Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.Cap. 3. Von der Einrichtung von diesem oder einem anderen Affect ge-trieben wird, lassen sich zur Zeit nicht völ- lig, beschreiben. Ja wenn es auch angien- ge, so müste doch derselbe, so das Buch lieset, darinnen eine Geschicht beschrieben wird, selbst alles, was er lieset, nachthun, oder einen andern sich alles vormachen las- sen, woferne es einer Comödie und Tra- gödie gleich gültig werden sollte. Uber dieses haben auch Comödien und Tragö- dien einen Vorzug für den wahren Exem- peln, die in der Welt paßiren und darauf man acht hat. Nemlich da die Exempel uns hauptsächlich den Erfolg der guten und bösen Handlungen zeigen sollen (§. 167 Mor.); so hat man für allen Dingen zu erkennen, daß dieses oder jenes, was uns entweder Vergnügen oder Verdruß ver- ursachet, aus den Handlungen herkom- men, denen wir es zuschreiben, damit wir die Schein-Gütter von den wahren un- terscheiden (§. 424 Met.) und uns diesel- ben nicht mehr blenden lassen. Da nun im menschlichen Leben alles nach und nach geschiehet, auch öffters lange Zeit hinge- het, ehe das Unglück kommet, welches man sich durch lasterhafftes Leben auf den Hals ziehet; oder man auch im Gegentheil das Glücke erwartet, damit die Tugend belohnet wird: so erkennet man öffters nicht, daß dieser oder jener Zufall aus die- sen
Cap. 3. Von der Einrichtung von dieſem oder einem anderen Affect ge-trieben wird, laſſen ſich zur Zeit nicht voͤl- lig, beſchreiben. Ja wenn es auch angien- ge, ſo muͤſte doch derſelbe, ſo das Buch lieſet, darinnen eine Geſchicht beſchrieben wird, ſelbſt alles, was er lieſet, nachthun, oder einen andern ſich alles vormachen laſ- ſen, woferne es einer Comoͤdie und Tra- goͤdie gleich guͤltig werden ſollte. Uber dieſes haben auch Comoͤdien und Tragoͤ- dien einen Vorzug fuͤr den wahren Exem- peln, die in der Welt paßiren und darauf man acht hat. Nemlich da die Exempel uns hauptſaͤchlich den Erfolg der guten und boͤſen Handlungen zeigen ſollen (§. 167 Mor.); ſo hat man fuͤr allen Dingen zu erkennen, daß dieſes oder jenes, was uns entweder Vergnuͤgen oder Verdruß ver- urſachet, aus den Handlungen herkom- men, denen wir es zuſchreiben, damit wir die Schein-Guͤtter von den wahren un- terſcheiden (§. 424 Met.) und uns dieſel- ben nicht mehr blenden laſſen. Da nun im menſchlichen Leben alles nach und nach geſchiehet, auch oͤffters lange Zeit hinge- het, ehe das Ungluͤck kommet, welches man ſich durch laſterhafftes Leben auf den Hals ziehet; oder man auch im Gegentheil das Gluͤcke erwartet, damit die Tugend belohnet wird: ſo erkennet man oͤffters nicht, daß dieſer oder jener Zufall aus die- ſen
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Cap. 3. Von der Einrichtung
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lig, beſchreiben. Ja wenn es auch angien-
ge, ſo muͤſte doch derſelbe, ſo das Buch
lieſet, darinnen eine Geſchicht beſchrieben
wird, ſelbſt alles, was er lieſet, nachthun,
oder einen andern ſich alles vormachen laſ-
ſen, woferne es einer Comoͤdie und Tra-
goͤdie gleich guͤltig werden ſollte. Uber
dieſes haben auch Comoͤdien und Tragoͤ-
dien einen Vorzug fuͤr den wahren Exem-
peln, die in der Welt paßiren und darauf
man acht hat. Nemlich da die Exempel
uns hauptſaͤchlich den Erfolg der guten und
boͤſen Handlungen zeigen ſollen (§. 167
Mor.); ſo hat man fuͤr allen Dingen zu
erkennen, daß dieſes oder jenes, was uns
entweder Vergnuͤgen oder Verdruß ver-
urſachet, aus den Handlungen herkom-
men, denen wir es zuſchreiben, damit wir
die Schein-Guͤtter von den wahren un-
terſcheiden (§. 424 Met.) und uns dieſel-
ben nicht mehr blenden laſſen. Da nun
im menſchlichen Leben alles nach und nach
geſchiehet, auch oͤffters lange Zeit hinge-
het, ehe das Ungluͤck kommet, welches
man ſich durch laſterhafftes Leben auf den
Hals ziehet; oder man auch im Gegentheil
das Gluͤcke erwartet, damit die Tugend
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