Daß man für die Aufnah- me der Tugend sorgen soll.
§. 316.
Das gemeine Wesen wird zu dem Ende angerichtet, damit man in dem Stande ist dem höchsten Gute desto si- cherer nachzustreben (§. 214). Derowe- gen, da dieses durch die Tugend beför- dert wird (§. 44. 68. Mor.); so hat man im gemeinen Wesen auch davor zu sorgen, daß die Leute tugendhaft werden. Viel- leicht wird dieses einigen etwas seltsam vorkommen: Sie werden meinen, im ge- meinen Wesen begnüge man sich an der äusserlichen Zucht und bekümmere sich nicht umb das innere, welches zur Tugend mit hauptsächlich gehöret (§. 46. Mor.). Al- lein der Jrrthum kommet bloß daher, daß sie sehen, man pflege in dem gemeinen We- sen bloß das äusserliche Thun und Lassen der Menschen zu bestraffen, keines weges aber die Gedancken, welche sich durch kei- ne Wercke äussern. Es ist aber gantz et- was anders, wenn man fraget, was in dem gemeinen Wesen zu bestraffen ist, und gantz was anders, wenn man fraget, zu was für Handlungen man die Menschen im gemeinen Wesen bringen soll.
Mittel dazu.
§. 317.
Da nun der Wille des Men- schen gebessert wird, wenn man ihn zu ei- ner lebendigen Erkänntniß des Guten brin- get (§. 373. Mor.); so hat man davor zu sorgen, daß es im gemeinen Wesen nie- manden an nöthigem Unterrichte von dem
Guten
Cap. 3. Von der Einrichtung
Daß man fuͤr die Aufnah- me der Tugend ſorgen ſoll.
§. 316.
Das gemeine Weſen wird zu dem Ende angerichtet, damit man in dem Stande iſt dem hoͤchſten Gute deſto ſi- cherer nachzuſtreben (§. 214). Derowe- gen, da dieſes durch die Tugend befoͤr- dert wird (§. 44. 68. Mor.); ſo hat man im gemeinen Weſen auch davor zu ſorgen, daß die Leute tugendhaft werden. Viel- leicht wird dieſes einigen etwas ſeltſam vorkommen: Sie werden meinen, im ge- meinen Weſen begnuͤge man ſich an der aͤuſſerlichen Zucht und bekuͤmmere ſich nicht umb das innere, welches zur Tugend mit hauptſaͤchlich gehoͤret (§. 46. Mor.). Al- lein der Jrrthum kommet bloß daher, daß ſie ſehen, man pflege in dem gemeinen We- ſen bloß das aͤuſſerliche Thun und Laſſen der Menſchen zu beſtraffen, keines weges aber die Gedancken, welche ſich durch kei- ne Wercke aͤuſſern. Es iſt aber gantz et- was anders, wenn man fraget, was in dem gemeinen Weſen zu beſtraffen iſt, und gantz was anders, wenn man fraget, zu was fuͤr Handlungen man die Menſchen im gemeinen Weſen bringen ſoll.
Mittel dazu.
§. 317.
Da nun der Wille des Men- ſchen gebeſſert wird, wenn man ihn zu ei- ner lebendigen Erkaͤnntniß des Guten brin- get (§. 373. Mor.); ſo hat man davor zu ſorgen, daß es im gemeinen Weſen nie- manden an noͤthigem Unterrichte von dem
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Cap. 3. Von der Einrichtung
§. 316.Das gemeine Weſen wird zu
dem Ende angerichtet, damit man in dem
Stande iſt dem hoͤchſten Gute deſto ſi-
cherer nachzuſtreben (§. 214). Derowe-
gen, da dieſes durch die Tugend befoͤr-
dert wird (§. 44. 68. Mor.); ſo hat man
im gemeinen Weſen auch davor zu ſorgen,
daß die Leute tugendhaft werden. Viel-
leicht wird dieſes einigen etwas ſeltſam
vorkommen: Sie werden meinen, im ge-
meinen Weſen begnuͤge man ſich an der
aͤuſſerlichen Zucht und bekuͤmmere ſich nicht
umb das innere, welches zur Tugend mit
hauptſaͤchlich gehoͤret (§. 46. Mor.). Al-
lein der Jrrthum kommet bloß daher, daß
ſie ſehen, man pflege in dem gemeinen We-
ſen bloß das aͤuſſerliche Thun und Laſſen
der Menſchen zu beſtraffen, keines weges
aber die Gedancken, welche ſich durch kei-
ne Wercke aͤuſſern. Es iſt aber gantz et-
was anders, wenn man fraget, was in
dem gemeinen Weſen zu beſtraffen iſt, und
gantz was anders, wenn man fraget, zu
was fuͤr Handlungen man die Menſchen
im gemeinen Weſen bringen ſoll.
§. 317.Da nun der Wille des Men-
ſchen gebeſſert wird, wenn man ihn zu ei-
ner lebendigen Erkaͤnntniß des Guten brin-
get (§. 373. Mor.); ſo hat man davor zu
ſorgen, daß es im gemeinen Weſen nie-
manden an noͤthigem Unterrichte von dem
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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/272>, abgerufen am 22.11.2024.
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