Wolff, Sabattia Joseph: Ausverkauf meiner schriftstellerischen Arbeiten. Berlin, 1824.angemessene Rede, deren Thema vorzüglich der Werth der Ehrlichkeit, der Aufrichtigkeit und Wahrheit zu seyn pflegte. Dann hielt die zweite Rede der dreiste Hase, und sprach über Muth und Standhaftigkeit, über die Feigheit, begangene Sünden aus Furcht vor der Strafe nicht eingestehen zu wollen. Darauf nahm der gerechte Tyger das Wort, über den Werth des Mitleidens, der Erbarmung und der Schonung seiner Nebengeschöpfe, und den Beschluß machte das ge- fühlvolle Krokodill, dessen Rede im Wesentlichen der seines Vorgängers ganz gleich war, nur mit dem Unterschiede, daß es seinen Vortrag mit einem Thränenstrome würzte, und alle Herzen gar sehr da- durch erweichte. Dennoch verstrich, trotz aller dieser weisen Anstal- Schon war man zum letzten Termin geschrit- angemeſſene Rede, deren Thema vorzüglich der Werth der Ehrlichkeit, der Aufrichtigkeit und Wahrheit zu ſeyn pflegte. Dann hielt die zweite Rede der dreiſte Haſe, und ſprach über Muth und Standhaftigkeit, über die Feigheit, begangene Sünden aus Furcht vor der Strafe nicht eingeſtehen zu wollen. Darauf nahm der gerechte Tyger das Wort, über den Werth des Mitleidens, der Erbarmung und der Schonung ſeiner Nebengeſchöpfe, und den Beſchluß machte das ge- fühlvolle Krokodill, deſſen Rede im Weſentlichen der ſeines Vorgängers ganz gleich war, nur mit dem Unterſchiede, daß es ſeinen Vortrag mit einem Thränenſtrome würzte, und alle Herzen gar ſehr da- durch erweichte. Dennoch verſtrich, trotz aller dieſer weiſen Anſtal- Schon war man zum letzten Termin geſchrit- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0085" n="69"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> angemeſſene Rede, deren Thema vorzüglich der Werth<lb/> der Ehrlichkeit, der Aufrichtigkeit und Wahrheit zu<lb/> ſeyn pflegte. Dann hielt die zweite Rede der dreiſte<lb/> Haſe, und ſprach über Muth und Standhaftigkeit,<lb/> über die Feigheit, begangene Sünden aus Furcht vor<lb/> der Strafe nicht eingeſtehen zu wollen. Darauf nahm<lb/> der gerechte Tyger das Wort, über den Werth des<lb/> Mitleidens, der Erbarmung und der Schonung ſeiner<lb/> Nebengeſchöpfe, und den Beſchluß machte das ge-<lb/> fühlvolle Krokodill, deſſen Rede im Weſentlichen<lb/> der ſeines Vorgängers ganz gleich war, nur mit<lb/> dem Unterſchiede, daß es ſeinen Vortrag mit einem<lb/> Thränenſtrome würzte, und alle Herzen gar ſehr da-<lb/> durch erweichte.</p><lb/> <p>Dennoch verſtrich, trotz aller dieſer weiſen Anſtal-<lb/> ten und herzergreifenden Reden, ein Termin nach dem<lb/> andern, ohne daß man weder beim Wolf, noch beim<lb/> Bären, weder beim Elephanten, noch beim Kameel<lb/> u. ſ. w. im Lebenswandel etwas entdecken konnte,<lb/> was widernatürlich — ſündlich wäre.</p><lb/> <p>Schon war man zum letzten Termin geſchrit-<lb/> ten, zu dem ſich dieß Mahl eine beſonders große<lb/> Menge von Zuhörern zur Rechten und Linken verſam-<lb/> melte. Der letzte Jnkulpat erſchien: es war das<lb/> Schaf. Daß dieſes ſchuldig erklärt werden mußte,<lb/> ſchloß alles, was nur ein wenig Logik hatte, theils<lb/><hi rendition="#aq">a priori,</hi> theils <hi rendition="#aq">a posteriori</hi> ſchon im voraus. Be-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [69/0085]
angemeſſene Rede, deren Thema vorzüglich der Werth
der Ehrlichkeit, der Aufrichtigkeit und Wahrheit zu
ſeyn pflegte. Dann hielt die zweite Rede der dreiſte
Haſe, und ſprach über Muth und Standhaftigkeit,
über die Feigheit, begangene Sünden aus Furcht vor
der Strafe nicht eingeſtehen zu wollen. Darauf nahm
der gerechte Tyger das Wort, über den Werth des
Mitleidens, der Erbarmung und der Schonung ſeiner
Nebengeſchöpfe, und den Beſchluß machte das ge-
fühlvolle Krokodill, deſſen Rede im Weſentlichen
der ſeines Vorgängers ganz gleich war, nur mit
dem Unterſchiede, daß es ſeinen Vortrag mit einem
Thränenſtrome würzte, und alle Herzen gar ſehr da-
durch erweichte.
Dennoch verſtrich, trotz aller dieſer weiſen Anſtal-
ten und herzergreifenden Reden, ein Termin nach dem
andern, ohne daß man weder beim Wolf, noch beim
Bären, weder beim Elephanten, noch beim Kameel
u. ſ. w. im Lebenswandel etwas entdecken konnte,
was widernatürlich — ſündlich wäre.
Schon war man zum letzten Termin geſchrit-
ten, zu dem ſich dieß Mahl eine beſonders große
Menge von Zuhörern zur Rechten und Linken verſam-
melte. Der letzte Jnkulpat erſchien: es war das
Schaf. Daß dieſes ſchuldig erklärt werden mußte,
ſchloß alles, was nur ein wenig Logik hatte, theils
a priori, theils a posteriori ſchon im voraus. Be-
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Zitationshilfe: | Wolff, Sabattia Joseph: Ausverkauf meiner schriftstellerischen Arbeiten. Berlin, 1824, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_ausverkauf_1824/85>, abgerufen am 16.02.2025. |