Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.Das 1. Cap. Von dem hen können. Sol nun der Begrieff von derVollkommenheit des gemeinen Wesens un- möglich seyn; so muß er gleichfalls einan- der zuwieder lauffende Dinge in sich enthal- ten, oder auch unmögliche Dinge vor- aussetzen. Nemlich im ersten Falle müsten in der Einrichtung oder Verwaltung des gemeinen Wesens solche Dinge angegeben werden, die einander zuwieder lieffen, und daher wäre es kein vollkommenes gemeines Wesen, sondern hätte nur den Schein des- selben (§. 152 Met.). Und also findet die- ser Fall hier eigentlich gar nicht stat, oder man müste erweisen können, daß kein ge- meines Wesen könne gedacht werden, dar- innen alles mit einander völlig zusammen- stimmete. Jn dem anderen Falle müßte man entweder Menschen, die sich ins ge- meine Wesen begeben solten, anders an- nehmen, als wie wir sie finden, z.E. Cn- gel im Verstande und in Tugenden; oder solche Mittel vorschreiben, welche die Men- schen durch allen Gebrauch ihrer Kräff- te nicht bewerckstelligen könnten. Wenn aber dergleichen nicht geschiehet, sondern man richtet alles nach dem gegenwärtigen Zustande der Menschen und dem möglichen Gebrauche ihrer Kräffte ein; so kan man nicht mit Bestande der Wahrheit die Voll- kommenheit des gemeinen Wesens als eine leere Brut der Einbildung verwerffen. Wenn
Das 1. Cap. Von dem hen koͤnnen. Sol nun der Begrieff von derVollkommenheit des gemeinen Weſens un- moͤglich ſeyn; ſo muß er gleichfalls einan- der zuwieder lauffende Dinge in ſich enthal- ten, oder auch unmoͤgliche Dinge vor- ausſetzen. Nemlich im erſten Falle muͤſten in der Einrichtung oder Verwaltung des gemeinen Weſens ſolche Dinge angegeben werden, die einander zuwieder lieffen, und daher waͤre es kein vollkommenes gemeines Weſen, ſondern haͤtte nur den Schein deſ- ſelben (§. 152 Met.). Und alſo findet die- ſer Fall hier eigentlich gar nicht ſtat, oder man muͤſte erweiſen koͤnnen, daß kein ge- meines Weſen koͤnne gedacht werden, dar- innen alles mit einander voͤllig zuſammen- ſtimmete. Jn dem anderen Falle muͤßte man entweder Menſchen, die ſich ins ge- meine Weſen begeben ſolten, anders an- nehmen, als wie wir ſie finden, z.E. Cn- gel im Verſtande und in Tugenden; oder ſolche Mittel vorſchreiben, welche die Men- ſchen durch allen Gebrauch ihrer Kraͤff- te nicht bewerckſtelligen koͤnnten. Wenn aber dergleichen nicht geſchiehet, ſondern man richtet alles nach dem gegenwaͤrtigen Zuſtande der Menſchen und dem moͤglichen Gebrauche ihrer Kraͤffte ein; ſo kan man nicht mit Beſtande der Wahrheit die Voll- kommenheit des gemeinen Weſens als eine leere Brut der Einbildung verwerffen. Wenn
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Das 1. Cap. Von dem
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Vollkommenheit des gemeinen Weſens un-
moͤglich ſeyn; ſo muß er gleichfalls einan-
der zuwieder lauffende Dinge in ſich enthal-
ten, oder auch unmoͤgliche Dinge vor-
ausſetzen. Nemlich im erſten Falle muͤſten
in der Einrichtung oder Verwaltung des
gemeinen Weſens ſolche Dinge angegeben
werden, die einander zuwieder lieffen, und
daher waͤre es kein vollkommenes gemeines
Weſen, ſondern haͤtte nur den Schein deſ-
ſelben (§. 152 Met.). Und alſo findet die-
ſer Fall hier eigentlich gar nicht ſtat, oder
man muͤſte erweiſen koͤnnen, daß kein ge-
meines Weſen koͤnne gedacht werden, dar-
innen alles mit einander voͤllig zuſammen-
ſtimmete. Jn dem anderen Falle muͤßte
man entweder Menſchen, die ſich ins ge-
meine Weſen begeben ſolten, anders an-
nehmen, als wie wir ſie finden, z.E. Cn-
gel im Verſtande und in Tugenden; oder
ſolche Mittel vorſchreiben, welche die Men-
ſchen durch allen Gebrauch ihrer Kraͤff-
te nicht bewerckſtelligen koͤnnten. Wenn
aber dergleichen nicht geſchiehet, ſondern
man richtet alles nach dem gegenwaͤrtigen
Zuſtande der Menſchen und dem moͤglichen
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Zitationshilfe: | Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/182>, abgerufen am 16.02.2025. |