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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764.

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der Zeit unter den Griechen betrachtet.
von der Venus zu Gnidus. Viele von seinen Statuen waren den Alten
schon durch ihre Beynamen bekannt, und wenn jemand den Savrocto-
non, das ist, der eine Eydex tödtet, nennete, so wußte man, daß ein
Apollo des Praxiteles gemeynet war. Diese Figur ist sehr oft copiret, und
in der Villa Borghese befindet sie sich zweymal in der Größe eines jungen
Knabens, an einem Baume stehend, an welchem eine Eydex kriechet, auf
welche die Figur zu lauren scheint: eben diese Stellung hat eine kleine Fi-
gur von Erzt, fünf Palme hoch, in der Villa Albani. Es hat sich also
das Bild von jener Statue nicht bloß allein auf einem geschnittenen Stei-
ne erhalten, wie der Herr von Stosch meynet 1), und es war dieselbe nicht
von Erzt, wie eben derselbe angiebt, sondern von Marmor, und eine von
den Borghesischen Figuren wäre würdig, das Original zu seyn. Einige
Scribenten haben vorgegeben, Praxiteles sey aus Großgriechenland gewe-
sen, und habe das Römische Bürgerrecht erhalten 2): man hat aber den
Pasiteles, aus großer Unwissenheit der Umstände der Zeit, mit jenem
verwechselt; Riccoboni irrete, wie ich glaube, zuerst, und diesem sind
andere gefolget. Pasiteles lebete zu den Zeiten des Cicero, und er stellete
den berühmten Roscius in Silber geschnitzet vor, wie ihn seine Amme in
der Wiege von einer Schlange umwunden sah 3); es muß also am angezo-
genen Orte anstatt Praxiteles, wie die gedruckten Bücher lesen, Pasiteles

gesetzet
zum Beweis, wie vorzüglich der alte Künstler vor dem Neuern gewesen. Der erste
Cupido aber wird nicht mit mehr Grunde eine Arbeit des Praxiteles gewesen seyn, als
es ein Cupido zu Venedig ist, welchen man auch unter dem Namen dieses großen Künst-
lers will gehen lassen. Am wenigsten ist des Praxiteles eine kleine Venus mit dem
Cupido, wie uns jemand f) überreden will, würdig.
1) Pier. grav. Pref. p. XIX.
2) Riccoboni Not. ad fragm. Varron. in Comment. de Hist. p. 153. Car. Steph. Hof-
manni et Daneti Dict. d' Antiq. Lettre sur une pretendue Med. d' Alexandre, p.
3.
3) Cicero de diuinat. L. 1. c. 36.
f) Bernini Vit. del Cav. Bernini, p. 17.

der Zeit unter den Griechen betrachtet.
von der Venus zu Gnidus. Viele von ſeinen Statuen waren den Alten
ſchon durch ihre Beynamen bekannt, und wenn jemand den Savrocto-
non, das iſt, der eine Eydex toͤdtet, nennete, ſo wußte man, daß ein
Apollo des Praxiteles gemeynet war. Dieſe Figur iſt ſehr oft copiret, und
in der Villa Borgheſe befindet ſie ſich zweymal in der Groͤße eines jungen
Knabens, an einem Baume ſtehend, an welchem eine Eydex kriechet, auf
welche die Figur zu lauren ſcheint: eben dieſe Stellung hat eine kleine Fi-
gur von Erzt, fuͤnf Palme hoch, in der Villa Albani. Es hat ſich alſo
das Bild von jener Statue nicht bloß allein auf einem geſchnittenen Stei-
ne erhalten, wie der Herr von Stoſch meynet 1), und es war dieſelbe nicht
von Erzt, wie eben derſelbe angiebt, ſondern von Marmor, und eine von
den Borgheſiſchen Figuren waͤre wuͤrdig, das Original zu ſeyn. Einige
Scribenten haben vorgegeben, Praxiteles ſey aus Großgriechenland gewe-
ſen, und habe das Roͤmiſche Buͤrgerrecht erhalten 2): man hat aber den
Paſiteles, aus großer Unwiſſenheit der Umſtaͤnde der Zeit, mit jenem
verwechſelt; Riccoboni irrete, wie ich glaube, zuerſt, und dieſem ſind
andere gefolget. Paſiteles lebete zu den Zeiten des Cicero, und er ſtellete
den beruͤhmten Roſcius in Silber geſchnitzet vor, wie ihn ſeine Amme in
der Wiege von einer Schlange umwunden ſah 3); es muß alſo am angezo-
genen Orte anſtatt Praxiteles, wie die gedruckten Buͤcher leſen, Paſiteles

