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Wirth, Johann Georg August: Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach. Heft 2. Neustadt, 1832.

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Ich will nicht eingehen in die Mängel unsrer Staatseinrichtungen, nicht
sprechen über das Einzelne der Mittel ihnen abzuhelfen, das Alles ge-
hört nur vor den Rath erfahrungsreicher Männer. Aber es gibt
gewisse Ideen, die die Geschichte und die Entwickelung der ganzen
Menschheit beseelen, und diese geben sich oft am ungetrübtesten in der
hoffnungsreichen, gläubigen Seele der Jugend kund. Hat nicht wirklich
eine solche Ahnung -- die schon lange in den Herzen der Jugend lebte --
jetzt die Gebildeten des ganzen Volks begeistert und auch dieses be-
geisternde Fest hervorgerufen? Ich spreche von der Einheit des
Vaterlandes
? -- -- Das macht mir Muth, das treibt mich unwi-
derstehlich es zu wagen, und die Welt-Ansicht, die Hoffnungen der
deutschen Jugend, wie ich sie kenne und wie sie in mir leben, an
diesem Auferstehungsfeste meines Volkes, laut zu verkünden. Euch
vor allem, ältere Männer, auch euch deutsche Frauen und Jungfrauen
und euch ihr lieben Altersgenossen bitte ich um freundliche Nachsicht. --

Mitbürger! Schon die Achtung vor unsrer Vernunft zwingt uns
eine unsterblich sich fortbildende Menschheit anzunehmen, damit unser
Daseyn nicht als zwecklos erscheine. -- Die Geschichte bestätigt diese
Ansicht. Das folgende Geschlecht ist der Erbe des Vorigen und was
wir Gutes pflanzen, das wird noch lange fortwähren zum Heil unserer
Kinder und Enkel. -- -- Wollen wir aber diese unsre höhere Lebens-
Aufgabe vollständig erkennen, so müßen wir den Gang der Geschichte er-
forschen.

In den Staaten des Alterthums war der Mensch nicht Privatmann,
nicht Familienglied, nur Bürger, alle seine Tugend hatte ihren Grund
im Patriotismus. -- Sobald diese Staaten eine Beute von Tyrannen
wurden, waren die Völker rettungslos verloren. -- Das Unglück der
neuern Völker entstand aus dem andern Extrem. Zu eifersüchtig auf
individuelle und häusliche Freiheit, kümmerten sie sich wenig um das
öffentliche Staatsleben. Blieb der Einzelne mit seiner Familie in Ruhe,
so dachte er wenig an den Staat. -- Deshalb gelang es den Herrsch-
süchtigen leicht, den Völkern allmählig alle öffentliche Freiheit zu rauben,
und den Staat in ein Familien-Besitzthum, den freien Mann -- in einen
hörigen Unterthanen zu verwandeln.

Die Zeiten der Feudalität schildere ich nicht weiter, -- mögen diese
Ruinen einer in unmenschlichem Frohndienste erbauten Ritterburg das
Bild jener Zeit herauf führen. -- -- Allein wie Aberglauben und Un-
wissenheit stets Knechtschaft, Eigennutz und Kasten-Geist erhalten und
fördern, so erzeugt und fördert Aufklärung dagegen Freiheit, Gerechtig-

Ich will nicht eingehen in die Mängel unſrer Staatseinrichtungen, nicht
ſprechen über das Einzelne der Mittel ihnen abzuhelfen, das Alles ge-
hört nur vor den Rath erfahrungsreicher Männer. Aber es gibt
gewiſſe Ideen, die die Geſchichte und die Entwickelung der ganzen
Menſchheit beſeelen, und dieſe geben ſich oft am ungetrübteſten in der
hoffnungsreichen, gläubigen Seele der Jugend kund. Hat nicht wirklich
eine ſolche Ahnung — die ſchon lange in den Herzen der Jugend lebte —
jetzt die Gebildeten des ganzen Volks begeiſtert und auch dieſes be-
geiſternde Feſt hervorgerufen? Ich ſpreche von der Einheit des
Vaterlandes
? — — Das macht mir Muth, das treibt mich unwi-
derſtehlich es zu wagen, und die Welt-Anſicht, die Hoffnungen der
deutſchen Jugend, wie ich ſie kenne und wie ſie in mir leben, an
dieſem Auferſtehungsfeſte meines Volkes, laut zu verkünden. Euch
vor allem, ältere Männer, auch euch deutſche Frauen und Jungfrauen
und euch ihr lieben Altersgenoſſen bitte ich um freundliche Nachſicht. —

Mitbürger! Schon die Achtung vor unſrer Vernunft zwingt uns
eine unſterblich ſich fortbildende Menſchheit anzunehmen, damit unſer
Daſeyn nicht als zwecklos erſcheine. — Die Geſchichte beſtätigt dieſe
Anſicht. Das folgende Geſchlecht iſt der Erbe des Vorigen und was
wir Gutes pflanzen, das wird noch lange fortwähren zum Heil unſerer
Kinder und Enkel. — — Wollen wir aber dieſe unſre höhere Lebens-
Aufgabe vollſtändig erkennen, ſo müßen wir den Gang der Geſchichte er-
forſchen.

