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Wirth, Johann Georg August: Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach. Heft 2. Neustadt, 1832.

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glänzten ihre Götter. In Volksversammlungen ordneten sie ihre An-
gelegenheiten -- gerade, frei und einfach. Wenig Gesetze hatten sie,
und ungehemmt wollten sie die persönliche Freiheit. In allen ihren Ein-
richtungen lag ein tiefes und ernstes Gemüth. Vor allem war die Fa-
milie in Sittsamkeit und Keuschheit eine unversiegbare Quelle der rein-
sten Freuden für den Mann, ein Wonneziel für den wehrbaren Jüng-
ling, das er durch würdige Thaten zu verdienen trachtete.

So waren unsere Vorfahren, und noch liegen dieselben Elemente
der Festigkeit, der Innigkeit und Reinheit in unserm Volke.
Ich weiß es, ungläubig und zweifelnd verweis't man auf die jetzige Lage
desselben. Da liegt das tapfere Volk von 30 Millionen, zerrissen von
einer Handvoll emporgekommener Feudalherren, ausgestrichen aus der
Reihe der Großmächte, verhöhnt von seinen Nachbarn; da liegt es und
harret geduldig, bis der Barbar längst der Ostsee heraufziehet und
Lübeck und Hamburg zu seinen Stapelplätzen macht, und durch die Knu-
tenknechte Deutschlands Cultur zertreten läßt, da ächzet das freisinnige
Volk von 30 Millionen stumm unter dem Befehl von einigen 30 zittern-
den Zwingherrn, während man seine Freunde in Ketten wirft und zu
lebenslänglichen Untersuchungen verdammt, während man Gewerbe und
Handel durch Mauthen vernichtet, die Kinder gegen die Eltern bewaff-
net und Spionen und Maitressen der Bürger Schweiß und Blut ver-
prassen. Ich gebe zu, Deutschlands Volk besitzt eine große, eine unbe-
greifliche Langmuth; allein Alles kündigt an, daß sie zu Ende geht.
Glaubt vielleicht Jemand in Frankreich den Hoffnungsstern erstehen zu
sehen? Frankreich mag beweglicher, rascher zur That und weniger ge-
duldig seyn, der Deutsche aber ist andauernder und entschiedener, was
er beginnt, das vollendet er auch ganz; mag Frankreichs Bevölkerung
scheinbar politisch gebildeter seyn, sie ist nur neugieriger; nirgends ist
mehr wahre Bildung und gediegene Aufklärung als in Deutschland.
Ist hier erst das öffentliche Interesse angeregt, so wirds auch ernster
genommen und gesunder beurtheilt, als bei dem französischen Volke; --
Mag Frankreich beständig von edlen Redensarten über Freiheit und Na-
tionalität überfließen; mag seine Vaterlandsliebe, seine Eitelkeit oft hell
aufflackern; des Deutschen Gefühl ist tiefer und nachhaltiger, seine
Vaterlandsliebe ist eine heilige -- nie verlöschende Gluth. Die Theil-
nahme an dem Schicksale der Polen bezeichnet die beiden Völker. --
Vor allem -- Mitbürger! bedenkt, welche Fortschritte unser Vaterland
in so kurzer Zeit gemacht hat. Noch zu Anfange dieses Jahrhunderts
standen wir den Franzosen an Vaterlandsliebe unendlich nach, wenig noch

glänzten ihre Götter. In Volksverſammlungen ordneten ſie ihre An-
gelegenheiten — gerade, frei und einfach. Wenig Geſetze hatten ſie,
und ungehemmt wollten ſie die perſönliche Freiheit. In allen ihren Ein-
richtungen lag ein tiefes und ernſtes Gemüth. Vor allem war die Fa-
milie in Sittſamkeit und Keuſchheit eine unverſiegbare Quelle der rein-
ſten Freuden für den Mann, ein Wonneziel für den wehrbaren Jüng-
ling, das er durch würdige Thaten zu verdienen trachtete.