geſetzet
zum Beweis, wie vorzuͤglich der alte Kuͤnſtler vor dem Neuern geweſen. Der erſte
Cupido aber wird nicht mit mehr Grunde eine Arbeit des Praxiteles geweſen ſeyn, als
es ein Cupido zu Venedig iſt, welchen man auch unter dem Namen dieſes großen Kuͤnſt-
lers will gehen laſſen. Am wenigſten iſt des Praxiteles eine kleine Venus mit dem
Cupido, wie uns jemand f) uͤberreden will, wuͤrdig.
1) Pier. grav. Pref. p. XIX.
2) Riccoboni Not. ad fragm. Varron. in Comment. de Hiſt. p. 153. Car. Steph. Hof-
manni et Daneti Dict. d’ Antiq. Lettre ſur une pretendue Med. d’ Alexandre, p.
3.
3) Cicero de diuinat. L. 1. c. 36.
f) Bernini Vit. del Cav. Bernini, p. 17.
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[343/0031] der Zeit unter den Griechen betrachtet. von der Venus zu Gnidus. Viele von ſeinen Statuen waren den Alten ſchon durch ihre Beynamen bekannt, und wenn jemand den Savrocto- non, das iſt, der eine Eydex toͤdtet, nennete, ſo wußte man, daß ein Apollo des Praxiteles gemeynet war. Dieſe Figur iſt ſehr oft copiret, und in der Villa Borgheſe befindet ſie ſich zweymal in der Groͤße eines jungen Knabens, an einem Baume ſtehend, an welchem eine Eydex kriechet, auf welche die Figur zu lauren ſcheint: eben dieſe Stellung hat eine kleine Fi- gur von Erzt, fuͤnf Palme hoch, in der Villa Albani. Es hat ſich alſo das Bild von jener Statue nicht bloß allein auf einem geſchnittenen Stei- ne erhalten, wie der Herr von Stoſch meynet 1), und es war dieſelbe nicht von Erzt, wie eben derſelbe angiebt, ſondern von Marmor, und eine von den Borgheſiſchen Figuren waͤre wuͤrdig, das Original zu ſeyn. Einige Scribenten haben vorgegeben, Praxiteles ſey aus Großgriechenland gewe- ſen, und habe das Roͤmiſche Buͤrgerrecht erhalten 2): man hat aber den Paſiteles, aus großer Unwiſſenheit der Umſtaͤnde der Zeit, mit jenem verwechſelt; Riccoboni irrete, wie ich glaube, zuerſt, und dieſem ſind andere gefolget. Paſiteles lebete zu den Zeiten des Cicero, und er ſtellete den beruͤhmten Roſcius in Silber geſchnitzet vor, wie ihn ſeine Amme in der Wiege von einer Schlange umwunden ſah 3); es muß alſo am angezo- genen Orte anſtatt Praxiteles, wie die gedruckten Buͤcher leſen, Paſiteles geſetzet c) 1) Pier. grav. Pref. p. XIX. 2) Riccoboni Not. ad fragm. Varron. in Comment. de Hiſt. p. 153. Car. Steph. Hof- manni et Daneti Dict. d’ Antiq. Lettre ſur une pretendue Med. d’ Alexandre, p. 3. 3) Cicero de diuinat. L. 1. c. 36. c) zum Beweis, wie vorzuͤglich der alte Kuͤnſtler vor dem Neuern geweſen. Der erſte Cupido aber wird nicht mit mehr Grunde eine Arbeit des Praxiteles geweſen ſeyn, als es ein Cupido zu Venedig iſt, welchen man auch unter dem Namen dieſes großen Kuͤnſt- lers will gehen laſſen. Am wenigſten iſt des Praxiteles eine kleine Venus mit dem Cupido, wie uns jemand f) uͤberreden will, wuͤrdig. f) Bernini Vit. del Cav. Bernini, p. 17.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764/31>, abgerufen am 24.11.2024.