In den Staaten des Alterthums war der Menſch nicht Privatmann,
nicht Familienglied, nur Bürger, alle ſeine Tugend hatte ihren Grund
im Patriotismus. — Sobald dieſe Staaten eine Beute von Tyrannen
wurden, waren die Völker rettungslos verloren. — Das Unglück der
neuern Völker entſtand aus dem andern Extrem. Zu eiferſüchtig auf
individuelle und häusliche Freiheit, kümmerten ſie ſich wenig um das
öffentliche Staatsleben. Blieb der Einzelne mit ſeiner Familie in Ruhe,
ſo dachte er wenig an den Staat. — Deshalb gelang es den Herrſch-
ſüchtigen leicht, den Völkern allmählig alle öffentliche Freiheit zu rauben,
und den Staat in ein Familien-Beſitzthum, den freien Mann — in einen
hörigen Unterthanen zu verwandeln.

Die Zeiten der Feudalität ſchildere ich nicht weiter, — mögen dieſe
Ruinen einer in unmenſchlichem Frohndienſte erbauten Ritterburg das
Bild jener Zeit herauf führen. — — Allein wie Aberglauben und Un-
wiſſenheit ſtets Knechtſchaft, Eigennutz und Kaſten-Geiſt erhalten und
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[77/0019] Ich will nicht eingehen in die Mängel unſrer Staatseinrichtungen, nicht ſprechen über das Einzelne der Mittel ihnen abzuhelfen, das Alles ge- hört nur vor den Rath erfahrungsreicher Männer. Aber es gibt gewiſſe Ideen, die die Geſchichte und die Entwickelung der ganzen Menſchheit beſeelen, und dieſe geben ſich oft am ungetrübteſten in der hoffnungsreichen, gläubigen Seele der Jugend kund. Hat nicht wirklich eine ſolche Ahnung — die ſchon lange in den Herzen der Jugend lebte — jetzt die Gebildeten des ganzen Volks begeiſtert und auch dieſes be- geiſternde Feſt hervorgerufen? Ich ſpreche von der Einheit des Vaterlandes? — — Das macht mir Muth, das treibt mich unwi- derſtehlich es zu wagen, und die Welt-Anſicht, die Hoffnungen der deutſchen Jugend, wie ich ſie kenne und wie ſie in mir leben, an dieſem Auferſtehungsfeſte meines Volkes, laut zu verkünden. Euch vor allem, ältere Männer, auch euch deutſche Frauen und Jungfrauen und euch ihr lieben Altersgenoſſen bitte ich um freundliche Nachſicht. — Mitbürger! Schon die Achtung vor unſrer Vernunft zwingt uns eine unſterblich ſich fortbildende Menſchheit anzunehmen, damit unſer Daſeyn nicht als zwecklos erſcheine. — Die Geſchichte beſtätigt dieſe Anſicht. Das folgende Geſchlecht iſt der Erbe des Vorigen und was wir Gutes pflanzen, das wird noch lange fortwähren zum Heil unſerer Kinder und Enkel. — — Wollen wir aber dieſe unſre höhere Lebens- Aufgabe vollſtändig erkennen, ſo müßen wir den Gang der Geſchichte er- forſchen. In den Staaten des Alterthums war der Menſch nicht Privatmann, nicht Familienglied, nur Bürger, alle ſeine Tugend hatte ihren Grund im Patriotismus. — Sobald dieſe Staaten eine Beute von Tyrannen wurden, waren die Völker rettungslos verloren. — Das Unglück der neuern Völker entſtand aus dem andern Extrem. Zu eiferſüchtig auf individuelle und häusliche Freiheit, kümmerten ſie ſich wenig um das öffentliche Staatsleben. Blieb der Einzelne mit ſeiner Familie in Ruhe, ſo dachte er wenig an den Staat. — Deshalb gelang es den Herrſch- ſüchtigen leicht, den Völkern allmählig alle öffentliche Freiheit zu rauben, und den Staat in ein Familien-Beſitzthum, den freien Mann — in einen hörigen Unterthanen zu verwandeln. Die Zeiten der Feudalität ſchildere ich nicht weiter, — mögen dieſe Ruinen einer in unmenſchlichem Frohndienſte erbauten Ritterburg das Bild jener Zeit herauf führen. — — Allein wie Aberglauben und Un- wiſſenheit ſtets Knechtſchaft, Eigennutz und Kaſten-Geiſt erhalten und fördern, ſo erzeugt und fördert Aufklärung dagegen Freiheit, Gerechtig-

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Zitationshilfe: Wirth, Johann Georg August: Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach. Heft 2. Neustadt, 1832, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wirth_nationalfest02_1832/19>, abgerufen am 29.04.2024.