So waren unſere Vorfahren, und noch liegen dieſelben Elemente
der Feſtigkeit, der Innigkeit und Reinheit in unſerm Volke.
Ich weiß es, ungläubig und zweifelnd verweiſ’t man auf die jetzige Lage
deſſelben. Da liegt das tapfere Volk von 30 Millionen, zerriſſen von
einer Handvoll emporgekommener Feudalherren, ausgeſtrichen aus der
Reihe der Großmächte, verhöhnt von ſeinen Nachbarn; da liegt es und
harret geduldig, bis der Barbar längſt der Oſtſee heraufziehet und
Lübeck und Hamburg zu ſeinen Stapelplätzen macht, und durch die Knu-
tenknechte Deutſchlands Cultur zertreten läßt, da ächzet das freiſinnige
Volk von 30 Millionen ſtumm unter dem Befehl von einigen 30 zittern-
den Zwingherrn, während man ſeine Freunde in Ketten wirft und zu
lebenslänglichen Unterſuchungen verdammt, während man Gewerbe und
Handel durch Mauthen vernichtet, die Kinder gegen die Eltern bewaff-
net und Spionen und Maitreſſen der Bürger Schweiß und Blut ver-
praſſen. Ich gebe zu, Deutſchlands Volk beſitzt eine große, eine unbe-
greifliche Langmuth; allein Alles kündigt an, daß ſie zu Ende geht.
Glaubt vielleicht Jemand in Frankreich den Hoffnungsſtern erſtehen zu
ſehen? Frankreich mag beweglicher, raſcher zur That und weniger ge-
duldig ſeyn, der Deutſche aber iſt andauernder und entſchiedener, was
er beginnt, das vollendet er auch ganz; mag Frankreichs Bevölkerung
ſcheinbar politiſch gebildeter ſeyn, ſie iſt nur neugieriger; nirgends iſt
mehr wahre Bildung und gediegene Aufklärung als in Deutſchland.
Iſt hier erſt das öffentliche Intereſſe angeregt, ſo wirds auch ernſter
genommen und geſunder beurtheilt, als bei dem franzöſiſchen Volke; —
Mag Frankreich beſtändig von edlen Redensarten über Freiheit und Na-
tionalität überfließen; mag ſeine Vaterlandsliebe, ſeine Eitelkeit oft hell
aufflackern; des Deutſchen Gefühl iſt tiefer und nachhaltiger, ſeine
Vaterlandsliebe iſt eine heilige — nie verlöſchende Gluth. Die Theil-
nahme an dem Schickſale der Polen bezeichnet die beiden Völker. —
Vor allem — Mitbürger! bedenkt, welche Fortſchritte unſer Vaterland
in ſo kurzer Zeit gemacht hat. Noch zu Anfange dieſes Jahrhunderts
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[79/0021] glänzten ihre Götter. In Volksverſammlungen ordneten ſie ihre An- gelegenheiten — gerade, frei und einfach. Wenig Geſetze hatten ſie, und ungehemmt wollten ſie die perſönliche Freiheit. In allen ihren Ein- richtungen lag ein tiefes und ernſtes Gemüth. Vor allem war die Fa- milie in Sittſamkeit und Keuſchheit eine unverſiegbare Quelle der rein- ſten Freuden für den Mann, ein Wonneziel für den wehrbaren Jüng- ling, das er durch würdige Thaten zu verdienen trachtete. So waren unſere Vorfahren, und noch liegen dieſelben Elemente der Feſtigkeit, der Innigkeit und Reinheit in unſerm Volke. Ich weiß es, ungläubig und zweifelnd verweiſ’t man auf die jetzige Lage deſſelben. Da liegt das tapfere Volk von 30 Millionen, zerriſſen von einer Handvoll emporgekommener Feudalherren, ausgeſtrichen aus der Reihe der Großmächte, verhöhnt von ſeinen Nachbarn; da liegt es und harret geduldig, bis der Barbar längſt der Oſtſee heraufziehet und Lübeck und Hamburg zu ſeinen Stapelplätzen macht, und durch die Knu- tenknechte Deutſchlands Cultur zertreten läßt, da ächzet das freiſinnige Volk von 30 Millionen ſtumm unter dem Befehl von einigen 30 zittern- den Zwingherrn, während man ſeine Freunde in Ketten wirft und zu lebenslänglichen Unterſuchungen verdammt, während man Gewerbe und Handel durch Mauthen vernichtet, die Kinder gegen die Eltern bewaff- net und Spionen und Maitreſſen der Bürger Schweiß und Blut ver- praſſen. Ich gebe zu, Deutſchlands Volk beſitzt eine große, eine unbe- greifliche Langmuth; allein Alles kündigt an, daß ſie zu Ende geht. Glaubt vielleicht Jemand in Frankreich den Hoffnungsſtern erſtehen zu ſehen? Frankreich mag beweglicher, raſcher zur That und weniger ge- duldig ſeyn, der Deutſche aber iſt andauernder und entſchiedener, was er beginnt, das vollendet er auch ganz; mag Frankreichs Bevölkerung ſcheinbar politiſch gebildeter ſeyn, ſie iſt nur neugieriger; nirgends iſt mehr wahre Bildung und gediegene Aufklärung als in Deutſchland. Iſt hier erſt das öffentliche Intereſſe angeregt, ſo wirds auch ernſter genommen und geſunder beurtheilt, als bei dem franzöſiſchen Volke; — Mag Frankreich beſtändig von edlen Redensarten über Freiheit und Na- tionalität überfließen; mag ſeine Vaterlandsliebe, ſeine Eitelkeit oft hell aufflackern; des Deutſchen Gefühl iſt tiefer und nachhaltiger, ſeine Vaterlandsliebe iſt eine heilige — nie verlöſchende Gluth. Die Theil- nahme an dem Schickſale der Polen bezeichnet die beiden Völker. — Vor allem — Mitbürger! bedenkt, welche Fortſchritte unſer Vaterland in ſo kurzer Zeit gemacht hat. Noch zu Anfange dieſes Jahrhunderts ſtanden wir den Franzoſen an Vaterlandsliebe unendlich nach, wenig noch

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Zitationshilfe: Wirth, Johann Georg August: Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach. Heft 2. Neustadt, 1832, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wirth_nationalfest02_1832/21>, abgerufen am 29.04.2024.