Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Der Anfangs-Gründe Aller Mathematischen Wissenschafften. Bd. 1. Halle (Saale), 1710.

Bild:
<< vorherige Seite
Vorrede.

DEr grosse und vielfältige Nutzen hat in un-
seren Tagen die Mathemathischen Wissen-
schafften so beliebt gemacht/ daß sie wohl
niemals in so hohem Werthe gewesen/ und mit sol-
chem Eifer getrieben worden. Und was ist es Wun-
der? So jemand über die Kräffte des menschlichen
Verstandes sich erfreuet/ der findet hier einen unver-
gleichlichen Schatz der herrlichsten Proben/ wie
weit man durch rechten Gebrauch derselben kom-
men kan. Die Algebra und höhere Geometrie zei-
gen/ daß nichts so tieff verborgen sey/ welches man
nicht ergründen könte. Die Astronomie und Geo-
graphie überführen uns/ daß nichts von uns so weit
entfernet sey/ welches man nicht gnau erkennen und
ausmessen könte. Aus den Calendern und Ephe-
meridibus
kan man ersehen/ mit was vor Gewiß-
heit die Astronomi die Himmels-Begebenheiten
vorher verkündigen können/ unerachtet die Gesetze
der Bewegung ihnen von niemanden offenbahret
worden. Die Mathematische Lehr-Art giebt den
rechten Gebrauch der Vernunfft zu erkennen/ wie
man nehmlich zu klahren/ deutlichen und vollständi-
gen Begriffen gelange und daraus ohne Anstoß die
übrigen Sachen herleite. Die Rechen-Kunst/
Trigonometrie und Algebra halten die allgemeinen
Maximen in sich/ nach welchen der Verstand gelei-
tet wird/ wenn er durch eigenes Nachsinnen die
verborgene Wahrheit erfinden will/ u. wie es anzu-
greiffen/ daß die Sinnen und Imagination im me-

diti-
)( 4
Vorrede.

DEr groſſe und vielfaͤltige Nutzen hat in un-
ſeren Tagen die Mathemathiſchen Wiſſen-
ſchafften ſo beliebt gemacht/ daß ſie wohl
niemals in ſo hohem Werthe geweſen/ und mit ſol-
chem Eifer getrieben worden. Und was iſt es Wun-
der? So jemand uͤber die Kraͤffte des menſchlichen
Verſtandes ſich erfreuet/ der findet hier einen unver-
gleichlichen Schatz der herrlichſten Proben/ wie
weit man durch rechten Gebrauch derſelben kom-
men kan. Die Algebra und hoͤhere Geometrie zei-
gen/ daß nichts ſo tieff verborgen ſey/ welches man
nicht ergruͤnden koͤnte. Die Aſtronomie und Geo-
graphie uͤberfuͤhren uns/ daß nichts von uns ſo weit
entfernet ſey/ welches man nicht gnau erkennen und
ausmeſſen koͤnte. Aus den Calendern und Ephe-
meridibus
kan man erſehen/ mit was vor Gewiß-
heit die Aſtronomi die Himmels-Begebenheiten
vorher verkuͤndigen koͤnnen/ unerachtet die Geſetze
der Bewegung ihnen von niemanden offenbahret
worden. Die Mathematiſche Lehr-Art giebt den
rechten Gebrauch der Vernunfft zu erkennen/ wie
man nehmlich zu klahren/ deutlichen und vollſtaͤndi-
gen Begriffen gelange und daraus ohne Anſtoß die
uͤbrigen Sachen herleite. Die Rechen-Kunſt/
Trigonometrie und Algebra halten die allgemeinen
Maximen in ſich/ nach welchen der Verſtand gelei-
tet wird/ wenn er durch eigenes Nachſinnen die
verborgene Wahrheit erfinden will/ u. wie es anzu-
greiffen/ daß die Sinnen und Imagination im me-

