werden darf (§. 23.); so ist auch alle Geil- heit dem Gesetze der Natur zuwieder, und folgends ein Laster (§. 64 Mor.).
§. 29.
Es ist nicht nöthig alle Arten derWarum man nicht alle Arten der Geil- heit er- zehlen sol. Geilheit zu erzehlen, massen es besser ist die Laster nicht wissen, als erkennen. Wer überhaupt weiß, was Geilheit ist, und ih- re Unzuläßigkeit erkennet, der ist in dem Stande in jedem vorkommenden Falle die Arten der Geilheit zu erkennen und zu beur- theilen, folgends ist keine Gefahr, daß er aus Unwissenheit in diese Arten der Laster verfallen werde. Hingegen pfleget es wohl zu geschehen, daß die Erkäntniß dieser La- ster die Ursache ist, warum ein geiler darein verfället, der sie sonst würde unterlassen ha- ben, wenn er nichts davon gewust hätte.
§. 30.
Weil die Geilheit unzuläßig istWas für Handlun- gen der Geilheit halber zu unterlas- sen- (§. 28), die Erfahrung aber lehret, daß der Mensch am allerwenigsten sie vermeiden kan, wenn er Brunst leidet; so sollen alle Handlungen vermieden werden, wodurch die Brunst entweder erreget, oder vermeh- ret, oder unterhalten, oder auch sonst die Geilheit befördert wird. Man siehet leicht, daß hierunter eine grosse Anzahl unzuläßi- ger Handlungen begriffen ist, die alle zu er- zehlen viel zu weitläufftig fallen würde, auch an sich nicht nöthig ist (§. 29). Man siehet ferner, daß auch hieher diejenigen Hand-
lun-
(Politick) B
Cap. 2. Von dem Eheſtande.
werden darf (§. 23.); ſo iſt auch alle Geil- heit dem Geſetze der Natur zuwieder, und folgends ein Laſter (§. 64 Mor.).
§. 29.
Es iſt nicht noͤthig alle Arten derWarum man nicht alle Arten der Geil- heit er- zehlen ſol. Geilheit zu erzehlen, maſſen es beſſer iſt die Laſter nicht wiſſen, als erkennen. Wer uͤberhaupt weiß, was Geilheit iſt, und ih- re Unzulaͤßigkeit erkennet, der iſt in dem Stande in jedem vorkommenden Falle die Arten der Geilheit zu erkennen und zu beur- theilen, folgends iſt keine Gefahr, daß er aus Unwiſſenheit in dieſe Arten der Laſter verfallen werde. Hingegen pfleget es wohl zu geſchehen, daß die Erkaͤntniß dieſer La- ſter die Urſache iſt, warum ein geiler darein verfaͤllet, der ſie ſonſt wuͤrde unterlaſſen ha- ben, wenn er nichts davon gewuſt haͤtte.
§. 30.
Weil die Geilheit unzulaͤßig iſtWas fuͤr Handlun- gen der Geilheit halber zu unterlaſ- ſen- (§. 28), die Erfahrung aber lehret, daß der Menſch am allerwenigſten ſie vermeiden kan, wenn er Brunſt leidet; ſo ſollen alle Handlungen vermieden werden, wodurch die Brunſt entweder erreget, oder vermeh- ret, oder unterhalten, oder auch ſonſt die Geilheit befoͤrdert wird. Man ſiehet leicht, daß hierunter eine groſſe Anzahl unzulaͤßi- ger Handlungen begriffen iſt, die alle zu er- zehlen viel zu weitlaͤufftig fallen wuͤrde, auch an ſich nicht noͤthig iſt (§. 29). Man ſiehet ferner, daß auch hieher diejenigen Hand-
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(Politick) B
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Cap. 2. Von dem Eheſtande.
werden darf (§. 23.); ſo iſt auch alle Geil-
heit dem Geſetze der Natur zuwieder, und
folgends ein Laſter (§. 64 Mor.).
§. 29.Es iſt nicht noͤthig alle Arten der
Geilheit zu erzehlen, maſſen es beſſer iſt die
Laſter nicht wiſſen, als erkennen. Wer
uͤberhaupt weiß, was Geilheit iſt, und ih-
re Unzulaͤßigkeit erkennet, der iſt in dem
Stande in jedem vorkommenden Falle die
Arten der Geilheit zu erkennen und zu beur-
theilen, folgends iſt keine Gefahr, daß er
aus Unwiſſenheit in dieſe Arten der Laſter
verfallen werde. Hingegen pfleget es wohl
zu geſchehen, daß die Erkaͤntniß dieſer La-
ſter die Urſache iſt, warum ein geiler darein
verfaͤllet, der ſie ſonſt wuͤrde unterlaſſen ha-
ben, wenn er nichts davon gewuſt haͤtte.
Warum
man nicht
alle Arten
der Geil-
heit er-
zehlen
ſol.
§. 30.Weil die Geilheit unzulaͤßig iſt
(§. 28), die Erfahrung aber lehret, daß der
Menſch am allerwenigſten ſie vermeiden
kan, wenn er Brunſt leidet; ſo ſollen alle
Handlungen vermieden werden, wodurch
die Brunſt entweder erreget, oder vermeh-
ret, oder unterhalten, oder auch ſonſt die
Geilheit befoͤrdert wird. Man ſiehet leicht,
daß hierunter eine groſſe Anzahl unzulaͤßi-
ger Handlungen begriffen iſt, die alle zu er-
zehlen viel zu weitlaͤufftig fallen wuͤrde, auch
an ſich nicht noͤthig iſt (§. 29). Man ſiehet
ferner, daß auch hieher diejenigen Hand-
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Was fuͤr
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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/35>, abgerufen am 21.11.2024.
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