Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.gemeinen Wesen überhaupt. Wenn nun gleich der Begrieff von derVollkommenheit möglich ist, so folget doch deswegen noch nicht, daß er auch würck- lich werden kan (§. 13 Met.), und entstehet demnach billich die andere Frage, ob man ihn deswegen als was unnützes verwerffen sol, weil man ihn nicht zur Würcklichkeit bringen kan. Hierauf antworte ich mit Nein. Denn da uns die Natur verbindet nach dem besten zu streben, so weit es in un- serer Gewalt ist (§. 10 Mor.); so müssen wir ja auch einen Begrieff von dem besten, oder vollkommensten haben, damit wir ur- theilen können, wornach wir streben sol- len. Unerachtet es nun aber nicht möglich ist den Grad einer völligen Vollkommenheit zu erreichen; so hat man doch von dessen Erkäntnis den Nutzen, daß wir wissen, was und wo es noch fehlet, und was wir zu ver- bessern haben, auch wie die Verbesserung vorzunehmen, mit einem Worte, es die- net dazu, daß wir von der Vollkommen- heit so viel erreichen als uns möglich, und nicht durch Saumseeligkeit oder Vorur- theile und Unwissenheit unterlassen, was wir gar wohl hätten bewerckstelligen kön- nen. Man siehet gar wohl, daß dieses nicht allein auf das gemeine Wesen gehet, sondern auch in anderen Fällen stat findet. Z.E. Jn der Bau-Kunst stellet man sich gleich fals ein Gebäude in seiner grösten Vollkom- men- L 3
gemeinen Weſen uͤberhaupt. Wenn nun gleich der Begrieff von derVollkommenheit moͤglich iſt, ſo folget doch deswegen noch nicht, daß er auch wuͤrck- lich werden kan (§. 13 Met.), und entſtehet demnach billich die andere Frage, ob man ihn deswegen als was unnuͤtzes verwerffen ſol, weil man ihn nicht zur Wuͤrcklichkeit bringen kan. Hierauf antworte ich mit Nein. Denn da uns die Natur verbindet nach dem beſten zu ſtreben, ſo weit es in un- ſerer Gewalt iſt (§. 10 Mor.); ſo muͤſſen wir ja auch einen Begrieff von dem beſten, oder vollkommenſten haben, damit wir ur- theilen koͤnnen, wornach wir ſtreben ſol- len. Unerachtet es nun aber nicht moͤglich iſt den Grad einer voͤlligen Vollkommenheit zu erreichen; ſo hat man doch von deſſen Erkaͤntnis den Nutzen, daß wir wiſſen, was und wo es noch fehlet, und was wir zu ver- beſſern haben, auch wie die Verbeſſerung vorzunehmen, mit einem Worte, es die- net dazu, daß wir von der Vollkommen- heit ſo viel erreichen als uns moͤglich, und nicht durch Saumſeeligkeit oder Vorur- theile und Unwiſſenheit unterlaſſen, was wir gar wohl haͤtten bewerckſtelligen koͤn- nen. Man ſiehet gar wohl, daß dieſes nicht allein auf das gemeine Weſen gehet, ſondern auch in anderen Faͤllen ſtat findet. Z.E. Jn der Bau-Kunſt ſtellet man ſich gleich fals ein Gebaͤude in ſeiner groͤſten Vollkom- men- L 3
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gemeinen Weſen uͤberhaupt.
Wenn nun gleich der Begrieff von der
Vollkommenheit moͤglich iſt, ſo folget doch
deswegen noch nicht, daß er auch wuͤrck-
lich werden kan (§. 13 Met.), und entſtehet
demnach billich die andere Frage, ob man
ihn deswegen als was unnuͤtzes verwerffen
ſol, weil man ihn nicht zur Wuͤrcklichkeit
bringen kan. Hierauf antworte ich mit
Nein. Denn da uns die Natur verbindet
nach dem beſten zu ſtreben, ſo weit es in un-
ſerer Gewalt iſt (§. 10 Mor.); ſo muͤſſen
wir ja auch einen Begrieff von dem beſten,
oder vollkommenſten haben, damit wir ur-
theilen koͤnnen, wornach wir ſtreben ſol-
len. Unerachtet es nun aber nicht moͤglich
iſt den Grad einer voͤlligen Vollkommenheit
zu erreichen; ſo hat man doch von deſſen
Erkaͤntnis den Nutzen, daß wir wiſſen, was
und wo es noch fehlet, und was wir zu ver-
beſſern haben, auch wie die Verbeſſerung
vorzunehmen, mit einem Worte, es die-
net dazu, daß wir von der Vollkommen-
heit ſo viel erreichen als uns moͤglich, und
nicht durch Saumſeeligkeit oder Vorur-
theile und Unwiſſenheit unterlaſſen, was
wir gar wohl haͤtten bewerckſtelligen koͤn-
nen. Man ſiehet gar wohl, daß dieſes
nicht allein auf das gemeine Weſen gehet,
ſondern auch in anderen Faͤllen ſtat findet.
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