diti-
)( 4
<TEI>
  <text>
    <front>
      <pb facs="#f0013"/>
      <div type="preface">
        <head> <hi rendition="#b">Vorrede.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">D</hi>Er gro&#x017F;&#x017F;e und vielfa&#x0364;ltige Nutzen hat in un-<lb/>
&#x017F;eren Tagen die Mathemathi&#x017F;chen Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chafften &#x017F;o beliebt gemacht/ daß &#x017F;ie wohl<lb/>
niemals in &#x017F;o hohem Werthe gewe&#x017F;en/ und mit &#x017F;ol-<lb/>
chem Eifer getrieben worden. Und was i&#x017F;t es Wun-<lb/>
der? So jemand u&#x0364;ber die Kra&#x0364;ffte des men&#x017F;chlichen<lb/>
Ver&#x017F;tandes &#x017F;ich erfreuet/ der findet hier einen unver-<lb/>
gleichlichen Schatz der herrlich&#x017F;ten Proben/ wie<lb/>
weit man durch rechten Gebrauch der&#x017F;elben kom-<lb/>
men kan. Die Algebra und ho&#x0364;here Geometrie zei-<lb/>
gen/ daß nichts &#x017F;o tieff verborgen &#x017F;ey/ welches man<lb/>
nicht ergru&#x0364;nden ko&#x0364;nte. Die A&#x017F;tronomie und Geo-<lb/>
graphie u&#x0364;berfu&#x0364;hren uns/ daß nichts von uns &#x017F;o weit<lb/>
entfernet &#x017F;ey/ welches man nicht gnau erkennen und<lb/>
ausme&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nte. Aus den Calendern und <hi rendition="#aq">Ephe-<lb/>
meridibus</hi> kan man er&#x017F;ehen/ mit was vor Gewiß-<lb/>
heit die A&#x017F;tronomi die Himmels-Begebenheiten<lb/>
vorher verku&#x0364;ndigen ko&#x0364;nnen/ unerachtet die Ge&#x017F;etze<lb/>
der Bewegung ihnen von niemanden offenbahret<lb/>
worden. Die Mathemati&#x017F;che Lehr-Art giebt den<lb/>
rechten Gebrauch der Vernunfft zu erkennen/ wie<lb/>
man nehmlich zu klahren/ deutlichen und voll&#x017F;ta&#x0364;ndi-<lb/>
gen Begriffen gelange und daraus ohne An&#x017F;toß die<lb/>
u&#x0364;brigen Sachen herleite. Die Rechen-Kun&#x017F;t/<lb/>
Trigonometrie und Algebra halten die allgemeinen<lb/>
Maximen in &#x017F;ich/ nach welchen der Ver&#x017F;tand gelei-<lb/>
tet wird/ wenn er durch eigenes Nach&#x017F;innen die<lb/>
verborgene Wahrheit erfinden will/ u. wie es anzu-<lb/>
greiffen/ daß die Sinnen und <hi rendition="#aq">Imagination</hi> im <hi rendition="#aq">me-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">)( 4</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">diti-</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0013] Vorrede. DEr groſſe und vielfaͤltige Nutzen hat in un- ſeren Tagen die Mathemathiſchen Wiſſen- ſchafften ſo beliebt gemacht/ daß ſie wohl niemals in ſo hohem Werthe geweſen/ und mit ſol- chem Eifer getrieben worden. Und was iſt es Wun- der? So jemand uͤber die Kraͤffte des menſchlichen Verſtandes ſich erfreuet/ der findet hier einen unver- gleichlichen Schatz der herrlichſten Proben/ wie weit man durch rechten Gebrauch derſelben kom- men kan. Die Algebra und hoͤhere Geometrie zei- gen/ daß nichts ſo tieff verborgen ſey/ welches man nicht ergruͤnden koͤnte. Die Aſtronomie und Geo- graphie uͤberfuͤhren uns/ daß nichts von uns ſo weit entfernet ſey/ welches man nicht gnau erkennen und ausmeſſen koͤnte. Aus den Calendern und Ephe- meridibus kan man erſehen/ mit was vor Gewiß- heit die Aſtronomi die Himmels-Begebenheiten vorher verkuͤndigen koͤnnen/ unerachtet die Geſetze der Bewegung ihnen von niemanden offenbahret worden. Die Mathematiſche Lehr-Art giebt den rechten Gebrauch der Vernunfft zu erkennen/ wie man nehmlich zu klahren/ deutlichen und vollſtaͤndi- gen Begriffen gelange und daraus ohne Anſtoß die uͤbrigen Sachen herleite. Die Rechen-Kunſt/ Trigonometrie und Algebra halten die allgemeinen Maximen in ſich/ nach welchen der Verſtand gelei- tet wird/ wenn er durch eigenes Nachſinnen die verborgene Wahrheit erfinden will/ u. wie es anzu- greiffen/ daß die Sinnen und Imagination im me- diti- )( 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_anfangsgruende01_1710
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_anfangsgruende01_1710/13
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Der Anfangs-Gründe Aller Mathematischen Wissenschafften. Bd. 1. Halle (Saale), 1710. , S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_anfangsgruende01_1710/13>, abgerufen am 22.12.2024.