Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Sabattia Joseph: Ausverkauf meiner schriftstellerischen Arbeiten. Berlin, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite



Kunst, in keiner Wissenschaft lernt man so viel,
um es wieder zu vergessen, als in der Arzeneikunst.
Als ausübender Arzt erfährt man erst, was man
alles hätte entbehren können, erfährt man erst, daß
die Kranken, die man in Büchern antrifft, himmel-
weit von denen verschieden sind, die man im Bette
findet.



Noth macht, wie die Ehrsucht, thätig, aber
Thätigkeit aus Noth ermüdet schnell und entsteht
schwer, denn dann nur erst, wenn die Noth am
größten ist, bequemt man sich zur Thätigkeit. Ganz
anders verhält es sich mit der Thätigkeit aus Ehr-
sucht; diese entsteht sehr leicht und ermüdet nie,
sie wird, wie ein Schneeball im Schnee gewälzt,
immer größer, sie wird, wie die Wollust, durch den
Genuß, immer mehr gereizt, aber nie gesättigt.



Noch immer behält folgender Gedanke, den ich
in einer alten Schrift gefunden, wegen der Wahr-
heit, die er enthält, seinen großen Werth.

"Die Vorurtheile wider die Armuth sind zu un-
"seren Zeiten dergestalt eingerissen, daß alles, was
"von einem armen Manne herkommt, so vortrefflich
"es auch an sich selbst seyn mag, ohne Unterschied
"verachtet und verworfen wird. Das Wort eines



Kunſt, in keiner Wiſſenſchaft lernt man ſo viel,
um es wieder zu vergeſſen, als in der Arzeneikunſt.
Als ausübender Arzt erfährt man erſt, was man
alles hätte entbehren können, erfährt man erſt, daß
die Kranken, die man in Büchern antrifft, himmel-
weit von denen verſchieden ſind, die man im Bette
findet.



Noth macht, wie die Ehrſucht, thätig, aber
Thätigkeit aus Noth ermüdet ſchnell und entſteht
ſchwer, denn dann nur erſt, wenn die Noth am
größten iſt, bequemt man ſich zur Thätigkeit. Ganz
anders verhält es ſich mit der Thätigkeit aus Ehr-
ſucht; dieſe entſteht ſehr leicht und ermüdet nie,
ſie wird, wie ein Schneeball im Schnee gewälzt,
immer größer, ſie wird, wie die Wolluſt, durch den
Genuß, immer mehr gereizt, aber nie geſättigt.



Noch immer behält folgender Gedanke, den ich
in einer alten Schrift gefunden, wegen der Wahr-
heit, die er enthält, ſeinen großen Werth.

»Die Vorurtheile wider die Armuth ſind zu un-
»ſeren Zeiten dergeſtalt eingeriſſen, daß alles, was
»von einem armen Manne herkommt, ſo vortrefflich
»es auch an ſich ſelbſt ſeyn mag, ohne Unterſchied
»verachtet und verworfen wird. Das Wort eines

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0106" n="90"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Kun&#x017F;t, in keiner Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft lernt man &#x017F;o viel,<lb/>
um es wieder zu verge&#x017F;&#x017F;en, als in der Arzeneikun&#x017F;t.<lb/>
Als ausübender Arzt erfährt man er&#x017F;t, was man<lb/>
alles hätte entbehren können, erfährt man er&#x017F;t, daß<lb/>
die Kranken, die man in Büchern antrifft, himmel-<lb/>
weit von denen ver&#x017F;chieden &#x017F;ind, die man im Bette<lb/>
findet.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Noth macht, wie die Ehr&#x017F;ucht, thätig, aber<lb/>
Thätigkeit aus Noth ermüdet &#x017F;chnell und ent&#x017F;teht<lb/>
&#x017F;chwer, denn dann nur er&#x017F;t, wenn die Noth am<lb/>
größten i&#x017F;t, bequemt man &#x017F;ich zur Thätigkeit. Ganz<lb/>
anders verhält es &#x017F;ich mit der Thätigkeit aus Ehr-<lb/>
&#x017F;ucht; die&#x017F;e ent&#x017F;teht &#x017F;ehr leicht und ermüdet nie,<lb/>
&#x017F;ie wird, wie ein Schneeball im Schnee gewälzt,<lb/>
immer größer, &#x017F;ie wird, wie die Wollu&#x017F;t, durch den<lb/>
Genuß, immer mehr gereizt, aber nie ge&#x017F;ättigt.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Noch immer behält folgender Gedanke, den ich<lb/>
in einer alten Schrift gefunden, wegen der Wahr-<lb/>
heit, die er enthält, &#x017F;einen großen Werth.</p><lb/>
        <p>»Die Vorurtheile wider die Armuth &#x017F;ind zu un-<lb/>
»&#x017F;eren Zeiten derge&#x017F;talt eingeri&#x017F;&#x017F;en, daß alles, was<lb/>
»von einem armen Manne herkommt, &#x017F;o vortrefflich<lb/>
»es auch an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;eyn mag, ohne Unter&#x017F;chied<lb/>
»verachtet und verworfen wird. Das Wort eines<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0106] Kunſt, in keiner Wiſſenſchaft lernt man ſo viel, um es wieder zu vergeſſen, als in der Arzeneikunſt. Als ausübender Arzt erfährt man erſt, was man alles hätte entbehren können, erfährt man erſt, daß die Kranken, die man in Büchern antrifft, himmel- weit von denen verſchieden ſind, die man im Bette findet. Noth macht, wie die Ehrſucht, thätig, aber Thätigkeit aus Noth ermüdet ſchnell und entſteht ſchwer, denn dann nur erſt, wenn die Noth am größten iſt, bequemt man ſich zur Thätigkeit. Ganz anders verhält es ſich mit der Thätigkeit aus Ehr- ſucht; dieſe entſteht ſehr leicht und ermüdet nie, ſie wird, wie ein Schneeball im Schnee gewälzt, immer größer, ſie wird, wie die Wolluſt, durch den Genuß, immer mehr gereizt, aber nie geſättigt. Noch immer behält folgender Gedanke, den ich in einer alten Schrift gefunden, wegen der Wahr- heit, die er enthält, ſeinen großen Werth. »Die Vorurtheile wider die Armuth ſind zu un- »ſeren Zeiten dergeſtalt eingeriſſen, daß alles, was »von einem armen Manne herkommt, ſo vortrefflich »es auch an ſich ſelbſt ſeyn mag, ohne Unterſchied »verachtet und verworfen wird. Das Wort eines

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_ausverkauf_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_ausverkauf_1824/106
Zitationshilfe: Wolff, Sabattia Joseph: Ausverkauf meiner schriftstellerischen Arbeiten. Berlin, 1824, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_ausverkauf_1824/106>, abgerufen am 21.11.2024.