, wie des Phidias <hi rendition="#fr">Pantarces</hi> zu Elis war <note place="foot" n="2)">Es i&#x017F;t glaublich, daß die&#x017F;e Statue &#x017F;ehr oft copiret worden, und vielleicht i&#x017F;t eine in der<lb/>
Villa Farne&#x017F;e wenig&#x017F;tens nach einer Copie des <hi rendition="#fr">Diadumenus</hi> gemacht. Es i&#x017F;t eine<lb/>
unbekkeidete Figur, etwas unter Lebensgro&#x0364;ße, die &#x017F;ich ein Band um die Stirne bindet,<lb/>
welches als etwas &#x017F;eltenes &#x017F;ich, neb&#x017F;t der Hand, welche das Band fa&#x017F;&#x017F;et, erhalten hat.<lb/>
Eine a&#x0364;hnliche kleine Figur erhoben gearbeitet, &#x017F;tand noch vor wenig Jahren an einer<lb/>
kleinen Begra&#x0364;bnißurne in der Villa Sinibaldi, mit der Unter&#x017F;chrift, <hi rendition="#aq">DIADVMENI:</hi><lb/>
und auf Marmornen Ba&#x017F;en von alten Leuchtern in der Kirche zu St. Agne&#x017F;e außer<lb/>
Rom, auch in der Villa Borghe&#x017F;e auf zwo der&#x017F;elben &#x017F;pringen aus zierlich gearbeiteten<lb/>
Bla&#x0364;ttern <hi rendition="#fr">Amorini</hi> hervor, welche &#x017F;ich ein Band um die Stirne binden. Eben ein<lb/>
&#x017F;olches Kind i&#x017F;t auf einem Stu&#x0364;cke einer alten Frie&#x017F;e in den Ha&#x0364;nden eines Liebhabers der<lb/>
Alterthu&#x0364;mer zu Rom.</note>. Man giebt vor,<lb/>
daß zu Anfang des &#x017F;echzehnten Jahrhunderts eine Statue mit dem Namen<lb/>
die&#x017F;es Ku&#x0364;n&#x017F;tlers &#x017F;oll zu Florenz gewe&#x017F;en &#x017F;eyn <note place="foot" n="3)"><hi rendition="#aq">Gori Praef. ad T. 3. In&#x017F;cr. p. XXVII.</hi></note>. Die So&#x0364;hne des Polycle-<lb/>
tus kamen ihrem Vater in der Kun&#x017F;t nicht bey <note place="foot" n="4)"><hi rendition="#aq">Plato Protag. p. 290. l. 12. edit. Ba&#x017F;il.</hi></note>. <hi rendition="#fr">Myron</hi> aus Athen,<lb/>
oder von Eleutheris, im Atti&#x017F;chen Gebiete, war mit dem Polycletus aus<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">eben</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[335/0023] der Zeit unter den Griechen betrachtet. glauben, die Kuͤnſtler wuͤrden ſich die acht und zwanzig Jahre hindurch, welche dieſer Krieg gedauert, nicht wohl befunden haben: es ſtarb auch ihr großer Befoͤrderer, Pericles, im zweyten oder dritten Jahre dieſes Krieges; ob ihn Phidias uͤberlebet, iſt nicht bekannt. Gleichwohl wird die erſte Olympias, in welcher der Peloponneſiſche Krieg ſeinen Anfang nahm, fuͤr die Zeit angegeben, in welcher die andern großen Kuͤnſtler, nebſt dem Phidias, Polycletus, Myron, Scopas, Pythagoras und Alcame- nes, gebluͤhet haben. Das groͤßte und beruͤhmteſte Werk des Polycletus war die Coloßaliſche Statue der Juno zu Argos, von Elfenbein und Golde, und das edelſte in der Kunſt waren zwo Statuen jugendlich-maͤnnlicher Figuren: die eine bekam den Namen Doryphorus, vermuthlich von dem Spieße, welchen ſie fuͤhrete, und ſie war allen folgenden Kuͤnſtlern eine Regel in der Proportion, und nach derſelben uͤbete ſich Lyſippus 1); die andere iſt unter dem Namen Diadumenus bekannt, der ſich ein Band umbindet, wie des Phidias Pantarces zu Elis war 2). Man giebt vor, daß zu Anfang des ſechzehnten Jahrhunderts eine Statue mit dem Namen dieſes Kuͤnſtlers ſoll zu Florenz geweſen ſeyn 3). Die Soͤhne des Polycle- tus kamen ihrem Vater in der Kunſt nicht bey 4). Myron aus Athen, oder von Eleutheris, im Attiſchen Gebiete, war mit dem Polycletus aus eben b. Kuͤnſtler die- ſer Zeit, und Anfuͤhrung ei- niger ihrer Werke. 1) Cic. de clar. Orat. c. 86. 2) Es iſt glaublich, daß dieſe Statue ſehr oft copiret worden, und vielleicht iſt eine in der Villa Farneſe wenigſtens nach einer Copie des Diadumenus gemacht. Es iſt eine unbekkeidete Figur, etwas unter Lebensgroͤße, die ſich ein Band um die Stirne bindet, welches als etwas ſeltenes ſich, nebſt der Hand, welche das Band faſſet, erhalten hat. Eine aͤhnliche kleine Figur erhoben gearbeitet, ſtand noch vor wenig Jahren an einer kleinen Begraͤbnißurne in der Villa Sinibaldi, mit der Unterſchrift, DIADVMENI: und auf Marmornen Baſen von alten Leuchtern in der Kirche zu St. Agneſe außer Rom, auch in der Villa Borgheſe auf zwo derſelben ſpringen aus zierlich gearbeiteten Blaͤttern Amorini hervor, welche ſich ein Band um die Stirne binden. Eben ein ſolches Kind iſt auf einem Stuͤcke einer alten Frieſe in den Haͤnden eines Liebhabers der Alterthuͤmer zu Rom. 3) Gori Praef. ad T. 3. Inſcr. p. XXVII. 4) Plato Protag. p. 290. l. 12. edit. Baſil.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764/23
Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764/23>, abgerufen am 21.11.2024.